Mein Nein . . . – ein Nachschlag

26 Apr

Die Berliner Zeitung schrieb zum Thema eine Reportage aus Güstrow, wo Manuela Schwesig um Zustimmung zum Koalitionsvertrag warb und titelte

„Wahl zwischen Pest und Cholera“

https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/spd-basis-in-guestrow-bei-wienern-und-filterkaffee-wird-ueber-die-zukunft-deutschlands-entschieden-li.2318909

Wenn ich richtig verstanden habe, ist gemeint mit Pest, dass der Koalitionsvertag so gestrickt ist, dass man ihm eigentlich keinesfalls zustimmen sollte – aber eben nur eigentlich! Mit Cholera aber, oder auch umgekehrt, dass wir schnell eine handlungsfähige Regierung brauchen, da es die schlimmen Zeiten so verlangen, und dass alles andere nur der AfD in die Karten spielen würde. Und hier nun wird die Verantwortung des sozialdemokratischen Genossen ins Spiel gebracht, die schon bei der Zustimmung für GroKo und Ampel strapaziert worden ist, um ein Ja – ein möglichst kräftiges – zu generieren. Und immer hat’s geklappt. Die harmlosere Pest kann so verschwinden im Nebel einer geradezu heroischen Überwindung aller Skrupel bei der Wahrnehmung der eingeforderten Verantwortung. Welch braver Genosse könnte des Nachts noch ruhig schlafen bei dem Gedanken, er könne Schuld sein am Untergang „Unserer Demokratie“, wenn, na Ihr wisst schon . . . oder „Unserer Freiheit“, wenn, wie schon einst Geibel schrieb, die „Horden aus dem Norden“ wieder kämen und Europa . . . – Aber jetzt habe ich schon wieder zu weit ausgeholt für einen Nachschlag. Wollte nur sagen, dass es sich hier nicht um eine schwere Entscheidung handelt, sondern um eine Ausrede für schwache Charaktere. Wer guten Gewissens – nicht eines selbst manipulierten – zustimmen kann, sollte es getrost tun. Verantwortung trägt auch er. Wer aber in der Sache nicht überzeugt ist und dennoch nicht NEIN sagen kann, dem kann man auch das schlechtest mögliche noch vorlegen, und er wird JA sagen, und trägt dafür Verantwortung, aber eine andere, als ihm suggeriert wurde. und nun mein

Leserbrief an die Berliner Zeitung (leicht verbesserte Fassung)

Ich kann nicht zustimmen, dass meine Partei einen BlackRock-Lobbyisten für ihr Überleben in Regierungsämtern erkoren hat. Die verbleibende seltsam traurige „Demokratische Mitte“, die keine demokratischen Ränder kennt, predigt Zusammenhalt. Die aufgeweckteren Parteifunktionäre fürchten zurecht jeweils um die Kenntlichkeit ihrer Parteien, die durch all die verqueren Regierungskonstellationen hindurch schwer gelitten hat. Opposition gab es nur von Seiten der verteufelten Ränder, abgesehen von lächerlichen Plänkeleien innerhalb schützender Brandmauern in Bundestag und Medien. Wie ist nun der geforderte Zusammenhalt in den allerseits anerkannten Krisen zu erreichen? „Volksgemeinschaft“ und wie es hieß „sozialistische Menschengemeinschaft“ sind, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen, gescheitert. Einen neuen Ansatz, für hier und heute, will nun der Koalitionsvertrag als letzte Rettung bieten. Mein kurzes Resümee: er weist einen gefährlicher Weg! Beschwörung von lang- und kurzfristig gepflegten Feindbildern. Gefahren, gegen die man gewappnet sein soll, nach innen und außen. Wehr- und Kriegstüchtigkeit. Aufrüstung. Waffenlieferungen, und zwar dorthin, wo unsere Freiheit etc. angeblich verteidigt wird. Endlich dann selbst bereit sein, unsere Werte, wie einst am Hindukusch, nun in aller Welt zu verteidigen. Diplomatie – Fehlanzeige. Dafür – Geschichtsvergessenheit, wo immer unsere Selbstgerechtigkeit sie verlangt. Und viele halbherzig unter finanziellen Vorbehalt gestellte marginale Versprechen für sich bedürftig Fühlende. Die Koalitionäre sind`s zufrieden. Aber die Zeiten haben sich gewendet. Schwarz/Rot wird übermütig Reiche und verschämt Arme nicht versöhnen. Und die Regierung wird genötigt sein, bei der Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft, die dazu üblichen Mittel einzusetzen. Da wird kein Platz sein für Erneuerung, weder personell noch programmatisch! Der Anfang, realitätsfern, ist schon gemacht!

Mein Nein zum Koalitionsvertrag

17 Apr

Die Begründung für die Ablehnung des Koalitionsvertrages beschränkt sich hier auf den friedenspolitischen Aspekt. Ein Beispiel dafür ist der Ukrainekrieg und unser Verhältnis zu Russland.

SPD und CDU/CSU plädieren für einen „echten und nachhaltigen Frieden“.

Alles dazu Gesagtes ist jedoch kontraproduktiv und führt in Konsequenz zu unabsehbarer Verlängerung des Kriegs und der Gefahr eines bestenfalls Abnutzungskriegs, in den wir hineinschlittern werden wie einst in den ersten Weltkrieg.

Die nicht explizit erwähnte Umsetzung der von Merz und Klingbeil schon lange befürworteten Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die die Ukraine, sowie die Erlaubnis zur Stationierung weitreichender US-amerikanischer Waffen auf deutschem Territorium, werden Deutschland zu einem Zielgebiet für russische Vergeltungsschläge etc. machen.

Die gefährliche Verkennung der geopolitischen Realitäten schwankt zwischen Unkenntnis und Absicht Denn:

  1. Die Ukraine wird nicht „aus einer Position der Stärke und auf Augenhöhe“ verhandeln können.
  2. „das eingefrorene russische Staatsvermögen“ wird nicht und schon garnicht „zur finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine . . .“ als Gegenstand eines Friedensvertrages verhandelbar sein.
  3. Es wird keine „. . . NATO-Beitrittsperspektive für die Ukraine . . .“ geben können.
  4. Die „Einrichtung eines Sondertribunals, um das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine angemessen zu verfolgen und zu ahnden.“ wird es nicht geben, da in Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland die Frage der Kriegsschuld keine Rolle spielen kann, da sie letztlich nur das westliche Narrativ einer Dämonisierung Putins fortschreiben würde.

Und weiter: „Die größte und direkteste Bedrohung geht dabei von Russland aus, das im vierten Jahr einen brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und weiter massiv aufrüstet.“ „

„Das Machtstreben von Wladimir Putin . . .“ ­u. s. w. – 

Das ist der in unserer Demokratie unhinterfragbare Tenor, der alle weitere Passagen zu Sicherheit, Aufrüstung, Ertüchtigung der Bundeswehr und der militärischen Infrastruktur grundiert, und zugleich die über allem schwebende beispiellose Verschuldung Deutschlands und der EU ermöglicht und rechtfertigt.

Der Koalitionsvertrag verweigert sich der tieferen Einsicht, dass es auf Dauer „Ohne Russland keine Sicherheit in Europa“ geben kann!

Jost Aé, Greifswald

Mitglied der SPD (18061564)

seit März 1990

Die Öl-Wahrheit und die Sanktionen

31 Mär

Russisches Öl sanktionieren die Dummen, die USA befinden sich nicht darunter!

„Wenn Russland und ich nicht in der Lage sind, eine Einigung über die Beendigung des Blutvergießens in der Ukraine zu erzielen, und wenn ich glaube, dass Russland daran schuld ist – was vielleicht nicht der Fall ist -, aber wenn ich glaube, dass es Russlands Schuld ist, dann werde ich Sekundärzölle auf Öl erheben, auf alles Öl, das aus Russland kommt“, warnte Trump. „Es wird einen 25-prozentigen Zollsatz auf alles Öl geben, einen 25- bis 50-prozentigen Zollsatz auf alles Öl.“ (Trump)

Wir sind dafür hoffnungslos die GUTEN! Und wollen den weltweit völkerrechtswidrig überfallenen Völker/ Staaten beistehen!

Da gibt es viel zu tun. Geld haben wir glücklicherweise hierfür genug – nach oben offen!

https://www.berliner-zeitung.de/news/trump-stinksauer-auf-putin-nach-selenskyj-aeusserungen-droht-mit-zoellen-li.2311954

„Eine Kriegserklärung“

30 Mär

DIE LINKE auf Kriegskurs

Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen! (B.B.)

„. . . Dies gilt auch dann, wenn Deutschland und weitere NATO-Staaten ihr Vorgehen gegen aus Russland kommende Schiffe nach dem Vorbild ihres (BRD) Vorgehens gegen die Eventin ausdehnen. So erklärte Lettlands Präsident Edgars Rinkēvičs bereits im vergangenen Jahr, eine Option, die die NATO wählen könne, bestehe darin, auf die eine oder andere Weise die Ostsee für alle russischen Schiffe faktisch zu sperren. Dies komme zwar „einer Kriegserklärung“ gleich; doch müsse man ja wohl alle im Machtkampf gegen Russland in Frage kommenden Instrumente „diskutieren“ dürfen.[8] Konkrete Schritte in diese Richtung schlug bereits am 1. Februar der Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Jan van Aken, vor. „Die Küstenwachen der Ostsee-Anrainer haben die Möglichkeit“, behauptete van Aken, „Inspektionen zu machen und Schiffe über Tage und Wochen festzuhalten“.[9] Dass es dazu im internationalen Recht ohne einen Beschluss der Vereinten Nationen keine Grundlage gibt, erwähnte van Aken nicht. Über die Folgen gehäufter Akte faktischer NATO-Piraterie gegen russische Schiffe erklärte der Bundestagsabgeordnete: „Das jubelt die Transportkosten so an die Decke, dass sich dieser Ölhandel nicht mehr lohnt. Putins Kriegskasse wird richtig geleert.“ Dass sich Russland systematische rechtswidrige Übergriffe gegen seine Schiffe gefallen lassen wird, kann freilich als ausgeschlossen gelten. Eine bewaffnete Eskalation wäre nah.“

Unten der ganze Artikel!

Es ist nicht zu fassen, dass wir – nein, nicht schlafwandeln, sondern offenen Auges – dunkle Wolken kommenden Unheils untätig über uns ziehen lassen!

NIE WIEDER KRIEG –

war mal?!

https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9916

Rosa Luxemburg und der Krieg

28 Mär
Keine Fotobeschreibung verfügbar.

«… wenn die Mehrheit des Volkes zu der Überzeugung gelangt, daß Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind die Kriege unmöglich geworden …»
Die Verteidigungsrede am 20. Februar 1914 vor der Frankfurter Strafkammer war für Rosa Luxemburg ein großer intellektueller Erfolg. Sie rechtfertigte mit scharfen Hieben gegen den Staatsanwalt und die Offizierskaste ihren Kampf gegen Krieg und Militarismus.
Rosa Luxemburg wurde zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt – wegen «Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und gegen Anordnungen der Obrigkeit» (aus R.-L.-Stiftung vom 1. September 2016)

Ich füge hinzu: Und der militärisch-industrielle Komplex kann heute nur solange obszön-gigantische Profite erzielen, wie seine Lobbyisten in den Regierungen sitzen und medienübergreifend Feindbilder heraufbeschwören dürfen – alte und aufgefrischte wie „die gelbe Gefahr“, oder „der brutalen Zar im Kreml“, und neu brandgemauert, „der Verräter im Weißen Haus“!

UNWORT DES JAHRES 2025

27 Mär

Ich habe einen Vorschlag: „Demokratische Mitte“

Dieser Begriff ist ein Widerspruch in sich selbst, ist das Gegenteil dessen, was er meinen soll. Jedenfalls in seinem von der „Demokratischen Mitte“ gemeinten Sinn und Gebrauch. „Demokratische Mitte“ ist der Begriff eines politischen Raumes und versteht sich als Verortung politischer Parteien, die sich und ihr Handeln einzig und allein als demokratisch verstehen. Dieser Sinn ist ausschließend, ja aussondernd. Kein Problem wäre es, gäbe es auch „Demokratische Ränder“. Doch dann verlöre jener Begriff jede Bedeutung. Der Platz des Randes bleibt den Schmuddelkindern vorbehalten. Das ist das Undemokratische an dem Begriff der „Demokratischen Mitte“. Und da zudem nur Demokraten die Guten sind, darf die Macht auch nur ihnen allein gehören.

Und so fängt es an!

Noch alle Tassen im Schrank?

14 Mär

12. März – Mittwoch

Friedrich Merz, in den letzten Zügen seiner Wahlkampftournee, zu Gast in Bayern, in München, kommt so richtig in Schwung, hats dem Söder abgelauscht, wie mer an Bayern in Stimmung bringt. Und er kommt gut an, der Saal tobt, er trifft die Seppelhosenmentalität – „mir san mir!“ – und mir san viele. Aber net alle. A bissl Diskriminierung muss scho sei! Das weiß er. Im Hochgefühl seines kommenden Wahlsiegs: „Jetzt machen wir wieder Politik für die Mehrheit der Bevölkerung, . . . für die Mehrheit, die grade denken kann, die auch noch alle Tassen im Schrank haben, und nicht für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt . . .“! Merz, schon neunundfünfzig, wird nie ein „Alter Fritz“ werden. Er hat sich verrannt, in Bierlaune. Aber seine humorlosen Konkurrenten, besonders die Grünen, die ja voraussichtlich raus sind aus den Regierungsgeschäften, mimen die Empörten. Merz hatte noch, während er formulierte, nachgeschoben „. . . die sollen da draußen rumlaufen!“ Aber so fein differenzieren die Medien nicht. Und hatten die linken und grünen Spinner, die da draußen rumgelaufen waren und randaliert hatten, sich nicht mit ihren Abgeordneten solidarisiert, die selbst außer Rand und Band in der Debatte krakeelt hatten, als Merz in der entscheidenden Sitzung nicht nach links und nicht nach rechts schaute, um ein Gesetz auf die Gefahr hin durchzukriegen, es nur mit den Stimmen der AfD zu schaffen. Wenn die Brandmauer gefallen wäre – nicht auszudenken. Ein geistiger Exodus hätte begonnen und ganze Industrien wären abgewandert. Es kam nicht dazu! Und doch, wieder hatte Merz sich vergaloppiert. Ein fataler Gesichtsverlust für den Kanzlerkandidaten. Doch eine weitere Zeitenwende kam: TRUMP! die half ihm aus der Patsche.

Von nun an kennt Merz, wie einst seine Majestät, keine Parteien mehr, auch die eigene nicht. Wieder muss staatspolitische Verantwortung dafür herhalten, dass überhaupt regiert werden kann. Die „linken Spinner“ zieren sich diesmal nicht, müssen vom Bundespräsidenten nicht gemahnt werden. Sie haben gelernt beim Eintritt in die letzte GroKo. Eile ist geboten. Trump, der Verräter, will mit Putin, über die Köpfe von Ukraine und EU hinweg Frieden schließen!

13. März kein Freitag

Im Bundestag. Die Kleine demnächst wahrscheinlich regierende Koalition, bringt ihr grandioses Verschuldungsprojekt ins Plenum, das meiste davon sind Kriegskredite. Diesmal stimmen die Sozialdemokraten nicht, wie 1914, nur zu – sie hecken sie selber mit aus. Freilich, auch für die marode Infrastruktur ist was dabei – wer denkt da nicht an Brücken, Schienen und Autobahn. Richtig, alles kriegswichtig! – Auch Krankenhäuser. Ja, die werden dann auch gebraucht, bestenfalls! Die Grünen sind noch zögerlich, wollen jetzt schnell noch ein bisschen auf Opposition machen. Und dann wabert, wenn auch nur eine Halblüge, doch allzu passend als unschlagbares Argument durchs Haus: Putin lehnt den Waffenstillstand ab, dem Selenskyj zugestimmt hat. Nun, es war nicht Putin. Die Medien haben das von irgendeinem Putin-Berater als Empfehlung für Putin aufgeschnappt.

Am Abend dann herrscht im deutschen Mediengestrüpp heftiges Spekulieren, mit negativem Unterton. Putin stimmt Waffenruhe zu – mit Bedingungen! Kann „dieser Verbrecher“, „dieser Volksmörder“, „Vergewaltiger“, „Entführer“ und überhaupt – könnte der nicht einfach mal so zustimmen, oder noch besser, nur einfach mal seine Truppen zurück- und abziehen?

Die Entscheidung über das BlackRocker-Geschenk für BlackRock & Co., für das eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, soll am kommenden Dienstag fallen. Bis dahin kann heutzutage noch viel geschehen. Wir haben ein Bundesverfassungsgericht. Es sollte entscheiden können, ob das Anliegen der künftigen Regierung so zeitnah befriedigt werden darf, ohne Rücksicht auf den neu gewählten Bundestag, der schon in der nächsten Woche sich konstituieren könnte. Darauf hofft die Opposition. Und darauf hoffen viele Bürger, die ahnen, was dieser geplante riesige Schuldenberg, böse Menschen sage, dieser finanzielle Staatsstreich, für sie bedeutet.

Haben die künftigen Regierungskoalitionäre wirklich mehr Angst vor der realen Friedensgefahr aus dem Weißen Haus, als vor einer beschworenen Kriegsgefahr aus dem Kreml! Es könnte sein, dass sich bald vor aller Welt zeigt,

WER DA NICHT MEHR ALLE TASSEN IM SCHRANK HAT!

Brief an den SPD-Parteivorstand

11 Mär

vom 23. Februar 2025

Was kann nach dieser Niederlage noch kommen?

Genossinnen und Genossen, seit 1990 habe ich viele Wahlniederlagen erlebt und viele Beteuerungen, die SPD zu erneuern. Selten bezog sich dies sich auf ihren Kurs und ihr Programm. Die letzte Erneuerung sollte sich lediglich auf Modernisierung beschränken, was immer das bedeutet hat.

Heute höre ich, soll es einen Generationenwechsel geben. Klingbeil meldet damit unverblümt seinen Anspruch an. Ich würde die Forderung eines Rücktritt des gesamten Vorstands unterstützen. Zumindest nach außen hat der Vorstand alle prekären Personalien gefühlt einstimmig abgenickt. Die Vorsitzenden haben die Partei unprofessionell geführt. Klingbeil wollte Taurus liefern, Esken war in ihrer Performance undiskutabel. Kühnert hat nach seiner formidablen Groko-Gegnerführung jegliche politische Glaubwürdigkeit verloren. Es hat also weniger an einer Generationenfrage gelegen, wobei kontinuierliche Verjüngung nie schaden kann! Wenn auch Pistorius im Beliebtheitsranking weit vor Scholz gelegen hat, wäre die Partei schlecht beraten gewesen, ihn noch schnell zu nominieren. Ich rate dessen ungeachtet dringend von einem Kriegstüchtigkeitskanzler ab. Die außenpolitische Ausrichtung ist desaströs. Das betrifft aber nicht nur die SPD, sondern alle Parteien bis hin zum BSW. Im internationalen Horizont ist die hiesige mediale und mit ihr verbunden die politische Einschätzung der Geschichte und Realität des Krieges in und um die Ukraine völlig einseitig, und damit realitätsfern und gefährlich. Das ganze militaristische Getöse, das sich nach den absehbaren Trump-Putin-Verhandlungen verdoppelt hat, die einen Frieden in greifbare Nähe rücken, baut allein auf jener gewollten Fehleinschätzung auf. Die damit verbundenen Begehrlichkeiten des militärisch-industriellen Komplexes sind unübersehbar.

Hier läge eine Chance, neben der Neubesinnung auf viele andere vergessene Markenzeichen, die Realitäten wieder wahrzunehmen – die einzig mögliche Chance für einen Neuanfang. Was ist das für ein Armutszeugnis, die Sorgen und Nöte wieder in Betrachtung ziehen zu wollen, oder ähnlich wie die Grünen, diese an Küchentischen zu erfahren, oder ähnlich wie die LINKEN, an hunderttausend Haustüren zu klopfen. Es sollte nicht darum gehen, in Selbstlob für kleine, stümperhafte Verbesserungen „für die Menschen“ zu versinken! Eine Partei, die für alle wählbar sein will, ist keine Partei mehr, sondern eine erbärmliche Agentur fürs Regieren um jeden Preis. Die SPD hat nicht das Vertrauen der Menschen verloren, sondern sie hat ihre Seele verloren. Und das nehmen genau jene wahr, für die sie Partei sein sollte, und einst, in bestimmten Perioden, auch war.
Ob die Partei die Kraft zu echter Erneuerung finden wird, ist eine ernste Frage, und sollte radikal beantwortet werden!

Offener Brief an den Deutschlandfunk

5 Mär

(stellvertretend für alle öffentlich-rechtlichen und privaten Medien)

Berichterstattung Ukrainekrieg

Geehrte Damen und Herren,
am 3. März hörte ich morgens ein Interview mit Stefanie Babst. Diese Kriegstreiber-Melodramen machen mir Angst. Wie lange noch will der Deutschlandfunk im Zuge der öffentlich-rechtlichen Medien in Dauerschleife diesen bizarren Wunschtraum, selbst in den abenteuerlichsten Versionen, unwidersprochen, ausstrahlen: die Ukraine müsse und werde Russland, jene einst als Regionalmacht gescholtene Atommacht, besiegen!

Die USA verabschieden sich gerade von ihren über hundert Jahre alten, mehr oder weniger erfolgreichen Anstrengungen, die Zusammenarbeit von Russland und Deutschland, und heute die zwischen Russland und der EU, zu behindern, geschuldet ihren geopolitischen Interessen, die sich nun anderen Weltgegenden zuwenden.

Zugleich sind die Vereinigte Staaten gewillt, die Sicherheitsinteressen Russlands zu respektieren. Sie haben erkannt, dass man Handel besser mit einem Partner als mit einem militärisch besiegten Land treiben kann – falls man denn jenen Sieg überhaupt selbst überleben könnte. Welch eine Chance!

Trumps „Sünde“ ist, gezeigt zu haben, dass man, allen durchsichtigen Behauptungen entgegen, mit Putins Russland über Frieden in der Ukraine verhandeln kann.

Der Wertewesten aber gibt sich schockiert, gerät geradezu in Panik und spricht von Verrat und dem Beginn einer neuen Epoche. Letzten Anlass dafür gab ein Streit zwischen Selenskyj und Trump vor der gesamten medialen Weltöffentlichkeit.

Nun nicht mehr zu übersehen aber ist die diplomatische Infantilität Brüssels, mit der Einigkeit und Stärke der EU demonstriert werden soll. Hektisch, als könne es schon morgen zu spät sein, werden Aufrüstungspläne und Ausgaben in gigantischen Milliardenhöhen geschmiedet und eine Koalition der Willigen gezimmert!

Und in Deutschland scheint bis in die Hinterzimmer der Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD die Nachricht vom Nachmittag nicht gedrungen zu sein, dass Selenskyj sich abgeregt und die Eskalation der Diskussion im Weißen Haus bedauert hat. Er will wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren. Wäre da nicht ein gewisses Innehalten und ein die Lage neu Überdenken geboten?

Nein! Noch am Abend werden einträchtig zwei ebenfalls gigantische „Sondervermögen“ plus entsprechender Grundgesetzänderung durch den schon die Koffer packenden Bundestag versprochen.

Will die EU jetzt, störrisch und von allen guten Geistern verlassen, den irren Krieg in der Ukraine weiterführen? Gegen Russland? – Wieder auch die Deutschen gegen Russland?

Das ist, was Angst machen muss! Geht es doch um Frieden, ohne den Alles nichts ist – um ein Ende des sinnlosen Sterbens!

Die Aufgabe unserer Massenmedien wäre da doch, und das ist ein Aufruf: voraus zu gehen und verbal abzurüsten! Sich den Realitäten des Krieges und seiner Ursachen zu stellen! Nicht Sprachrohr der Kriegstreiber zu sein, sich der „wertebasierten“ Doppelmoral zu verweigern, und auch die „…Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht (zu) verleugnen.“ (Beethoven 1789, im ersten Jahr der Französischen Revolution) !

Mit freundlichen Grüßen –

Jost Aé

Osterbotschaft

1 Apr

Was wäre aktuell dringlicher?

J. F. Kennedy Rede am 10. Juni 1963, ermordet 165 Tage darauf, am 22. November. Chruschtschow entmachtet ein Jahr später am 14. Oktober 1964!

AMERICAN UNIVERSITY COMMENCEMENT ADDRESS – GERMAN

Präsident John F. Kennedy
Washington, D.C.
10.Juni1963

Präsident Anderson, Mitglieder der Fakultät und des Kuratoriums, verehrte Gäste, Senator Bob Byrd, mein Kollege von früher, der sich seinen Abschluss durch den jahrelangen Besuch von Abendkursen einer juristischen Fakultät verdient hat, wohingegen ich meinen in den nächsten 30Minuten erhalten werde, verehrte Gäste, meine Damen und Herren,

es ist mir eine große Ehre, an dieser Feier der American University teilzunehmen, die von der Methodistenkirche gefördert und von Bischof John Fletcher Hurst gegründet wurde. 1914 eröffnete hier Präsident Woodrow Wilson zum ersten Mal die Tore dieser Bildungseinrichtung. Dies ist eine junge und wachsende Universität, doch schon jetzt wird sie der aufgeklärten Hoffnung von Bischof Hurst gerecht: Er wollte, dass in einer Stadt, in der Geschichte geschrieben wird und in der man sich der Durchführung öffentlicher Aufgaben widmet, Studien in Geschichte und öffentlichen Angelegenheiten angeboten werden. Die Methodisten dieser Region und die Nation verdienen unseren Dank dafür, dass sie diese weiterführende Bildungseinrichtung gefördert haben, damit sie unabhängig von Hauptfarbe oder Glaube von all denjenigen genutzt werden kann, die sich fortbilden möchten. Ich gratuliere den Studenten, denen heute ein akademischer Grad verliehen wird.

Professor Woodrow Wilson sagte einmal, dass jeder Universitätsabsolvent sowohl ein Vertreter seiner Nation als auch ein Vertreter seiner Zeit sein sollte. Ich bin zuversichtlich, dass die Männer und Frauen, welche die Ehre haben, einen Abschluss dieser Bildungseinrichtung zu erlangen, auch in Zukunft ihr Leben und ihre Talente dazu nutzen werden, um in hohem Maße der Öffentlichkeit zu dienen und sie zu unterstützen.

„Nur wenige Dinge auf Erden übertreffen die Schönheit einer Universität“, schrieb John Masefield in seiner Lobesrede an englische Universitäten. Bis heute haben seine Worte nichts an Wahrheit eingebüßt. Dabei bezog er sich jedoch nicht auf Spitzen, Türme, die Grünanlagen des Universitätsgeländes oder die efeuumrankten Mauern. Er bewunderte die grandiose Schönheit von Universitäten, weil sie „Orte sind, an denen sich diejenigen, die Unwissenheit hassen, dem Lernen widmen können, und an denen diejenigen, die Wahrheit erkennen, dafür sorgen können, dass anderen die Augen geöffnet werden“.

Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, jetzt und hier über ein Thema zu sprechen, bei dem man zu oft auf Unwissenheit stößt und bei dem die Wahrheit zu selten erkannt wird, obwohl es sich bei ihm um das wichtigste Thema auf der ganzen Welt handelt: den Weltfrieden.

Von welcher Art Frieden spreche ich? Welche Art Frieden streben wir an? Es geht hier nicht um eine PaxAmericana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. Auch geht es nicht um den Frieden des Grabes oder um die Sicherheit der Sklaven. Ich spreche von echtem Frieden, von der Art Frieden, die das Leben auf der Erde lebenswert macht, von der Art Frieden, durch die Menschen und Nationen wachsen, hoffen und für ihre Kinder die Grundlage einer besseren Zukunft legen können. Ich spreche nicht nur von Frieden für Amerikaner, sondern von Frieden für alle Männer und Frauen. Auch geht es nicht nur darum, dass in unserer Zeit Frieden herrscht, sondern für alle Zeiten.

Ich spreche von Frieden, weil sich das Gesicht des Krieges verändert hat. Totaler Krieg ist in einem Zeitalter sinnlos, in dem Großmächte viele und relativ unbezwingbare Atomwaffen unterhalten können und sich weigern, ohne Einsatz dieser Waffen zu kapitulieren. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die Explosion einer einzigen Atomwaffe nahezu zehnmal so stark ausfällt wie die Waffen aller alliierten Luftstreitkräfte des Zweiten Weltkriegs zusammen. Er ist sinnlos in einem Zeitalter, in dem die tödlichen Gifte, die bei einem atomaren Austausch freigesetzt werden, mit Wind, Wasser, Erde und Saatgut in die entlegensten Winkel dieser Erde gebracht und Generationen, die noch nicht einmal geboren wurden, davon in Mitleidenschaft gezogen werden würden.

Derzeit müssen wir zur Friedenssicherung jedes Jahr Milliarden von Dollar für Waffen ausgeben, die nur gekauft werden, damit wir sie niemals einsetzen. Der Erwerb eines solch ungenutzten Arsenals, das ausschließlich zu zerstörerischen, nicht jedoch zu konstruktiven Zwecken eingesetzt werden könnte, ist sicherlich nicht die einzige und schon gar nicht die effizienteste Methode der Friedenssicherung.

Ich spreche daher von Frieden als das notwendige rationale Ziel vernünftiger Menschen. Ich stelle fest, dass das Streben nach Frieden weniger dramatisch ist als das Streben nach Krieg, und die Worte desjenigen, der Frieden fordert, verhallen häufig ungehört. Dennoch ist dies unsere dringlichste Aufgabe.

So mancher sagt, dass es sinnlos sei, von Weltfrieden, weltweit gültigen Gesetzen oder globaler Abrüstung zu sprechen, und dass dies so lange der Fall sein wird, bis die Machthaber der Sowjetunion eine aufgeklärtere Haltung einnehmen. Ich hoffe, sie werden das tun, und denke, dass wir sie dabei unterstützen können. Ich denke aber auch, dass wir unsere eigene Haltung als Einzelne und als Nation erneut hinterfragen sollten, da sie eine genauso wichtige Rolle spielt wie die der Sowjetunion. Jeder Absolvent dieser Hochschule und jeder gewissenhafte Bürger, der Krieg ablehnt und Frieden herbeisehnt, sollte damit beginnen, nach innen zu blicken, indem er überlegt, welche Einstellung er in Bezug auf die Möglichkeit des Friedens, die Sowjetunion, den Verlauf des Kalten Krieges und Freiheit und Frieden hier im eigenen Land vertritt.

Hierzu mein erster Punkt: Lassen Sie uns überlegen, wie wir zum Frieden an sich stehen. Zu viele Menschen unter uns glauben, dass es nicht möglich sei, in Frieden zu leben. Zu viele denken, dass dies unrealistisch sei. Dies ist jedoch eine gefährliche, defätistische Ansicht. Sie führt zu der Schlussfolgerung, dass Krieg unvermeidbar ist und dass die Menschheit dem Schicksal verfallen ist und von Kräften geleitet wird, die sie nicht kontrollieren kann.

Wir müssen diese Ansicht nicht akzeptieren. Unsere Probleme wurden von Menschen verursacht, weshalb sie auch von Menschen gelöst werden können. Ein Mensch kann all das erreichen, was er sich vornimmt. Kein Problem, das mit dem menschlichen Schicksal in Verbindung gebracht wird, übersteigt menschliche Fähigkeiten. Menschen haben schon oft unter Einsatz ihrer Vernunft und ihres Geistes scheinbar unüberwindbare Probleme gelöst, und wir glauben, dass sie dazu auch in Zukunft in der Lage sein werden.

Ich beziehe mich hier nicht auf das absolute, grenzenlose Konzept von Frieden und Wohlwollen, von dem einige phantasieren und Fanatiker träumen. Ich möchte gar nicht leugnen, wie wichtig Hoffnungen und Träume sind, aber wir rufen lediglich Enttäuschung und Unglaubwürdigkeit hervor, wenn wir dieses Konzept zu unserem einzigen, unmittelbaren Ziel machen.

Wir sollten uns stattdessen auf eine praktischere Art von Frieden konzentrieren, die sich eher erzielen lässt und die nicht auf einer plötzlichen Umwälzung der menschlichen Natur basiert, sondern auf einer allmählichen Evolution der menschlichen Institutionen, auf einer Reihe konkreter Maßnahmen und wirksamer Vereinbarungen, die im Interesse aller Beteiligten stehen. Für diese Art von Frieden gibt es keine einfache Lösung, die allein zu Erfolg führt, keine großartige Zauberformel, die von einer oder zwei Großmächten angewandt werden könnte. Echter Frieden muss das Produkt zahlreicher Nationen sein, die Summe vieler Maßnahmen. Er muss dynamischer und nicht statischer Natur sein, und er muss an die veränderten Herausforderungen jeder neuen Generation angepasst werden. Denn bei Frieden handelt es sich um einen Prozess, um eine Methode, Probleme zu lösen.

Bei solch einem Frieden wird es dennoch zu Streitigkeiten und Interessenkonflikten kommen, wie dies für Familien und Nationen eben einmal typisch ist. Für Weltfrieden, wie auch für den Frieden innerhalb einer Gemeinschaft, ist es nicht erforderlich, dass jeder Mensch seinen Nachbarn liebt. Es ist lediglich erforderlich, dass sie in der Lage sind, durch gegenseitige Toleranz zusammenzuleben und Streitpunkte auf gerechte und friedliche Weise beizulegen. Die Geschichte lehrt uns ja, dass Feindschaften zwischen Nationen nicht ewig andauern, und dies gilt auch für Menschen. Wie tief unsere Vorlieben und Abneigungen auch verwurzelt sein mögen, die Beziehungen zwischen Nationen und Nachbarn verändern sich im Laufe der Zeit und unter Berücksichtigung neuer Ereignisse oft auf überraschende Weise.

Lassen Sie uns daher beharrlich sein. Es muss nicht sein, dass Frieden nicht zu verwirklichen ist, und Krieg muss nicht unvermeidbar sein. Wenn wir unser Ziel genauer definieren, wenn wir dafür sorgen, dass es realisierbarer und greifbarer erscheint, dann können wir einen Beitrag dazu leisten, dass das Ziel von allen Menschen erkannt wird, dass es in ihnen Hoffnung hervorruft und dass wir uns unaufhaltsam immer weiter auf dieses Ziel zubewegen.

Nun zu meinem zweiten Punkt: Lassen Sie uns noch einmal überlegen, wie wir zur Sowjetunion stehen. Denken wir, dass die politische Führung dieses Landes das glaubt, was ihre Propagandisten schreiben, dann ist dies entmutigend. Es ist entmutigend, wenn wir einen kürzlich veröffentlichten amtlichen Text der Sowjetunion über Militärstrategie lesen und dabei auf jeder einzelnen Seite auf vollkommen haltlose und unglaubliche Behauptungen stoßen. Unter anderem wird darin behauptet, dass sich „amerikanische imperialistische Kreise darauf vorbereiten, verschiedenartige Kriege auszulösen … dass eine äußerst reelle Bedrohung vorhanden ist, dass amerikanische Imperialisten gegen die Sowjetunion einen Präventivkrieg auslösen … [und dass] die politischen Ziele der amerikanischen Imperialisten darin bestehen, die europäischen und anderen kapitalistischen Länder wirtschaftlich und politisch zu versklaven … [und] sie die Weltherrschaft erlangen wollen, … indem sie aggressive Kriege führen.“

Es stimmt schon, was vor langer Zeit geschrieben wurde: „Der Frevler flieht, auch wenn ihn keiner verfolgt.“ Dennoch stimmt es traurig, wenn man diese sowjetischen Aussagen liest und sich bewusst wird, wie tief die Kluft ist, die uns trennt. Diese Aussagen dienen uns aber auch als Warnung, als Warnung an das amerikanische Volk, nicht in dieselbe Falle zu tappen wie die Sowjets, nicht nur eine verzerrte, verzweifelte Ansicht der gegnerischen Seite zu sehen, Konflikt nicht als unabwendbar zu betrachten, Entgegenkommen nicht als unmöglich und Kommunikation als nicht viel mehr als ein Austausch von Drohungen.

Kein Regierungs- oder Gesellschaftssystem ist so übel gesinnt, dass die ihm angehörigen Menschen als tugendlose Wesen zu betrachten sind. Wir Amerikaner finden Kommunismus zutiefst abstoßend, weil in ihm persönliche Freiheit und Würde negiert werden. Trotzdem können wir den Russen aufgrund ihrer zahlreichen Errungenschaften zujubeln, in Wissenschaft und Raumfahrt, beim wirtschaftlichen und industriellen Wachstum, in der Kultur und bei mutigen Handlungen.

Unter all den Charakteristika, die die Menschen unserer beiden Länder gemein haben, ist keines so stark wie unsere einvernehmliche Verachtung von Krieg. Wir haben noch nie gegeneinander Krieg geführt, was unter den wichtigsten Weltmächten fast einzigartig ist. Und in der Kriegsgeschichte hat noch nie eine Nation dermaßen viel Leid ertragen müssen wie die Sowjetunion im Laufe des Zweiten Weltkriegs. Damals kamen mindestens 20Millionen Menschen ums Leben. Unzählige Millionen Wohnhäuser und Bauernhöfe wurden niedergebrannt oder geplündert. Ein Drittel des Staatsgebiets, und hierzu zählten fast zweiDrittel seiner industriellen Basis, wurden in eine Öde verwandelt. Dieser Verlust ist der Zerstörung gleichzusetzen, die man in diesem Land östlich von Chicago erlebt hat.

Sollte heutzutage noch einmal ein totaler Krieg ausbrechen, egal wie, dann wären unsere beiden Länder die Hauptangriffsziele. Es ist ironisch und zugleich wahr, dass die zwei mächtigsten Staaten auch die sind, die am stärksten von Verwüstung bedroht sind. Alles, was wir aufgebaut haben, alles, wofür wir gearbeitet haben, würde in den ersten 24Stunden zerstört werden. Und selbst im Kalten Krieg, durch den so viele Nationen– und darunter auch die engsten Alliierten dieser Nation– belastet und gefährdet werden, tragen unsere beiden Länder die schwerste Last. Denn beide Länder geben gewaltige Summen für Waffen aus, obwohl diese Gelder besser für die Bekämpfung von Unwissenheit, Armut und Krankheiten verwendet werden könnten. Beide Länder sind in einem gefährlichen Teufelskreis gefangen, in dem das Misstrauen, das auf einer Seite herrscht, auch auf der anderen Seite Misstrauen hervorruft. So führen neue Waffen dazu, dass auch auf der anderen Seite das Waffenarsenal vergrößert wird.

Kurzum, sowohl die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten als auch die Sowjetunion und ihre Alliierten haben ein tiefes, auf Gegenseitigkeit beruhendes Interesse daran, dass ein gerechter und ehrlicher Frieden herrscht und dem Wettrüsten Einhalt geboten wird. Zu diesem Zweck getroffene Vereinbarungen stehen sowohl im Interesse der Sowjetunion als auch in unserem Interesse. Und selbst die feindlichsten Nationen werden die Verpflichtungen, die sie in einem Abkommen eingegangen sind und die in ihrem eigenen Interesse stehen, verlässlich akzeptieren und einhalten— und zwar nur diese.

Lassen Sie uns daher unsere Differenzen nicht ignorieren, aber wir müssen uns auch auf unsere gemeinsamen Interessen konzentrieren und darauf, wie wir diese Differenzen überwinden können. Und sollten wir nicht in der Lage sein, unseren Differenzen jetzt ein Ende zu setzen, so können wir zumindest einen Beitrag dafür leisten, dass auf dieser Welt eine sichere Grundlage für Vielfalt gelegt wird. Letzten Endes besteht unsere grundlegendste Gemeinsamkeit darin, dass wir alle auf diesem kleinen Planeten leben. Wir alle atmen dieselbe Luft. Uns allen liegt die Zukunft unserer Kinder am Herzen. Und wir alle sind sterblich.

Ich fahre nun mit meinem dritten Punkt fort: Lassen Sie uns noch einmal überlegen, welche Haltung wir in Bezug auf den Kalten Krieg vertreten, und dabei daran denken, dass es hier nicht um eine Debatte geht, bei der jeder versucht, möglichst viele Punkte zu sammeln. Wir möchten hier weder Schuldzuweisungen machen noch jemanden verurteilen. Wir müssen die Welt so nehmen, wie sie ist, und können nicht so tun, als wäre die Geschichte der vergangenen 18Jahre anders verlaufen.

Wir müssen das Streben nach Frieden daher beharrlich in der Hoffnung fortsetzen, dass durch konstruktive Veränderungen im kommunistischen Block Lösungen möglich sein werden, die wir momentan noch für unrealistisch halten. Wir müssen unseren Angelegenheiten so nachgehen, dass es im Interesse der Kommunisten sein wird, einem echten Frieden zuzustimmen. Wir werden unsere eigenen Hauptinteressen verfolgen, vor allem müssen die Atommächte jedoch Konfrontationen abwenden, bei denen ein Gegner nur die Wahl zwischen demütigendem Rückzug und Atomkrieg hat. Würde man im atomaren Zeitalter einen solchen Kurs einschlagen, wäre dies lediglich ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder dafür, dass wir der ganzen Welt den kollektiven Tod wünschen.

Zu diesem Zweck sollen die amerikanischen Waffen nicht provozieren, sondern sie werden sorgsam kontrolliert, sie dienen der Abschreckung und sie können selektiv eingesetzt werden. Unsere Streitkräfte setzen sich für Frieden ein und handeln diszipliniert, indem sie Selbstbeherrschung zeigen. Unsere Diplomaten wurden angewiesen, unnötige Ärgernisse und rein rhetorische Animosität zu vermeiden.

Wir können uns um Entspannung bemühen, ohne in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Und wir müssen unsererseits nicht auf Drohungen zurückgreifen, um unsere Entschlossenheit unter Beweis zu stellen. Wir müssen nicht die Ausstrahlung ausländischer Sendungen stören, weil wir fürchten, dass unser Glaube erschüttert wird. Wir sind nicht willens, Menschen unser System aufzuzwingen, die daran kein Interesse haben, aber wir sind willens und auch dazu in der Lage, mit jedem beliebigen Volk dieser Erde in friedlichen Wettbewerb zu treten.

Zwischenzeitlich bemühen wir uns, die Institution der Vereinten Nationen zu stärken, damit sie ihre Finanzprobleme lösen kann, zu einem wirksameren Instrument für Frieden wird und sich in ein echtes Weltsicherheitssystem weiterentwickeln lässt, durch das sich Dispute rechtlich lösen lassen, die Sicherheit großer und auch kleiner Staaten gewährleistet werden kann und Bedingungen geschaffen werden, unter denen eine Abrüstung letztendlich möglich ist.

Zugleich versuchen wir, den Frieden in der nichtkommunistischen Welt zu sichern. Dort teilt sich die Meinung vieler Nationen, die alle zu unseren Freunden gehören, wenn es um Themen geht, durch die die westliche Einheit geschwächt, die kommunistische Intervention herausgefordert oder der Ausbruch eines Krieges droht. Wir haben im Rahmen unserer Anstrengungen in West-Neuguinea, im Kongo, im Nahen Osten und auf dem indischen Subkontinent trotz beidseitiger Kritik beständig und geduldig gehandelt. Auch haben wir versucht, anderen ein Beispiel zu geben, indem wir uns bemühten, kleine, aber entscheidende Differenzen mit unseren eigenen direkten Nachbarn, Mexiko und Kanada, aus dem Weg zu räumen.

Und wenn wir gerade von anderen Nationen reden, möchte ich eines ganz klar sagen: Wir sind mit vielen Nationen Bündnisse eingegangen. Diese Bündnisse sind darauf zurückzuführen, dass unsere Bedenken und die Bedenken unserer Partner im Wesentlichen übereinstimmen. Unsere Verpflichtung, beispielsweise Westeuropa und West-Berlin zu verteidigen, ist aufgrund des Wesens unserer Basisinteressen ungeschmälert. Die Vereinigten Staaten werden mit der Sowjetunion kein Abkommen treffen, durch das andere Nationen und andere Völker Nachteile erleiden, und zwar nicht nur, weil diese Staaten zu unseren Partnern zählen, sondern auch, weil unsere gemeinsamen Interessen immer ähnlicher werden.

Unsere Interessen gleichen sich jedoch nicht nur dahingehend an, dass die Grenzen der Freiheit verteidigt werden, sondern auch bei der Suche nach friedensstiftenden Wegen. Unsere Hoffnung– und der Zweck alliierter Politik– ist es, die Sowjetunion davon zu überzeugen, dass auch sie andere Nationen selbst entscheiden lassen sollte, welchen Weg sie in Zukunft gehen möchten. Dies gilt, solange die Wahl einer Nation die Wahl einer anderen Nation nicht beeinträchtigt. Der kommunistische Drang, anderen das eigene politische und wirtschaftliche System aufzuzwingen, ist die Hauptursache dafür, dass in der Welt zurzeit Spannung herrscht. Zweifelsohne ließe sich Frieden leichter sichern, wenn es alle Nationen unterlassen würden, sich in die Entscheidungen anderer einzumischen.

Hierzu wird es erforderlich sein, dass neue Anstrengungen im Hinblick auf die Verabschiedung weltweit gültiger Gesetze unternommen werden, die einen neuen Kontext für globale Diskussionen darstellen würden. Hierzu müsste jedoch ein besseres Verständnis zwischen den Sowjets und uns aufgebaut werden. Und für ein besseres Verständnis ist ein höheres Maß an Kontakt und Kommunikation notwendig. Ein Schritt in diese Richtung ist der Vorschlag, eine direkte Telefonleitung zwischen Moskau und Washington einzurichten, damit auf beiden Seiten die gefährlichen Verzögerungen, Missverständnisse und Fehlinterpretationen der Handlungen des Gegenübers vermieden werden können, zu denen es in Krisenzeiten kommen könnte.

Darüber hinaus haben wir uns in Genf auch über andere erste Maßnahmen zur Rüstungskontrolle unterhalten, durch die dem Wettrüsten der Wind aus den Segeln genommen und das Risiko eines versehentlich ausgelösten Krieges vermindert werden soll. In Genf geht es uns jedoch vorwiegend um ein langfristiges Ziel: die allgemeine und vollständige Abrüstung. Sie soll phasenweise stattfinden, damit zeitgleich politische Entwicklungen zum Aufbau der neuen Institutionen des Friedens möglich sind, die an die Stelle von Waffen treten würden. Diese Regierung setzt sich bereits seit den 1920er Jahren für Abrüstung ein. Schon die letzten dreiRegierungen forderten sie dringend. Und unabhängig davon, wie düster die Perspektiven derzeit sein mögen, wollen wir diese Anstrengung weiterführen, damit man in allen Ländern– auch bei uns– besser verstehen kann, welche Probleme und Möglichkeiten mit Abrüstung einhergehen.

Einer der Hauptbereiche dieser Verhandlungen, in dem zwar das Ende in Sicht, ein frischer Start jedoch dringend geboten ist, besteht in einem Abkommen über das Verbot von Atomtests. Durch den Abschluss eines solchen Abkommens, das so nah und doch so fern ist, ließe sich dem außer Kontrolle geratenen Wettrüsten in einem seiner gefährlichsten Bereiche Einhalt gebieten. Dadurch wären die Atommächte imstande, wirksamer etwas gegen eine der größten Gefahren zu unternehmen, denen die Menschheit im Jahr 1963 ausgesetzt ist: der weiteren Ausbreitung von Atomwaffen. Unsere Sicherheit ließe sich steigern, und die Wahrscheinlichkeit eines Krieges fiele geringer aus. Dieses Ziel ist gewiss wichtig genug, um sich dauerhaft dafür einzusetzen. Dabei sollten wir weder der Versuchung nachgeben, die Anstrengung ganz einzustellen, noch der Versuchung, wichtige und verantwortungsbewusste Schutzmaßnahmen dafür aufzugeben.

Ich möchte diese Gelegenheit daher nutzen, um zwei wichtige Entscheidungen bekanntzugeben, die in dieser Hinsicht getroffen wurden:

Erstens: Vorsitzender Chruschtschow, Premierminister Macmillan und ich haben beschlossen, dass in Moskau bald auf hochrangiger Ebene Gespräche eingeleitet werden, durch die es zu einer frühzeitigen Übereinkunft im Hinblick auf ein Abkommen über das umfassende Verbot von Atomtests kommen soll. Unsere Hoffnungen müssen aufgrund der Vorsicht, die uns die Geschichte gelehrt hat, gedämpft werden, aber unsere Hoffnungen werden durch die Hoffnungen der ganzen Menschheit begleitet.

Zweitens: Um unseren guten Glauben und unsere ernstgemeinten Überzeugungen in dieser Hinsicht unter Beweis zu stellen, erkläre ich jetzt, dass die Vereinigten Staaten nicht beabsichtigen, Atomtests in der Atmosphäre durchzuführen, solange dies auch von anderen Staaten unterlassen wird. Wir werden nicht die Ersten sein, die diese Tests wieder aufnehmen. Solch eine Erklärung ist kein Ersatz für ein formales Abkommen mit Bindungswirkung, aber ich hoffe, dass ein Abkommen dieser Art dadurch leichter abgeschlossen werden kann. Genauso ist ein solches Abkommen kein Ersatz für Abrüstung, aber ich hoffe, dass wir diese Abrüstung dadurch leichter erzielen können.

Meine amerikanischen Mitbürger, lassen Sie uns abschließend überlegen, welche Haltung wir in Bezug auf Frieden und Freiheit im eigenen Lande vertreten. Die Qualität und das Wesen unserer eigenen Gesellschaft müssen unsere Bemühungen im Ausland rechtfertigen und unterstützen. Dies müssen wir unter Beweis stellen, indem wir in unserem eigenem Leben Engagement zeigen. Viele von Ihnen, denen heute ein Universitätsabschluss verliehen wird, werden hierzu eine einzigartige Gelegenheit haben, indem Sie ehrenamtlich für das Friedenskorps im Ausland oder im geplanten nationalen Dienstkorps hier im eigenen Lande dienen.

Wo immer wir uns auch aufhalten, wir alle müssen im Alltag am uralten Glauben festhalten, dass Frieden und Freiheit zusammengehören. In zu vielen unserer Städte können wir uns heute dem Frieden nicht gewiss sein, weil die Freiheit eingeschränkt ist.

Es liegt im Verantwortungsbereich der Exekutive, auf allen Regierungsebenen– lokal, bundesstaatlich und national– und unter Zuhilfenahme aller ihr zur Verfügung stehender Mittel dafür zu sorgen, dass alle Bürger frei sind und diese Freiheit bewahrt wird. Die Legislative ist auf allen Ebenen dafür zuständig, dort für angemessene Befugnisse zu sorgen, wo dies derzeit nicht der Fall ist. Und es liegt in der Verantwortung aller Bürger in allen Teilen dieses Landes, die Rechte aller Mitbürger zu achten und sich an das in diesem Land geltende Recht zu halten.

All dies steht in einem Zusammenhang zum Weltfrieden. „Wenn jemands Wege dem Herrn wohl gefallen“, so steht es in der Heiligen Schrift, „macht er auch seine Feinde mit ihm zufrieden“. Und ist Frieden letztendlich nicht einfach eine Frage der Menschenrechte? Das Recht, unser Leben ohne Furcht vor Zerstörung zu leben, das Recht, saubere Luft zu atmen, und das Recht künftiger Generationen, ein gesundes Dasein zu führen?

Lassen Sie uns beim Wahren unserer nationalen Interessen auch die Interessen der Menschheit wahren. Und das Beseitigen von Krieg und Waffen dient offensichtlich beiden Interessen. Allerdings kann kein Abkommen, so sehr auch alle davon profitieren mögen und so genau es auch formuliert sein mag, im Hinblick auf die Risiken der Täuschung und Umgehung absolute Sicherheit bieten. Ist es jedoch bei der Umsetzung wirksam genug und steht es in hinreichendem Maße im Interesse der Unterzeichnenden, so kann es weit mehr Sicherheit bieten und weit weniger Risiken bergen als ein unvermindertes, unkontrolliertes und unvorhersehbares Wettrüsten.

Die Vereinigten Staaten werden, und das weiß man in der Welt, niemals einen Krieg beginnen. Wir wollen keine Kriege. Auch jetzt gehen wir nicht davon aus, dass es zu einem Krieg kommen wird. Diese Generation der Amerikaner hat bereits genug, mehr als genug, Krieg, Hass und Unterdrückung erlebt. Wir sollten jedoch vorbereitet sein, falls andere diesen Wunsch hegen. Wir sollten wachsam sein, um einen solchen Krieg möglichst zu unterbinden. Wir sollten aber auch unseren Beitrag leisten, wenn es darum geht, eine Welt des Friedens zu errichten, in der die Schwachen sicher und die Starken gerecht sind. Weder stehen wir dieser Aufgabe hilflos gegenüber noch fehlt uns der Glaube an ihren Erfolg. Wir sind zuversichtlich und furchtlos, und wir engagieren uns weiterhin, und zwar nicht für eine Strategie der Vernichtung, sondern für eine Strategie des Friedens.

https://www.jfklibrary.org/de/node/11881

Der Papst und die Ukraine

11 Mär

Und wieder ein „Skandal“

Der Papst empfiehlt Selenski, sich um Friedensverhandlungen mit Russland zu bemühen! Um Frieden! Häh? Skandalös! Und schon hebt das Geschrei der üblichen Verdächtigen an, die nicht müde werden, der Ukraine das Siegen zu lehren – mit unseren Waffen und ihren Soldaten. Agnes Strack-Zimmermann ist „als Katholikin“ entsetzt über das Ansinnen ihres Papstes, und der in Kriegsdingen so bewanderten Präsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, 2011 Präsidentin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, passt die Falschinterpretation des Papstes ebenfalls in ihr krudes Weltbild.
Schaut in die Medien, und ihr werdet im Überfluss all die anderen finden, die ebenso Krokodilstränen vergießen über das Leid der Menschen in der Ukraine, dieses aber nur beendet sehen wollen bei einem Sieg des geschundenen Landes über Putins Russland. Woher dieser Hass der so unreflektiert über (weitere) Leichen geht?

Können die Schreihälse, angefeuert durch die mitverantwortliche Journaille, die sofort das Märchen erfunden hat und unbeirrt verbreitet, das Märchen von der weißen Fahne des Kapitulierens, die der Papst den Ukrainern in die Hand drücken will, können diese hohlköpfigen Kriegsschreier nicht vorher einen Moment innehalten? Wissen sie wirklich nicht, dass die weiße Fahne, die vom Papst gemeinte, die Fahne der Parlamentäre ist, die ausgeschickt werden, um zu verhandeln, und dass Verhandeln etwas anderes ist als Kapitulieren? Hass hat mal jemand gesagt, Hass sei auch Gift für die Demokratie. Recht hat sie!
Der Papst, ein Realist, der dennoch die Liebe predigt, sagt „Wenn man sieht, dass man besiegt ist, dass es nicht gut läuft, muss man den Mut haben, zu verhandeln.“ und Tagesschau kommentierend weiter „Ohne eine der beiden Konfliktparteien Russland oder Ukraine direkt beim Namen zu nennen, fügte er hinzu, ohne Verhandlungen könne die Situation noch schlimmer werden, weshalb man sich dafür nicht schämen solle.“

So sieht die Lage aus, und so sollte sie auch diskutiert werden!

Der Skandal

3 Mär

Auch ich hätte applaudiert

WEIHNACHTEN – DAS BALLETT stürmisch gefeiert

28 Nov

Greifswald. Im trüben November, noch vor Advent und erstem Schnee, präsentierte Ralf Dörnen, Ballettdirektor und Chefchoreograph am Theater Vorpommern, seinen neuen Ballettabend.

„Weihnachten, o Gott, schon wieder!“ – so mag der gestresste Zeitgenosse aufstöhnen und hoffen, dass das alles bald vorbei sei. Wer von derlei depressiv-destruktiven Gedanken geplagt wird, für den hält Ralf Dörnen ein Gegengift bereit.

Ein liebevoller Blick senkt sich auf die biblische Weihnachtsgeschichte. Man muss nicht religiös sein, um zu erfahren, dass da immer, bei jeder Geburt, ein Rest von Geheimnis bleibt. WEIHNACHTEN – DAS BALLETT ist ein Angebot, sich diesen Blick zu eigen zu machen, der vieles streift, was uns an diesem Abend und gewiss auch später noch begegnen wird.

„Maria durch ein Dornwald ging“- mit diesem von den King‘s Singers wunderschön gesungenen Adventslied beginnt Marias Gang durch diesen Abend. Sie ist eine von uns. Sie trägt ein leichtes schlichtes Sommerkleid. Ein Engel verkündet ihr, dass sie schwanger werden und Gottes Sohn zur Welt bringen wird. Was für eine alles verändernde Nachricht!

Und überhaupt – die Engel, diese zwischen Himmel und Erde vermittelnden schwebenden Wesen, ihre Anmut und Kraft scheinen Erdenschwere zu überwinden. Mal ohne, mal mit Flügeln, mal mehr oder weniger geschlechtsneutral gewandet, gleiten sie über die Bühne. Als Johann Sebastian Bachs „Jauchzet, frohlocket“ erschallt, verklären sich ihre Gesichter und tanzend widerspiegeln sie den Jubel dieser ewig jungen Musik. Wer diese Bilder gelungener Symbiose von Tanz und Musik gesehen, wer die kongeniale choreographische Nachzeichnung Bachscher Kontrapunktik im Engelrauschen erlebt hat, wird das alles unverrückbar in Erinnerung behalten – ja, er wird diese Musik neu und anders hören, wo immer sie ihm begegnet, und sei‘s im Supermarkt.

Und genau dorthin, in die unvermeidliche Weihnachts-Konsumwelt nimmt uns das Ballett mit. Weihnachtsmänner, inflationär schon Wochen vor Advent und Fest als Deko und in Schokolade omnipräsent, führen hier, quicklebendig und auf ihr lästiges Image pfeifend, einen übermütigen Tanz mit vollbepackten Einkaufswagen auf, der in halsbrecherisch akrobatischen Fahrten über den leeren Bühnenboden und natürlich in einer turbulenten Paketschlacht enden muss. Fröhliches Chaos! Aber das Chaos lässt sich steigern. Deutsches Familienweihnachtsidyll: Die Frau am Herd, die Gans im Ofen, der Mann streitende Geschwister neutralisierend, Besuch von Oma und Opa, und Onkel und Tante mit Kind, Alkohol, Geschenke … Erst nur im Hintergrund rumorend, doch schon nichts Gutes ahnen lassend, Ravels Bolero. Was für ein Einfall! Im Gleichschritt mit dem unerbittlichen Crescendo des spanischen Tanzes kann die Situation herrlich eskalieren. Opa trinkt als erster über den Durst, Geschenke treffen nicht auf Gegenliebe, flirtende Blicke treffen auf die Falsche, hungrige Mäuler nicht auf Nahrung und die eifersüchtige Hausfrau verliert das Wichtigste aus den Augen. Die Gans – man hat es lang erwartet – qualmt aus dem Ofen, die Fetzen fliegen, nichts bleibt wie und wo es war. Dann, endlich, finden Chaos und Bolero gemeinsam ihren finalen Akkord. Der Vorhang fällt, Pause.

Nach der Pause rollen aus über vierhundert Metern weißen Tülls gefertigte Schneeflockenkostüme über die Bühne, die ihren Trägern Gelegenheit zu den witzigsten Kapriolen bieten und das Publikum zu herzlichem Applaus verführen. Spontanen Beifall gab es auch für die märchenhaften, variierbaren Vorhänge aus gefühlt tausend kleinen Lichtquellen.

Ob man sich an Inszenierungen erinnert, hängt nicht wenig von nachhaltigen visuellen Eindrücken ab. Spätestens hier muss Cornelia Brey, für Bühne und Kostüme verantwortlich, gewürdigt werden. Erstaunlich sicher schuf sie ideale Tanz- und Spielräume und entwarf schöne, unprätentiöse Kostüme, die den Tänzerinnen und Tänzern und den von ihnen zu verkörpernden Figuren bestens dienen. Wie Marias Kleid, leben auch die Kostüme der Engel von ihrer Schlichtheit, und auch die angehefteten Flügel entgehen stilsicher der Gefahr, in die Kitschfalle zu schlittern.

Generell zum Licht! Es schafft an diesem Abend keinen heimeligen Weihnachtsglanz, sondern für die jeweiligen Regieabsichten die gewünschte atmosphärische Verfremdung, jedem Anhauch von Rührseligkeit vorbeugend!

Der zweite Teil des Abends findet schnell wieder in seinen für diesen Anlass wohltuend gewählten Rhythmus der Reihung weltlich und religiös motivierter Szenen. Zum Ende schließt sich der Kreis mit drei Nummern aus dem Weihnachtsoratorium von Saint-Saëns. Maria erfährt die Geburt ihres Kindes, das später von sich sagen wird „Ich bin das Licht derWelt“, nun, zum Schluss, noch einmal – als Geburt dieses Lichts.

Ralf Dörnen wäre aber nicht der professionelle Choreograph, der er ist, entließe er sein Publikum mit dieser besinnlichen, entschleunigenden Sequenz. Zum Schlussapplaus darf sein mit glücklicher Hand neu komplettiertes Ensemble ein letztes mal voll aufdrehen. So konnte das buntgemischte Premierenpublikum noch leichter seiner Begeisterung freien Lauf lassen – und spendete langen, nicht enden wollenden stürmischen Beifall. Für alle hochverdient!

Erfolgreiche „Zwei Männer ganz nackt“ von Sébastian Thiéry

18 Nov

am Theater Vorpommern

Der Titel zieht! Besonders Frauen! Paarweise oder in Grüppchen. Junge, Jüngere und Damen mittleren Alters vorzüglich. Ganz nackt – das ist trotz allgegenwärtiger Sexualisierung unseres zivilen bürgerlichen Lebens noch immer gewöhnungsbedürftig. In der Öffentlichkeit ein Tabu, das, gebrochen, polizeiliche Maßnahmen nach sich zieht. Im Paradies war „ganz nackt“ Symbol für sündlose Freiheit – unter Gottes Auge. Aber wir wissen, wie es endete!

Anders im Theater. Ein kurzer verlegen erregender Schauer mag wohl einigen Zuschauern weiblichen und männlichen Geschlechts über den Rücken gelaufen sein, als unvermittelt ein völlig ungeschützt nackter, wohlgestalter Mann, durch den Ruf seines Handys geweckt, auf die Bühne stürzte. Als dann die Handlung Fahrt aufnahm und ein zweiter Nackter eher lässig die Szene betrat gab es noch vergleichende Blicke, aber man hatte sich schon gewöhnt!

Der Regie (Oliver Scheer) gelingt, dass es nie peinlich für den Zuschauer wird, da hier nicht sexualisierte Nacktheit zu Markte getragen wird. Das macht den Rang der Inszenierung aus. Nicht das Nacktsein an sich führt zu Heiterkeit im Publikum, sondern die Komik vielfach wiederholter Bemühungen der Männer, ihre Blöße zu bedecken, anstatt sich endlich mal anzuziehen! Dabei helfen ihnen den Bühnenraum schlicht strukturierend herabhängende weiße Voiles (Bühne und Kostüme – Xenia Hufschmidt)!

Wenngleich das durchgehende Thema des Stücks Sexualität ist, genauer Homosexualität, so wird sie hier nicht plump vorgeführt. Sexuelle Anspielungen werden ironisch gebrochen, mit indiziösen Fundstücken verdächtigen Tuns wird humorvoll gespielt. Die Komik der Komödie speist sich aus der Absurdität eines verdrängten, komplett ausfallenden Erinnerungsvermögens.

Die zwei Männer müssen verschreckt feststellen, dass sie sich kennen: Nicolas Prioux (Ronny Winter) und sein Chef Alain Kramer (Jan Bernhardt).

Dramatische Zuspitzung erfährt die verfahrene Situation durch das Erscheinen von Alains Ehefrau Catherine (Maria Steurich). Jede Notlüge, jeder hilflose Versuch ihres Mannes, sich zu rechtfertigen, macht es nur noch schlimmer – zum Vergnügen des Publikums. Man wird nie genau erfahren, ob sie ihn nicht ganz gern überführen würde – auch als Erklärung für die ganze, wie sich nach und nach herausstellt, Misere ihres beider verfehlten Ehelebens.

Zum Erfolg dieser Inszenierung trägt ganz maßgeblich das glückliche durch die Regie erlaubte Ausagieren schauspielerischen Könnens bei.

Jan Bernhardt darf als hilfloser Chef und vermeintlich bester Ehemann seinem Affen Zucker geben. Ständig schwankend zwischen depressivem Kleinmut und manischer Hektik, versucht er einen Rettungsanker für sein altes Leben zu finden. Das missrät so gründlich wie komisch. Mit melancholischen Momenten, die Bernhardts starke Bühnenpräsenz komplettieren, berührt er das Herz und gewinnt endgültig die Sympathie des Publikums als ein moderner „Ritter von der traurigen Gestalt“.

Ronny Winter dagegen besticht durch die glaubhafte Gestaltung eines ganz anderen Charakters. Changierend zwischen Naivität und Gerissenheit, mit sympathischem Charme und jugendlicher Lässigkeit, ficht ihn das Heikle der Situation kaum an. Erst als er gegen Ende aussteigt und seinem Chef kündigt, scheint hinter einer scheuen Anhänglichkeit und wissender Überlegenheit ein Ernst auf, der auch seinerseits eine gewisse Tragik ahnen lässt.

Maria Steurich ist mit der Aufgabe betreut, die eigentliche Spielmeisterin im Stück zu sein. Als Frau Kramer hat sie vermeintlich alles im Griff. Modern, emanzipiert, ungeeignet eine Opferrolle zu übernehmen, will sie, vorgeblich, lediglich wissen, woran sie ist. Sie hat wenig Grund, Empathie oder andere echte Gefühle zu zeigen. Deshalb lässt sie auch nicht ahnen, welche Konsequenzen sie aus eventuellen Ergebnissen ihrer intriganten Ermittlungen ziehen würde. Das macht ihre Figur nicht gerade sympathisch. Wie aber Maria Steurich, leicht augenzwinkernd, ihre Aufgabe erfüllt, das überzeugt und bringt auch ihr die Sympathie des Publikums ein  und – wie auch den beiden anderen Darstellern –  herzlichen, lang anhaltenden Beifall.

Ein kurzweiliger, nachdenkenswerter und in Erinnerung bleibender Abend, der noch vielen Zuschauern zu wünschen ist!

„Die Gerechten“ von Albert Camus

7 Nov

 und, was davon in Vorpommern übrig bleibt!

Seine Premiere hatte der Fünfakter am 26. Mai 2018 im Rahmen des Spektakels „Ordnung und Widerstand“ am Theater Vorpommern in Greifswald. Inszenierung – Reinhard Göber. „Aufführungsdauer: Eine Stunde und zwanzig Minuten“!

Ich sah „Die Gerechten“ am 30. Oktober als Einzelstück, übernommen in den normalen Spielplan. Noch am Tage hatte ich das Stück gelesen, so dass es ein Leichtes war, Restfunde originaler Textpassagen auszumachen. Es ist kaum verwunderlich, dass in achtzig Minuten nicht der gesamte Text gegeben werden kann. Verwunderlich aber, dass gefühlte vier Fünftel Text aus Aktualisierungsmaterial bestand, über dessen Herkunft das Programmheft leider schweigt.

Albert Camus schickte seinem Drama eine „Vorbemerkung“ voraus, durch die mein Blick auf sein Stück geschärft, und die so gewissermaßen zum Leitfaden meiner Kritik wurde:

„Im Februar 1905 plante eine Gruppe von Terroristen, Mitglieder der Partei der Sozialrevolutionäre, ein Bombenattentat auf den Großfürsten Sergej, den Onkel des Zaren. Dieser Anschlag und die besonderen Begleitumstände vor und nach der Tat bilden den Gegenstand von Die Gerechten. So außergewöhnlich manche der in diesem Stück gezeigten Situationen wirken mögen, so sind sie doch historisch. Das soll nicht heißen, Die Gerechten wären ein historisches Stück, das wird man feststellen können. Doch alle Figuren haben tatsächlich gelebt und haben gehandelt, wie ich es zeige. Ich habe nur versucht, wahrscheinlich zu machen, was bereits wahr ist.

Ich habe sogar dem Helden von Die Gerechten, Kaljajew, seinen realen Namen gelassen. Nicht, weil es mir an Phantasie mangeln würde, sondern aus Respekt und Bewunderung für Männer und Frauen, deren erbarmungslose Aufgabe auch sie selber sehr quälte. Seitdem hat man Fortschritte gemacht, gewiss, und der Hass, der wie ein unerträgliches Leid auf diesen Seelen lastete, ist zu einem bequemen System geworden. Ein Grund mehr, diese großen Schatten heraufzubeschwören, ihre berechtigte Revolte, ihre komplizierte Brüderlichkeit, die maßlosen Anstrengungen, die sie unternahmen, um sich mit dem Mord zu versöhnen – ein Grund mehr auszudrücken, wie unsere Treue ihnen gegenüber beschaffen ist.“

————————–

Das Bühnenbild ist schlicht: der Raum vor dem Eisernen Vorhang ist wechselnd illegaler Treffpunkt einer fünfköpfigen Terrorzelle und Gefängniszelle. Eine begehbare Tür im Eisernen Vorhang, kistenartige Sitzgelegenheiten und ein monströser Ohrensessel (Leder). Soweit, so gut!

Die handelnden Personen: Annenkow, Anführer der Terrorzelle und ihre weitern Mitglieder Dora, Kaljajew, Stepan und Woinow. Dazu Skuratow, Polizeivorsteher.  Soweit – und schon nicht mehr so gut, denn, es sei gleich gesagt, Annenkow wird am Ende, so die Göbersche Version, als Spitzel enttarnt. Dieser gravierende dramaturgische Eingriff und ähnlich andere können nicht ohne fatale Folgen für den Charakter des Stückes bleiben. Es gerät in ein gewollt gänzlich anderes und wohl ungewollt trübes Fahrwasser. Am Ufer winken die unvermeintlichen Ungereimtheiten – konnte man sich doch nicht gänzlich von Camus trennen.

Annenkow, den wir hier treffen, und von dem wir noch nicht wissen, dass er ein Verräter ist, hat denn auch nichts mehr von einem Ersten unter Gleichen und der offenherzigen Brüderlichkeit, die Camus seinen Figuren mit auf den Weg gegeben hat. Annenkow also: gesetzt, überlegen, schon nicht mehr der Generation der Jungen angehörig, als Einziger nicht in halbmilitärischem Schlabberlook auftretend, sich in den unsäglichen Ledersessel fläzend, verkündet Weisheiten und gibt psychterroristischen Befehle zur Disziplinierung seiner Truppe – wenn er nicht gerade wie ein versprengter Cowboy über die Bühne schlendert mit einem für Illegale völlig überflüssigen, ja gefährlichen Schießeisen,  oder sich abwechslungshalber mit einem, auch für die anderen, unersetzlichen – ja was wohl? –  Smartphon beschäftigt! Noch peinlicher wird es, wenn er seine Truppe examiniert, und sie einschwört auf den „Tod des Präsidenten“. Der Reihe nach nötigt er sie, ihre Motivation für den Tyrannenmord deklamierend über die Rampe zu bringen. Und damit sind wir endgültig in der Gegenwart angekommen, der schlechtest möglichen: Verbrechen der Zuckerindustrie, me-too-Befindlichkeiten, verlogene Political Correctness, das Kaputtsparen der Theaterlandschaft, grüne Heuchelei in Bioklamotten – all dies und dergleichen mehr mit  erhobener Faust  vorgetragen, dient hier der Rechtfertigung des geplanten Mordes.

Camus‘ Intentionen müssen spätestens jetzt als Farce verenden. Die ergreifenden Diskurse über Gerechtigkeit, über Liebe und Hass, über Schande und geopferte Jugend – all dies geht den  Regiebach runter! Die unterschiedlichen Charaktere, die doch alle das Gleiche – Gerechtigkeit – wollen, werden nivelliert, ausgelöscht! 

   Wichtige Auseinandersetzungen wie diese:

Stepan  … Erst an dem Tag, an dem wir beschließen, auf Kinder keine Rücksicht zu nehmen, erst an dem Tag sind wir die Herren der Welt, und die Revolution wird triumphieren.

Dora  und wenn die gesamte Menschheit die Revolution ablehnt … willst du dann auch das Volk bekämpfen?

Stepan  Ja, wenn nötig, und zwar bis es begreift. Auch ich liebe das Volk. …

Annenkow  Stepan, wir alle lieben und respektieren dich. Aber was auch immer deine Gründe sein mögen, ich kann nicht zulassen, dass du behauptest, alles sei erlaubt. hunderte unserer Brüder sind gestorben, um zu bezeugen, dass eben nicht alles erlaubt ist. „

    … oder die prophetischen Sätze während des Wartens auf den Bericht von Augenzeugen der Hinrichtung Kaljajews:

Dora … Wir haben das Unglück der Welt auf uns genommen. Auch er hat das getan. Welch ein Mut! Manchmal denke ich aber, darin liegt ein Stolz, der bestraft werden wird.

Annenkow  Ein Stolz, den wir mit unserem Leben bezahlen. Weiter kann niemand gehen. Es ist ein Stolz, auf den wir ein Recht haben.

Dora  Können wir sicher sein, dass niemand weiter gehen wird? Manchmal habe ich Angst, wenn ich Stepan reden höre. Vielleich kommen andere nach uns, die sich auf uns berufen als Legitimation zum Töten und die nicht mit ihrem Leben bezahlen werden.“

   … wenn solche Texte denn, gerissen aus der Intimität und Wahrhaftigkeit der Camusschen Helden, überhaupt zu Wort kommen, wirken wie angepappt, unglaubwürdig, befremdend. Sie wollen so gar nicht zu den auf der Bühne agierenden „heutigen“ Protagonisten passen. Wie in einer guten Komposition, ergibt sich erst in der Vollständigkeit sich ergänzender und aufeinander beziehender Motive die ganze Sinnhaftigkeit und menschliche Schönheit dieses Dramas. Dazu gehört auch der gestrichene Besuch der Witwe des Anschlagopfer in Kaljajews Gefängniszelle und Kaljalews Bemühen, ihrer Trauer ausgesetzt, seine Tat vor der ganzen Menschheit zu rechtfertigen.

Was bleibt nicht alles auf der Strecke beim Versuch, den hausgeschneiderten „Revolutionären“ aktuelle Relevanz zu verleihen? Wofür noch mal wollen oder sollen sie ihr Leben opfern? Nichts berechtigt dazu, ihre Motivation mit dem Gerechtigkeitsimperativ jener jungen Leute gleichzusetzen, die zu Terroristen wurden in einer Zeit, wo für sie die grausamen Leiden des russischen Volkes zu übersehen, Mittäterschaft bedeutet. – So aber wird in dieser Inszenierung die Begegnung mit jenen Menschen, denen Camus ein Denkmal setzte, verwehrt!

Daher soll hier noch der Schluss des Originals zur Kenntnis gebracht werden, in dem sich, in der Verbundenheit zweier Liebenden über Gefängnismauern hinweg und über den Tod hinaus, der tragische Höhepunkt des Stückes findet! In seiner Zelle, die Hinrichtung vor Augen:

Kaljajew  … kann man sich nicht jetzt schon vorstellen, dass zwei Menschen auf alle Freuden verzichten, sich im Schmerz lieben und auf keine andere Begegnung mehr hoffen können als im Schmerz? Kann man sich nicht vorstellen, dass der Strick diese beiden Menschen vereint?“

Und Dora, die jedes Detail der Hinrichtung wissen will. Sie beharrt auf dem tröstlichen Gedanken, dass Kaljajew, ihr Janek, glücklich gewesen sei im letzten Augenblick. Und dieses Glück, ein letzmögliches wie ihr scheint, erhofft sie  auch für sich:

Dora  (zu Annenkow) … tu dies eine für mich: Gib mir die Bombe. (Annenko sieht sie an.) Ja, das nächste Mal: Ich will sie werfen. Ich will sie als erste werfen.

Annenkow  Du weißt doch, dass wir in der vordersten Reihe keine Frauen wollen

Dora  (mit einem Aufschrei) Bin ich jetzt etwa eine Frau? (alle sehen sie an. Stille.)

Woinow  (leise) Sag ja, Borja

Stepan  Sag ja.

Annenkow  Du warst an der Reihe, Stepan.

Stepan (schaut Dora an)  Sag ja. Sie ist jetzt wie ich.

Dora  Du wirst sie mir geben, nicht war? Ich werde sie werfen. Und später dann, in einer kalten Nacht …

Annenkow  Ja, Dora.

Dora (weinend)  Janek! In einer kalten Nacht, und mit demselben Strick! Jetzt wird alles leichter sein.“

——————————————-

Dieses Finale ist mit den Ambitionen der Regie nicht zu realisieren, zumal nachdem die Inszenierung noch einen weiteren dramaturgischen Knalleffekt zu verkraften hatte. Sie machte Kaljajew zum Werkzeug eines von langer Geheimdiensthand vorbereiteten politischen Mordes zwecks Installation einer neuen Präsidentin. Ob der enttarnte und von Dora gerichtete Annenko davon wusste, bleibt offen. Ebenso, ob die übriggebliebenen Drei in Verblendung weiter morden dürfen. Jedenfalls scheint, nun unter Führung von Dora, ihr Wille gefestigt und ihre Absicht besiegelt. Sie recken in einer Schlusspose die Fäuste zum Schwur empor, der Eiserne Vorhang hebt sich und ein glutrotes Inferno tut sich auf!

Nachtrag

„Camus, der empathische, mit glutvoller Wärme begabte Humanist: In seinen Theatertexten und auf der Bühne kommt er uns besonders nah; so war es zu seinen Lebzeiten und so ist es heute, gut fünfzig Jahre nach seinem Tod.“*

———————–

*Hinrich Schmidt-Henkel in seinem Nachwort zu „Albert Camus‘ Sämtliche Dramen in     Neuübersetzung. Erweiterte Neuausgabe September 2013. Rowohlt Verlag GmbH

 

 

 

 

Erneuerung der SPD? – Und wenn, wie?

3 Mär

Noch nach jeder der letzten vier verlorenen Bundestagswahlen wurden Forderungen der Basis nach Erneuerung laut. Und jedes Mal gelang es der Parteiführung, diese Rufe aufzunehmen, und sie in eigener Regie ins Leere laufen zu lassen. Unter „Verantwortung übernehmen!“ verstanden die Parteioberen immer, nichts aus dem Ruder laufen zu lassen. Und das hieß, jeden möglichen Schwenk nach links zu verhindern und am Schröder’schen Erfolgskurs des Sozialstaatsabbaus festzuhalten, was zwar die Chance auf zukünftige Ministerposten sicherte, aber der Partei den kontinuierlichen Weg in die politische Bedeutungslosigkeit bescherte.

Agendaarchitekt und Wahlverlierer Steinmeier griff noch am Wahlabend 2009 nach dem Fraktionsvorsitz, was man ihm auch durchgehen ließ. Martin Schulz dagegen sah am Wahlabend seine Verantwortung unter frenetischem Beifall darin, die Partei zu erneuern und in die Opposition zu führen. Das allerdings schien rasch vergessen, als ihm der Bundespräsident die Chance bot, staatspolitische Verantwortung für sich selbst neu zu definieren, und, wie kolportiert wird, als glühender Europäer, erfolgreich verbissen um das Amt des Außenministers zu feilschen.

Was wird nun nach Abgang von Schulz aus der versprochenen Erneuerung? Bedenken von Delegierten auf dem Bonner Parteitag, wie sich denn die Partei unter den Bedingungen einer Regierungsbeteiligung erneuern könne, wurden versucht zu zerstreuen. Schließlich verbürge Opposition keineswegs eine Garantie auf Erneuerung. Eine bittere aber wahre Erkenntnis, wenn man sich an die Zeit Steinmeier’scher Oppositionsführerschaft erinnert! Völlig verfehlt aber dann der Verweis auf Willy Brandt, der es doch aus dem Außenministerium unter Altnazi Kiesinger CDU) ins Kanzleramt geschafft hätte. Welch ein Hohn, die heutige Situation mit der damaligen vergleichen zu wollen! Brandt hatte durch seine authentische, integre Persönlichkeit und seine klare politische Haltung für seinen Wahlkampf große Teile der Gewerkschaftsbewegung und breite Kreise der Intelligenz, darunter viele Künstler, begeistern können. Sein Wahlsieg und das Motto „Mehr Demokratie wagen“ durften als Zeichen eines geistigen Aufbruchs im Land und in der Partei selbst verstanden werden und führten zu einer historischen Erneuerung in Politik und Gesellschaft. Die mit dem Nobelpreis gewürdigte „Neue Ostpolitik“ wurde nicht erreicht durch einen Kuschelkurs mit den Restposten der Adenauer-Ära, sondern im erbitterten Widerstand gegen die Hardliner von CDU/CSU!

Auffallend ist allerdings, dass, wenn heute die Rede auf Erneuerung kommt, auf Parteivorstandsebene eine große Sprachlosigkeit herrscht, wenn man von Hinweisen auf struktuelle Probleme absieht. Keine Andeutungen auf mögliche Richtungen einer inhaltlichen Erneuerung. Kein Wunder bei der von Spiegeljournalist Markus Feldenkirchen bei „hart aber fair“ zu Recht diagnostizierten „totalen inhaltlichen Entleerung“ als Hauptkriterium der Krise der SPD. Wenn die SPD behaupten kann, der Koalitionsvertrag trüge zu siebzig, ja achtzig Prozent sozialdemokratische Handschrift, die CSU hochzufrieden mit dem Ergebnis ist, und die Kanzlerin pflichtgemäß nur das verlorene Finanzministerium schmerzlich vermisst und stolz ist, allen sozialdemokratischen „Irrwegen“ einen Riegel vorgeschoben zu haben, dann kann das doch nur bedeuten, dass die Handschriften verwechselbar sind, ja, dass man von Handschrift, geschweige denn von sozialdemokratischer eher schweigen sollte! „Sozialdemokratisch“, zu einer Worthülse verkommen, bedeutet denn auch aus dem Mund von Parteiprominenten derzeit nicht mehr als eine hohle Phrase.

Seeheimer“ Olaf Scholz forderte in seinem umfangreichen Profilierungspapier: „Keine Ausflüchte“, „schonungslose Betrachtung der Lage“. Was da versprochen, wird nicht eingelöst. Im Gegenteil – Scholz produziert statt Aufklärung allenthalben Nebelkerzen, und die vom Leser zu gewinnende Erkenntnis, er wäre der bessere Kandidat gewesen. Auch andere beklagen wie er, der Begriff, „Soziale Gerechtigkeit“ würde überstrapaziert, und es reiche nicht, die hart oder überhaupt nicht arbeitenden Menschen in den Fokus zu nehmen. Und damit ist eigentlich schon alles gesagt.

Schulz seinerseits holte noch schnell Lars Klingbeil als Generalsekretär an Bord. Auch dieser Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises, womit wohl garantiert ist, in welche Richtung eine programmatische Erneuerung nicht gehen soll.

Was wäre schließlich von der designierten Parteivorsitzenden im Erneuerungsprozess zu erwarten? Nachdem Andrea Nahles ehrlicherweise ihren linken Ambitionen als Jusochefin unter Lafontaine und als Gründungsvorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 abgeschworen hat, wohl kaum etwasin diese Richtung. Sie wird als Vorsitzende und Zuchtmeisterin ihrer Fraktion Seit‘ an Seit‘ mit Kauder (CDU) für den Koalitionsfrieden sorgen, sich kämpferisch an Linksfraktion und AfD abarbeiten und hin und wieder eine dann nicht so gemeinte Verbalattacke gegen Merkel reiten. Für einen Aufbruch der SPD zu neuen Ufern, zu stürmisch wachsender Wählergunst, zu einem Wahlsieg bei den nächsten Bundestagswahlen mit krönender sozialdemokratischer Kanzlerschaft, wovon führende GenossInnen schon heftig träumen, wird es da kaum Spielraum geben.

Die SPD hat eine lange Geschichte, die sie, wollte sie sich erneuern, ehrlich aufarbeiten müsste. Von ungebrochenem Stolz müsste sie sich dann allerdings verabschieden.

Seit die SPD parlamentarisch im Reichstag und in Landtagen verankert war, entspann und verhärtete sich ein Kampf, in dem es um die Ausrichtung, um die drohende Entwicklung einer revolutionären zu einer Reformpartei ging, die davon träumte, durch friedliches Hineinwachsen in den Sozialismus, das kapitalistische Ausbeutungssystem überwinden zu können. Übriggeblieben ist ihr Selbstverständnis als Reparaturbetrieb, das Drehen an kleinen Stellschrauben, „um das Leben der Menschen täglich ein bisschen besser zu machen“, wie man es letzthin auf den Werbeveranstaltungen für den Koalitionsvertrag in den schönsten Variationen hören konnte.

Schon 1898, auf dem Stuttgarter Parteitag, mahnte August Bebel: „eine Partei die kämpft, eine Partei die bestimmte Ziele erreichen will, die muss auch ein Endziel haben Wenn man dieses aber pragmatisch ad acta legen wolle, „dann hören wir auch auf Sozialdemokraten zu sein.“* Ein anderer Delegierter ergänzte: dann „kann uns mit Recht gesagt werden: Ihr seid National-Soziale, Ihr seid Christlich-Soziale, Ihr seid Sozial-Liberale, aber bei Leibe keine Sozialdemokraten.“* Das klingt nicht unzeitgemäß. Geht es heute auch nicht mehr um den gleichen Klassenkampf und Sozialismus von vor hundertzwanzig Jahren, so doch um eine Vision, verbunden mit dem wachsenden Bewusstsein der Notwendigkeit einer neuen Systemalternative. Denn immer deutlicher wir, der moderne neoliberale Kapitalismus ist zu keiner einzigen wirklichen Lösung der drängendsten Probleme der Menschheit fähig, schon allein aufgrund seiner inneren Notwendigkeit, Wachstum und Profit unter heute immer schwieriger werdenden Bedingungen zu generieren.

Und hier könnte eine erneuerte SPD ihren unverwechselbaren Platz finden. Nebenbei: auch in Zeiten von Fake News gilt: „Zu sagen was ist, bleibt die revolutionärste Tat.“ Nur wer der Wahrheit dient, hat das Recht von Freiheit und Demokratie zu sprechen. Die Lobeshymnen auf den Koalitionsvertrag zeigen, wie weit die Parteiführung diesem Anspruch nicht gerecht wird.

Allen vagen Erneuerungsversprechen sei entgegnet: Die Erneuerung der SPD wird nur dann wirklich gelingen, wenn sie den modernen, ernst zu nehmenden gesellschafts- und wirtschaftstheoretischen Diskurs aufnimmt, in dem nicht zu unrecht die Marxsche Kapitalismuskritik eine prägnante Rolle spielt. Die Erneuerung wird nur dann gelingen, wenn sie zurück zu ihren Wurzeln findet und sich, frei nach Albert Camus, nicht in den Dienst derer“ stellt, „die die Wirtschaft leiten, sondern „in den Dienst derer, die sie erleiden.“ Sie muss aufhören, mit immer neuen ideologischen Konstruktionen und Umdeutungen ihrer Werte zu versuchen, den klaren Blick auf die unsozialen Wirklichkeiten mit all ihren Gefahren zu verkleistern! Zur Erneuerung gehört auch, sich von einer bedenklichen Technologiegläubigkeit zu trennen. Technologie, die vielbeschworene Digitalisierung eingeschlossen, verändert Lebens- und Arbeitswelt unerbittlich und rasant. Aber: weder werden Technik an sich noch die Träumereien einer entsprechend allumfassenden Bildungsinitiative innerhalb des gegenwärtigen Systems zu Garanten für soziale Gerechtigkeit. Diese muss nach wie vor erkämpft werden. Es gibt in unseren Breiten zwar nicht mehr das bis aufs Blut ausgebeutete Industrieproletariat, aber an seine Stelle ist ein ständig wachsendes Heer raffiniert prekarisierter Menschen getreten. Sich deren Schicksal nicht nur halbherzig anzunehmen, sondern die gesellschaftlichen Ursachen über den nationalen Rahmen hinaus zu bekämpfen, machte den Unterschied und muss zur Kernaufgabe einer erneuerten SPD werden. Nur dann trüge sie ihren Namen zurecht! Die deutsche und internationale Sozialdemokratie wird sich nur dann erneuern können, wenn sie wieder in Theorie und Praxis, ganz gleich ob in Regierungsverantwortung oder Opposition, ihren Horizont über die bestehenden Verhältnisse hinaus erweitert.

*zitiert nach A. Laschitza, „Im Lebensrausch, trotz alledem“ S. 101 Aufbau-Verlag

 

 

Steinmeier überschreitet seine Kompetenzen!

1 Dez

Der ewige Verwaltungsroutinier

Von Michael Jäger / in „der Freitag“ Ausgabe 48/2017 

Es mag den Horizont des Bundespräsidenten übersteigen, aber die Minderheitsregierung birgt Stabilität

Frank-Walter Steinmeier überschreitet eindeutig seine Kompetenzen. Nach Artikel 63 des Grundgesetzes hat der Bundespräsident das Recht, eine Minderheitsregierung abzulehnen und stattdessen Neuwahlen anzuordnen. Sie aber zu erwägen und unter gegebenen Umständen für die bestmögliche Lösung zu halten – sie dem Präsidenten also erst einmal vorzuschlagen –, ist das Recht des Bundestages. Über dieses Recht setzt sich Steinmeier hinweg, wenn er die Parteivorsitzenden der CDU, CSU und SPD an diesem Donnerstag zum Rapport einbestellt, offenbar um sie zur Großen Koalition zu drängen. Er verhält sich, als befänden wir uns im Ausnahmezustand und als dürfe er dann zwar nicht Notverordnungen wie in der Weimarer Republik, aber doch so etwas wie Notvorschläge unterbreiten. Das ist nicht im Sinn des Grundgesetzes. Dieses ist weit entfernt von der undemokratischen Vorstellung, ein Einzelner habe den größten politischen Durchblick. Steinmeiers Auffassung steht nicht über dem Streit der Parteien.

Zudem ist diese Auffassung bekannt: Steinmeiers Verständnis von Politik ist immer das eines machtbewussten Verwaltungsfachmanns gewesen. Seit Gerhard Schröders Regierungszeit ist das klar. Schröder hatte Bodo Hombach als Kanzleramtsminister eingesetzt, weil er einen Ideengeber wollte. Steinmeier verstand es, Hombach auszubooten. Als er selbst Kanzleramtsminister geworden war, liebte er die Regeln, nicht die Kreativität, eigene programmatische Impulse hielt er für überflüssig, und „Vabanquespiele“, schreibt Torben Lütjen in seiner lesenswerten Steinmeier-Biografie, suchte er zu unterbinden. Diese Vorsicht steht einem Außenminister gut an, nicht aber einem Innenpolitiker. Eine Minderheitsregierung ist in

Steinmeiers Augen zweifellos ein Vabanquespiel. Er sieht eine Blockade der Stabilität darin, die er daher als guter Verwaltungsroutinier schon im Vorfeld abzuwürgen versucht.Steinmeier schuf die Agenda 2010, welche Gerhard Schröder dann mit zunehmender Unlust vertreten hat. Als Schröder sie im Wahlkampf 2005 verteidigte und gleichzeitig vor dem sozialen Kahlschlag einer schwarz-gelben Regierung warnte, war das die „Quadratur des Kreises“, wie Lütjen treffend bemerkt. Sein schmales Büchlein sollten alle Sozialdemokraten noch einmal lesen. Es würde ihnen zeigen, dass sich eine inhaltliche Erneuerung der SPD gerade gegen Steinmeier richten müsste, der sie nun als Bundespräsident hintertreibt. Er ist schlimmer als Schröder: Der folgte 2005 seinem Kanzleramtsminister und kämpfte doch als Sozialdemokrat gegen Union und FDP, die Quelle der Agenda-Ideen, so widersinnig das auch war. In diesem Widersinn bewegt sich die SPD noch heute. Deshalb gibt es immer noch oder schon wieder Sozialdemokraten, die der Großen Koalition zuneigen. Für Steinmeier sind beide Optionen gleich akzeptabel, Jamaika oder Schwarz-Rot. Nur eine Minderheitsregierung soll es nicht geben. Aber beide Optionen arbeiten der AfD zu und so der Instabilität.

Den besten politischen Durchblick haben in Wahrheit die Sozialdemokraten, die sich eine Zusammenarbeit mit der Union auf bestimmten Feldern vorstellen und auf anderen nicht. Wenn sich alle Parteien diesseits der AfD so verhielten, liefe es auf ein geregeltes System wechselnder Mehrheiten hinaus und so auf eine stabile Minderheitsregierung. Die Parteien könnten sich etwa einigen, niemals eine auf die AfD angewiesene Mehrheit zu bilden. Das mag über Frank-Walter Steinmeiers Horizont gehen. Die SPD muss sich deshalb nicht noch kleiner machen, als sie ohnehin schon ist.

Olaf Scholz‘ Ausflüchte – oder, wie eine Erneuerung der SPD nicht gelingen wird

8 Nov

Eine Kritik

Hier auch im .pdf Format

von Jost Aé

 

Vorbemerkung: Auf der Webseite von Olaf Scholz sind unter dem 27. 10. 2017 Überlegungen zur Zukunft der SPD zu finden unter: 

O. S.: „Keine Ausflüchte! Neue Zukunftsfragen beantworten! Klare Grundsätze!“

http://www.olafscholz.hamburg/main/pages/index/p/5/3211

Das rebellisch intonierte Motto erweckt hohe Erwartungen! Hier nun der Versuch einer kritischen Würdigung! Die Anmerkungen sind entlang des Textes platziert, so, dass genau verfolgt werden kann, was zur Kritik steht. Zugegeben, durch dieses Verfahren nehmen Originaltext und Kritik gewöhnungsbedürftig viel Raum ein. Um die Tiefe der Scholz’schen Argumentation zu erfassen, war es mir nicht möglich, diesen Nachteil zu vermeiden. Andererseits war es nicht machbar, hier noch andere Themen, wie z. B. das innerparteiliche Demokratiedefizit, zu berühren. Auslassungen am Originaltext, der als Zitat behandelt wird, werden wie üblich gekennzeichnet. Sarkastische Einwürfe möge mir der Leser verzeihen – ich konnte mich ihrer nicht entschlagen!

O. S.: „Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat es nun viermal hintereinander nicht geschafft, die Bundestagswahl für sich zu entscheiden und ein Mandat zur Bildung einer neuen Bundesregierung zu erhalten. …

Keine Ausflüchte: Schonungslose Betrachtung der Lage

 O. S.: „Es ist also Zeit für eine schonungslose Betrachtung der Lage. Die Sozialdemokratische Partei hat strukturelle Probleme. Und da führt es nicht weiter, wenn man sich mit Debatten über Plakate oder darüber aufhält, ob der Kanzlerkandidat falsch beraten war oder etwas falsch gemacht hat. Die Vorschläge, die beispielsweise die Initiative SPD++ zu neuen Organisationsmodellen der Partei gemacht hat, verdienen sorgfältige Erörterung und sollten nicht ungehört verhallen. Aber die Lage kann nur dann in vollem Umfang richtig erfasst werden, wenn nicht Ausflüchte den Blick für die strukturellen Probleme verstellen.“

Schon die „schonungslose Betrachtung“ beginnt damit, den Eindruck zu vermitteln, es ginge bei den Problemen und der notwendigen Erneuerung der SPD allein um strukturelle Probleme: Die strukturellen Probleme der SPD sind Schuld am Wählerschwund! Hätte man – ja wer eigentlich? – auf die SPD++ gehört, dann sähe, so wird die Vermutung nahegelegt, alles ganz anders aus. 

O. S.: „Ausflucht 1: Noch nach jeder gescheiterten Bundestagswahl wurde die fehlende Mobilisierung der SPD zuneigender Wähler thematisiert. Tatsächlich spielen Verluste, die daher rühren, dass Wahlberechtigte, die bei einer vorherigen Wahl die SPD gewählt haben, das nicht mehr tun, eine Rolle.“ Ja, da schau her, würde der verblüffte Bayer dem pfiffigen Hanseaten entgegnen!

O. S.: „ … Abgesehen davon, dass die Wahlenthaltung von Anhängern überwiegend nicht die Folge von anderweitiger Freizeitplanung am Wahlsonntag ist, sondern von Dissens zur Politik ihrer Partei.“

Richtig! Genau dieser Dissens ist, wenn auch nur so nebenbei erwähnt, der entscheidende Punkt!

O. S.: „Diesmal wurde von der SPD geradezu vorbildlich mobilisiert. Sie hat in kurzer Zeit mehr als 25.000 neue Mitglieder gewonnen.“ Das ist allerdings für einen wirklichen Aufbruch bei einem 80-Millionen-Volk nicht viel. Es geht auch besser – Corbyn schaffte 100 000 in kurzer Zeit!

O. S.: „Fehlende Mobilisierung erklärt dieses Wahlergebnis also nicht.“

In der Tat, es lag nicht an fehlendem Mobilisierungsaktionismus. Dieser war jedoch nicht geeignet,  d i e   W ä h l e r  den Dissens vergessen zu lassen! Es fehlte nicht am guten Willen der Wahlkämpfer, sondern an glaubhafter Substanz ihrer Botschaft.

O. S.: „Ausflucht 2: Die Stärke der SPD in Ländern und Kommunen hat einen klaren Blick auf die tatsächliche Schwäche der SPD im Bundestag vernebelt. Angesichts der seit 2005 neu gewonnenen Verantwortung in den Staats- und Senatskanzleien von Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen war das lange auch nicht verwunderlich.“

Das war ja auch, zynisch gesehen, nicht so schlimm, die Schwäche im Bundestag, hatten wir doch starke Minister und Ministerinnen in der Bundesregierung Diese Diagnose ist abenteuerlich, und wenn sie zuträfe, sollten alle derart vernebelten Köpfe ihren Hut nehmen – und nicht mehr zurück auf „Neu-Anfang“!

O. S.: „Nachdem in NRW und Schleswig-Holstein seit diesem Sommer nun Unionspolitiker regieren, muss die Lage aber endlich (!) genauer betrachtet werden.“ Denn man tau!

O. S.: „Ausflucht 3: Die sozialpolitischen Beschlüsse der rot-grünen Koalition, insbesondere die 2003 angekündigte Agenda 2010 und die Rentenbeschlüsse zu Beginn der anschließenden großen Koalition, haben die SPD Kraft gekostet und sie hat darüber an Zustimmung verloren. Das bezweifelt wohl niemand.“

Nicht also die nicht nur angekündigte sondern auch verwirklichte Agenda- und Rentenpolitik hätte die Wähler in Scharen verbittert und der SPD entfremdet? Und die Wähler hätten einer SPD nur nicht mehr ihre Zustimmung geben mögen, weil sie durch ihre sozialpolitische Kraftanstrengung geschwächt wurde? Darauf muss man rhetorisch erst einmal kommen!

O. S.: „Man muss der SPD sozialpolitisch vertrauen. Und die Würde der Arbeit muss im Zentrum ihrer Politik stehen. Daran darf niemand (wieder) zweifeln. Es ist daher gut, dass die SPD seither in beiden großen Koalitionen zahlreiche Reformen vorangetrieben hat, die Deutschland sozialer und gerechter machen. Kurzarbeit hat in der Krise 2008/2009 Hunderttausende Arbeitsplätze gerettet, Branchenmindestlöhne und ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn wurden etabliert, Leiharbeit und der Missbrauch bei Werkverträgen eingeschränkt, erwerbsgeminderte Rentner bessergestellt, langjährigen Beschäftigten der Rentenzugang bereits mit 63 ermöglicht, Kitaplätze ausgebaut, BAföG und Wohngeld erhöht, Alleinerziehende unterstützt, Mieter besser geschützt. Die Aufzählung der von der SPD durchgesetzten Gesetze für ein gerechtes Deutschland ließe sich mühelos verlängern. Das Wahlprogramm der SPD bei dieser Bundestagswahl hat mit zahlreichen Konzepten wie der Wiedereinführung der Parität bei den Beiträgen zur Krankenversicherung oder der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen oder zur Stabilisierung des Rentenniveaus daran angeknüpft. Und der Wahlkampf stand ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit. Es ist daher nicht plausibel möglich, das Wahlergebnis damit zu begründen, dass die SPD sich nicht genügend für soziale Gerechtigkeit einsetze.“

Ist es wirklich nicht zu verstehen, dass die Wähler der SPD nicht, wenigstens im wahlpolitisch notwendigem Maß, vertrauen? Die Plausibilität stiege deutlich, wäre man ehrlich und prüfte diese „sozialpolitischen Beschlüsse“ auf ihre soziale Konsistenz, anstatt sie nonchalant auf die Positivseite zu setzen! Bei genauerem Hinsehen ist unschwer zu erkennen, dass diese Beschlüsse allesamt inhaltlich halbherzig gestrickt sind – immer mit der Ausrede, mehr sei nicht drin gewesen.

Unübersehbar gibt es eine heikle Tendenz auch in der SPD, zu glauben, das Wahlergebnis sei auch deshalb so ausgefallen wie es ausfiel, weil man z u v i e l von „sozialer Gerechtigkeit“ geredet hätte! Das verprelle wohlsituierte potentielle SPD-Wähler aus der Mitte! Die Partei muss wissen, auf welche Wähler sie verzichten muss, wenn man ihr „sozialpolitisch vertrauen“ können soll! (Siehe auch unter Punkt „Anerkennung!“)

O. S.: „Ausflucht 4: Nach den beiden vorherigen Bundestagswahlen wurde die fehlende Machtoption der SPD als Hemmnis beschrieben, ausreichend Wählerinnen und Wählern zu gewinnen. Nur diesmal gilt auch das nicht. Zum einen wurde Anfang des Jahres die so gerne erörterte Frage, wie die SPD zu einem Regierungsbildungsauftrag kommt, angesichts steigender Umfrageergebnisse für jedermann beantwortet: Durch das plebiszitäre Mandat eines starken Wahlergebnisses; am besten, indem die SPD als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgeht. Zum anderen ist die SPD mit der Frage, wie sie eine Regierung bilden kann, geschickter umgegangen. Und es wurden auch stets verschiedene Optionen, solange sie rechnerisch möglich waren, in der Öffentlichkeit erörtert. Die Partei hat sich klug fast vollständig aus den Debatten herausgehalten.“

Diese Argumentation ist selbst Ausflucht, verhindert sie doch eine schonungslose Sicht auf die Wahlkampfmisere, die sich so zugleich als Misere der Partei entpuppt. Die Wahrheit ist, die Chance der SPD, stärkste Fraktion zu werden, tendierte von Anfang an gegen Null! Das nicht gesehen zu haben, zeugt von schon sträflicher Realitätsferne. Die einzige Chance, einige der hier skizzierten ehrgeizigen Vorhaben zu verwirklichen, wäre RotRotGrün gewesen, das konnte jeder sich an fünf Fingern seiner linken Hand abzählen! Es hat daher schon etwas Tragisches, dass die Helden dieses Wahlkampfs, diese realistischere Chance nie wirklich im Fokus hatten. Und so merkten auch potenzielle SPD-Wähler schnell, dass RRG weder der Kanzlerkandidat noch die Parteiführung, noch weite Kreise links-phobischer Mitglieder besonders in den alten Bundesländern, wünschten. Dazu kommt, dass der beharrlich geäußerte Wille, Kanzler zu werden, Wähler wenig beeindruckt, wenn dies nicht mit einer realistisch erscheinenden Machtoption und mit personaler Glaubwürdigkeit verbunden ist! Die Verkennung dieser Tatsache, muss der gesamten Führung als Versagen angelastet werden!

O. S.: „Ausflucht 5: Gerne wird argumentiert, dass die SPD nicht zu alter Stärke zurückkehren könne angesichts der wachsenden Konkurrenz durch zusätzliche Parteien. Im linken Milieu seien die Grünen und dann die Partei Die Linke hinzugekommen. Ganz rechts trete jetzt die AfD auf. Tatsächlich sitzen jetzt sechs Fraktionen im neuen Bundestag. Dieser Einwand überzeugt aber nicht. Ganz abgesehen davon, dass im ersten und zweiten Deutschen Bundestag auch viele Parteien saßen. Wenn die Wahlergebnisse so ausgefallen wären, wie das Frühjahr hoffen lassen durfte, säßen auch sechs Fraktionen im Bundestag. Aber ein Sozialdemokrat wäre Kanzler.“

Gewiss, die abgewiesene Argumentation ist falsch, aber der Verkehrung von Ursache und Wirkung wird nicht widersprochen. Fakt ist doch:  w e i l  die SPD, im Verein mit den anderen demokratischen Parteien, Vertrauen verloren hat, sind die Wähler abgewandert. Die Gründe kann man nur bei sich selbst suchen und finden.

Ausflucht 5“ flüchtet selbst vor der Wahrheit und hält pseudo-logisch, also falsch, dagegen: Nicht das Frühjahr ließ hoffen, sondern die Hoffnung der Menschen auf Schulz ließen die Partei träumen: Die Frage muss daher so gestellt werden: Warum wurde die Hoffnung enttäuscht, warum platzte der Traum?!

O. S.: „Die Herausforderungen, vor denen die SPD steht, sind grundsätzlicher:

Fortschritt und Gerechtigkeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung

 Es ist kein Zufall, dass die sozialdemokratischen Parteien in Europa, und generell in allen klassischen Industriestaaten, fast zur gleichen Zeit nicht mehr an frühere Wahlerfolge anknüpfen können.“

Genau das gälte es zu untersuchen! Es kann doch nicht trösten, dass auch andere schwächeln und abgestraft werden. Die „schonungslose Betrachtung“ der Lage muss differenzieren: in GB schwächelt die Labourparty keineswegs, in Frankreich gibt es eine relativ starke Linke, die dortigen „Sozialdemokraten“ haben allerdings regierend ihr Ansehen ruiniert! Warum? – Und die sozialistischen Parteien im Süden Europas – von den nördlichen Schwester-Parteien schamlos im Stich gelassen, weil sie sich ihrem neoliberalen Kurs verweigernspielen sie etwa keine erwähnenswerte Rolle? s. a. unten!

O.S.: „Die sozialdemokratischen Parteien in diesen wirtschaftlich erfolgreichen Ländern stehen vor der Herausforderung, dass die – im Vergleich zu den Jahrzehnten davor – geringere Wachstumsdynamik seit den achtziger Jahren, die Globalisierung und die technologischen Veränderungen, namentlich die Digitalisierung, vielen Bürgerinnen und Bürgern (berechtigte) Sorgen bereiten. Überall weisen die Statistiken sinkende Löhne in den unteren Einkommensgruppen und nicht selten auch stagnierende Einkommen in der Mittelschicht aus. Und das sogar, wenn die Volkswirtschaft prosperiert oder wie in Deutschland die Beschäftigungsstatistik Rekordzahlen vermeldet. Die Schere zwischen denen, die am oberen Ende der Einkommensskala stehen und den unteren Einkommensgruppen“ (sprich: zwischen arm und reich!) „geht wieder auseinander, nachdem es bis zum Ende der siebziger Jahre eine lange Zeit umgekehrt (?) war. Langsam aber unübersehbar nimmt die Hoffnung, dass die Zukunft besser wird, bei Teilen der Bevölkerung ab. …“

In der Tat, die sozialdemokratischen Parteien stehen vor großen Herausforderungen! Der real existierende Kapitalismus steckt in einer Dauerkrise: das Wachstum, sein wichtigstes Lebenselixier, sinkt; er muss, um sein einziges Ziel, den maximalen Profit, zu erreichen, die Ausbeutungsrate erhöhen – mit auch d e n Folgen, die oben beschrieben werden. Hier aber einen schlichten, quasi fatalistischen Zusammenhang mit den abnehmenden Wahlerfolgen, sprich Wahlniederlagen, zu unterstellen, verbaut den Blick auf die schmerzliche Wahrheit:  d i e s e  Parteien haben versagt! Jede andere Deutung käme einem Offenbarungseid der Sozialdemokratie gleich! Vor genau diesen Herausforderungen zu kapitulieren, sie nicht im Gegenteil als Chance zu sehen, Partei für das neue Prekariat zu ergreifen, nähme ihr jede Existenzberechtigung! Aber ist es noch schlimmer: Sozialdemokraten in Regierungsverantwortung haben an der Prekarisierung emsig mitgewirkt und tun dies bis auf den heutigen Tag. Das Dilemma der SPD kann am besten ausgedrückt werden durch die beiden ideologisch besetzten Schlüsselworte: „Wirtschaftskompetenz“, der sich die SPD rühmt, und „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“, wofür sie geschmäht wird.

O. S.: „In dieser veränderten Welt müssen die sozialdemokratischen Parteien plausible Antworten auf die Frage geben können, wie eine gute Zukunft möglich ist, die sich nicht auf die natürlichen Profiteure der Globalisierung und Digitalisierung beschränkt. Die sozialdemokratischen Konzepte müssen deshalb weiterentwickelt werden. Sie müssen gewährleisten, dass der Fortschritt, der mit der Globalisierung und Digitalisierung verbunden ist, auch für die Gesamtheit der Bürgerinnen und Bürger als Fortschritt spürbar wird.“

Ausflüchte:  „In dieser veränderten Welt…“, „Globalisierung und Digitalisierung“! – Die Sozialdemokratie muss i m m e r theoretisch auf der Höhe ihrer Zeit, also vorausschauend sein! Das ist sie aber schon lange nicht mehr! Visionen sind seit Helmut Schmidt verpönt! Um „sozialdemokratische Konzepte“ jenseits sozialdemokratischer Regierungsstuben weiterzuentwickeln, müsste sich wieder theoretisches Denken einstellen, das der Partei im Zuge ihres Regieren-Müssen-Wahns („Opposition ist Mist“) gründlich abhanden gekommen ist!

 natürliche Profiteure“? Profiteure sind nicht Statisten eines natürlichen oder gottgewollten Zustands, sondern Akteure gesellschaftlicher Machtverhältnisse! Diese zu verändern, ist die Herausforderung, die anzunehmen Kern-Aufgabe der Sozialdemokratie wäre! „Plausible Antworten“ wird sie nicht geben können, wenn sie diese Machtverhältnissen verkennt“

O. S.: „Deutschland war immer erfolgreich, wenn es auf den technischen Fortschritt gesetzt hat. Wirtschaftlicher Erfolg wird auch in Zukunft nur so möglich sein.“

Dieser Satz ist in der gleichen Weise falsch wie z. B. „Deutschland hat über seine Verhältnisse gelebt“ oder „Deutschland geht es gut“.

O. S.: „Ein starker und zuverlässiger Sozialstaat, ist allerdings die unverzichtbare Bedingung dafür, dass sich niemand deswegen sorgen muss.“

Schröder und Genossen waren und sind die Antipoden dieser Forderung, wenn man solche nicht nur als Pflichtübung begreift! Sie vergaßen: Die SPD ist P a r t e i!  Man kann nicht Partei für alle ergreifen! S i e muss sich vorrangig nicht um das Wohl der Wirtschaft kümmern! Das machen mit Erfolg genügend andere. So zu tun, oder zu glauben, man könne es Allen recht machen, verkennt die Realität kapitalistischer Klassen- und Machtverhältnisse, verkennt den aktuellen realen Klassenkampf von oben! Darauf hat die SPD Antworten zu geben und sich nicht als Genossin der Bosse feiern zu lassen!

O. S.: „Gerade wegen der neuen wirtschaftlichen Verhältnisse ist es unabdingbar, die unteren Lohngruppen durch einen substantiellen Mindestlohn abzusichern, der hoch genug ist, um im Alter nicht auf öffentliche Unterstützung angewiesen zu sein. Die Sicherheit, die Tarifverträge und Gewerkschaften in der old economy geschaffen haben, ist auch in der digitalen Ökonomie nötig. Sichere Arbeitsverhältnisse sind auch künftig ein wichtiges politisches Ziel. Männer und Frauen müssen auch endlich für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden. Krippen, Kitas, Ganztagsschulen, qualitativ hochwertige Bildungsangebote an Schulen, Berufsschulen und Universitäten sind weitere wichtige Bedingungen für ein gutes Leben in sich rasant wandelnden Zeiten. Man muss in einer sich immer schneller verändernden Welt das Recht und die Möglichkeit haben, auch im fortgeschrittenen Alter einen neuen beruflichen Anfang durch eine Berufsausbildung oder eine Hochschulausbildung zu suchen. Und das Leben muss auch für Normalverdiener bezahlbar bleiben, deshalb braucht Deutschland gebührenfreie Betreuung und Bildung und bezahlbare Wohnungen. Und ein gerechtes Steuersystem.“

Das sind wunderschöne Ziele! Aber welcher Weg soll dahin führen? Mit einem „Bitte, bitte“ liebe Wirtschaftsmacht- und Kapital- und Geldbesitzer“ ist es nicht getan, alle solche Versuche sind bisher gescheitert.

Ziele zu  z e i g e n,  ohne d a r a u f Antworten zu geben und dennoch fröhlich gewählt werden und regieren zu wollen – das war, kurz gefasst, das dürftige Fazit des Schulzschen Wahlkampfs . . ! Die Wählerinnen und Wähler haben‘s quittiert!

O. S.: „Wirtschaftliches Wachstum wird auch in Zukunft eine zentrale Voraussetzung sein, um eine fortschrittliche Agenda zu verfolgen. Die ökonomische Kompetenz der SPD rührt daher, dass sie weiß, dass alleine aus technischem Fortschritt oder der Digitalisierung kein Wachstum entsteht. Das gelingt nur, wenn sie einher gehen mit einer guten Einkommensentwicklung, auch der unteren Lohngruppen. Das war schon beim Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit so. Das Versprechen des Wohlstands für alle gehörte dazu.“

Ausflucht: „Wirtschaftliches Wachstum“! Es ist eine Binsenweisheit, dass nur verteilt werden kann, was erarbeitet wird! Es sollte hier aber darum gehen, w i e verteilt wird! Und da kann sofort etwas geschehen, da kann immer etwas geschehen – und dies zu wissen, war immer ein Grundgedanke der Sozialdemokratie! Soziale Gerechtigkeit ist nie an wirtschaftliches Wachstum gebunden!

 – Und was heißt „fortschrittliche Agenda“? Für die SPD wäre es wichtiger zu wissen, woher historisch ihre  s o z i a l e  Kompetenz rührt! Ihre ganze „ökonomische Kompetenz“  hat der SPD offensichtlich nicht zum Wahlsieg verholfen. Und nebenbei: das „Wirtschaftswunder“ zeichnete sich nicht durch das „Versprechen“, sondern durch das tatsächliche Wachsen von „Wohlstand für alle“  aus! Und das war in gewissem Grade einer sozialen Nachkriegskompetenz eines  legendären CDU-Wirtschafts-Ministers geschuldet! Da gäbe es doch Fragen zu beantworten!

O. S.: „In der politischen Debatte stellen die einen ausschließlich die offensichtliche ökonomische Prosperität des Landes (und nicht weniger Bürgerinnen und Bürger) heraus und die anderen nur die ebenso offensichtlich zunehmenden sozialen und regionalen Disparitäten. Darin liegt eine große Gefahr. Konsequenz einer solchen jeweils einseitigen Beschreibung der Realität, ist wachsendes Unverständnis und politische Desintegration. Man kann das am Beispiel der USA genau beobachten. Kein Wunder, dass linke und rechte populistische Parteien heute überall Gehör und Anhänger finden, obwohl sie keinerlei praktikable Lösungen vorschlagen. Und kein Wunder, dass Ressentiments und nationalistische Rezepte als Antwort auf Globalisierung und Digitalisierung nun erneut in der politischen Arena auftauchen. Auch im neuen Bundestag werden sie lautstark vorgetragen werden. Letztlich hilft gegen (rechts)populistische Parteien nur, dass die Volksparteien die richtigen Antworten auf die Fragen unserer Zeit haben – und verstanden werden. Sie müssen die Problemlösungsfähigkeit der Demokratie unter Beweis stellen.“

Ausflucht: Die Gefahr gehe von einseitigen politischen  D e b a t t e n  aus, wie: hie CDU/CSU mit „Deutschland geht es gut“ und dort die LINKE mit ihrer Kritik an „offensichtlich zunehmenden sozialen und regionalen Disparitäten“!

Und da sollen es d i e  „Volksparteien“ richten: wenn sie nur erst die richtigen          A n t w o r t e n  auf die  F r a g e n  u n s e r e r  Z e i t  haben? Die nächste große Koalition lässt grüßen! 

„Disparitäten“: warum diese verschämt verharmlosende Vermeidung, Kinderarmut, Altersarmut, Bildungsnotstand etc. nicht beim Namen zu nennen? – Der US-Wahlkampf  Hillary Clintons, beweist in der Tat genau, dass ihr und ihrem Land die Ausblendung der von  B e r n i e  S a n d e r s  benannten „Disparitäten“ zum Verhängnis wurde. Aber s i e war die Wunschkandidatin der SPD!

O. S.: „Es geht also um Fortschritt und Gerechtigkeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung.

Der SPD muss es gelingen Fortschritt und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik und einer unmittelbar daran anschließenden Erzählung zu verbinden. Dabei geht es nicht um eine bloße Addition, sondern das jeweils eine muss sich aus dem jeweils anderen ergeben. Sozialdemokratische Politik muss dafür einstehen, dass Weltoffenheit und Offenheit für den technischen Fortschritt einerseits, sozialer Friede und gerechte Lebensverhältnisse andererseits vereinbar sind. Sie muss eine Politik formulieren, die zeigt, wie Wachstum möglich ist, an dem alle Bürgerinnen und Bürger teilhaben.

Nebelkerze: Fortschritt! Ersetzten wir oben realistischerweise „Fortschritt“ durch Kapitalismus – dann müsste es heißen: der SPD muss es gelingen, Kapitalismus und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik… zu verbinden… Bis heute ist es leider nie gelungen, soziale Gerechtigkeit  darum sollte es doch gehen?  mittels p r a g- m a t i s c h e r  Politik durchzusetzen. Es scheint hier eher um ein pragmatisches Umdefinieren von „Sozialer Gerechtigkeit“ zu gehen, so, dass dieser Begriff verschwinden kann – wie tendenziell in diesem Text!

 – Schon jetzt haben alle Bürgerinnen und Bürger teil am Wachstum – allerdings je nachdem: an wachsendem Reichtum oder an wachsender Armut!

O. S.: „Und sie muss angesichts der begrenzten Handlungsspielräume der Nationalstaaten in Europa für die Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einer Gemeinschaft stehen, die Fortschritt und Gerechtigkeit heutzutage sichern kann und politisch auch sichern will. Im Unterschied zu den populistischen Parteien muss sie eine proeuropäische Partei sein. Nur die Europäische Union verschafft der Demokratie in der veränderten Welt die Möglichkeit, „to take back control“, wie die Brexiteers verlangten. Sozialdemokratische Politik unterscheidet sich von konservativer oder liberaler, weil sie das im Interesse der Bürgerinnen und Bürger erreichen will.“

Ausflucht: „begrenzte Handlungsspielräume“: Es gibt noch immer genug politischen Handlungsspielraum, obwohl Politik, auch exekutiert durch sozialdemokratische Politiker, sich durch lobbyistische Gesetzgebung zunehmend selbst entmachtet! Möglich wäre zum Beispiel Umverteilung von Oben nach Unten durch eine gerechtere Steuergesetzgebung, die die systemische „natürliche“ Umverteilung von Unten nach Oben, die auf puren wirtschaftlichen Machtstrukturen und Klientelpolitik beruht, wenigstens partiell ausgleichen könnte! Auf europäischer Ebene ist es nicht nur „a n g e-  s i c h t s“ einer sich aus dem Wesen einer solchen Union heraus logisch ergebenden und ja auch gewollten Begrenzung bzw. Verschiebung von nationalen Handlungsspielräumen unabdingbar, sondern   g e n e r e l l, eine   s o z i a l e,  eine im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handelnde Union zu schaffen und deren Charakter und Leitbild neu zu definieren und genau wie auf nationaler Ebene, alle für dieses Ziel bereite Parteien und Bewegungen zusammenzuschließen!  N u r  proeuropäisch zu sein, ist kein Wert an sich! Unter der gegebenen personellen und ideologischen Ausrichtung der SPD müssen solche „Erzählungen“ allerdings in Regionen utopischer Märchenwelten verwiesen werden – bei schonungsloser Betrachtung!

O. S.: „Anerkennung

 Eine Einsicht wird für die Zukunft der sozialen Demokratie zentral sein. … … die höhere Durchlässigkeit, die unser Bildungssystem bietet, bedeutet keineswegs, dass sich die sozialen Fragen damit erledigt hätten. … Noch wichtiger ist aber die Einsicht, dass ein gelungenes Leben auch ohne Hochschulabschluss möglich ist und möglich sein muss. …wer Metallbauer, Lagerarbeiter oder Krankenpflegerin werden und das auch bleiben will, hat im Leben nichts falsch gemacht. Die öffentliche Rede der meist akademisch qualifizierten Mittelschichtsangehörigen in Politik und Medien, klingt aber manchmal so. Und darin liegt eine Kränkung fleißiger Bürgerinnen und Bürger, die sie auch empfinden. Denn eine Friseurin, eine Postbotin oder ein Altenpfleger findet Bestätigung im Beruf, verrichtet die Arbeit gewissenhaft und hat ein hohes Berufsethos.“

Ausflucht: Populistisch wird die Problemursache verschoben auf „Die öffentliche Rede der meist akademisch qualifizierten Mittelschichtsangehörigen in Politik und Medien“!  Hat die SPD nicht lange genug mitregiert um kraftvoll für eine nicht zuletzt auch  m a t e r i e l l e  A N E R K E N N U N G der unterprivilegierten Berufe kämpfen zu können? Die Wiederentdeckung der Postbotin, der Friseurin etc. und deren Berufsethos ist in diesem Zusammenhang eher beschämend. Dem Geist des Neoliberalismus ist leider auch die Führung der SPD erlegen und gerade das Schicksal der Postbotin und vieler anderer Berufsgruppen wurde durch ihr u. a. von Privatisierungswahn bestimmtes Regierungshandeln nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen!

O. S.: „ … der Verweis auf die Durchlässigkeit [des Bildungssystems – J. A.] rechtfertigt nicht, dass sich die Politik etwa nicht dafür engagiert, die wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven ungelernter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern. Tut sie das nicht, klingt die einst fortschrittliche Forderung nach dem Aufstieg durch Bildung in den Ohren weiter Teile der Bevölkerung nach einem elitären Abgrenzungsmerkmal. Das kann zu gesellschaftlicher Spaltung und auch zur Abwendung von demokratischer Politik führen.“

Dieses Dozieren über Risiken und Nebenwirkungen falscher Sozial- und Bildungspolitik verwechselt Ursache und Wirkung und lenkt von Verantwortung ab ins Ungefähre, hin zu den „Ohren weiter Teile der Bevölkerung“. Das Versagen der Politik führt nicht zur Spaltung der Gesellschaft, sondern ist Ausdruck dieser Spaltung, die im gegebenen Rahmen nur verschärft oder gemildert werden kann!

O. S.: „… Als Partei des Volkes muss die SPD eine gesellschaftspolitische Zukunftsvorstellung entwickeln und vertreten, die die Anliegen aufstiegsorientierter Milieus und nichtaufstiegsorientierter Milieus in einem gemeinsamen modernen Projekt zusammenführt.“

In diesem „gemeinsamen modernen Projekt“ der Zusammenführung völlig neu kategorisierter Milieus werden sich, in ihren „Anliegen“ versöhnt, Bettler und Millionär treffen wie einst im Paradies Löwe und Reh! Dies wird und kann nur das Werk einer Sozialdemokratischen Einheitspartei Deutschlands sein!

O. S.: „Volkspartei und Regierungsverantwortung

Die SPD ist die älteste demokratische Partei Deutschlands und eine der ältesten Parteien der Welt. Sie ist immer eingetreten für Freiheit, Demokratie und Recht. Und für den sozialen Zusammenhalt.“ Das mit dem sozialen Zusammenhalt kam bei Bebel noch nicht vor! Da hieß es noch Klassenkampf und Sozialismus! 

O. S.: „Sie war immer eine von vielen Mitgliedern getragene Partei. Den mühseligen Aufstieg zur führenden Partei in der Bundesrepublik während der sechziger Jahre hatte sie durch die Wandlung zur Volkspartei, die Mitglieder und Wähler in allen Schichten und Milieus der Bevölkerung sucht, vorbereitet. Die progressive (!) Volkspartei SPD stellte sich so auf, dass schließlich von 1969 an dreizehn Jahre lang große Teile der Wählerschaft ihr das Land und die Führung der Regierung anvertrauen mochten. Auch heute gilt: Die SPD muss progressive Volkspartei sein wollen. Und die SPD muss die Regierung führen wollen. Beide Ziele bedingen einander.“

Dass die SPD die älteste demokratische Partei Deutschlands ist, macht ihren Zustand nicht besser. Besser wäre, die Gründe ohne Ausflüchte zu suchen, die unsere Partei in diesen desaströsen Zustand versetzt hat! Was war es, dass viele Wähler nach der Brandt-Ära ihre Gunst vorzugsweise anderen Parteien oder dem Nichtwählen schenkten? Was verursachte das Schwinden der Wählergunst nach Schröders Fahrt mit vollen Segeln und dem „Schröder-Blair-Papier“ an Bord in neoliberale Gewässer? War es dieses Papier, das als die letzte theoretische Leistung und als eminente Fehlleistung  in die Geschichte der Partei eingehen wird? Ein Papier, das zuerst wegen des negativen Echos an der Parteibasis wieder im Schreibtisch verschwand, dessen Geist dann aber schließlich doch noch glücklos, in Hartz-Gesetzgebung und Agenda 2010 gegossen, siegte! – Auch wenn stupid beteuert wird, es sei nicht alles daran schlecht gewesen: diese von dem Machern für progressiv gehaltene neoliberale „Wirtschaftskompetenz“ und die entsprechende neue Ausrichtung der Partei war die tiefere Ursache für den Verlusts hunderttausender Genossinnen und Genossen!

 – Fürwahr, die SPD ist eine andere geworden, seitdem sie sich, konkurrierend mit den anderen „demokratischen Parteien“ in der Mitte tummelt! Als die Wählerschaft der SPD unter Brandt die Regierung ihres Landes anvertrauten, hatte die Partei ein Projekt, das sich in der damaligen Situation „links“ nennen durfte, und das von rechts als kommunistisch, das es nicht war, ge(t)adelt wurde! Nein, nicht bei allen biederte sich jenes Projekt an! Aber es hatte die Unterstützung sowohl der Arbeiterschaft als auch der geistigen Elite! Was für ein Aufbruch damals! Und heute? 

O. S.: „Gibt die SPD den Anspruch Volkspartei zu sein auf, wird sie nur (noch) die erreichen, die mit ihr fast vollständig übereinstimmen. Politik lässt sich aber nicht auf eine Geschmacksfrage (?) reduzieren. In einem Parlament mit nun sechs Fraktionen ist die Gefahr groß, dass die Parteien angeschaut werden, wie das Warenangebot in einem Supermarkt. Und da wechseln eben die Vorlieben schnell. Vor allem wenn die Parteien sich selber bloß wie das aktuell günstigste Angebot anpreisen.“

Ausflucht: Statt „Schonungsloser Betrachtung der Lage“: Pseudoargumente für ein neues Weiter-So! Der Anspruch, schlicht Volkspartei  s e i n  z u  w o l l e n, als gäbe es ein schlichtes Volk, wird die SPD nicht retten. Weil Scholz, vermutlich ideologisch befangen, Klassenfragen negiert und sie zu Geschmacksfragen macht, wird letztlich genau das passieren, was er anprangert! Da die SPD für alle dasein will, wird ihr am Ende zwangsläufig nichts anderes übrigbleiben, als ein Gemischtwarenangebot zu offerieren, in dem, so die fatale Hoffnung, das Volk dann schon je nach „Geschmack“ etwas passend Wahlmotivierendes finden wird. Nur, noch einmal: so ein Volk, von dem seit eh sowohl „ideologiefrei“ als auch ideologisch vorzugsweise von Diktatoren geträumt wurde, gibt es nicht!

O. S.: „Die SPD kann daher, wenn sie nicht mehr Volkspartei sein wollte, zerrieben werden zwischen den konservativ beharrenden Parteien und denen, die unrealistische aber stets weiterreichende Forderungen aufstellen. Und nur über das Integrationsprojekt Volkspartei, kann die mit ihr verbundene – in der politischen Geschichte seltene – Kombination von lebensweltlicher Liberalität und Zusammenhalt gelingen. Die SPD muss für mutige Reformen stehen, die vernünftig sind und an deren Umsetzung man glauben kann. Sie wird aber zwangsläufig an Zustimmung verlieren, wenn sie sich auf den Wettbewerb der schrillsten Töne einlässt.“

Die SPD, wenn sie so weitermacht, und nichts deutet, schon unterm Aspekt der Personalfrage, darauf hin, dass sich Grundlegendes ändern könnte, wird zwangsläufig im Parlament zerrieben werden! Nicht selten, sondern nie gelang auf Dauer eine so naiv für möglich gehaltene „Kombination“: „Zusammenhalt“ plus „Liberalität“, was ja auf nichts anderes hinausliefe als: Aufhebung der gesellschaftlichen Widersprüche in einer durch „Liberalität“ gesetzlich geschützten Ausbeutergesellschaft. Von allen Seiten, je unterschiedlich motiviert, wird man ihr ihre „lebensweltlichen“ Illusionen  unter die Nase reiben!

 – Das Wahlvolk lässt sich bekanntermaßen leichter verführen, wenn es verarscht wird und sich dementsprechend fühlt! Schon allein aus purer Verantwortung vor den Folgen nicht gezogener Lehren aus der Geschichte muss die SPD sich dringend und ehrlich mit dem rationalen Kern der noch immer virulenten Frage auseinandersetzen: „Wer hat uns verraten …?

1965, nach der Bundestagswahl schrieb Herbert Marcuse, selbst 1919 kurz Mitglied der SPD, an Theodor W. Adorno, der SPD gewählt hatte: „Die deutschen Wahlen sind ausgegangen, wie du es vorausgesehen hast. Ich hätte bestimmt nicht SPD gewählt. Die Niedertracht dieser Partei macht sie auch zum <geringeren Übel> untauglich. Sie wagt es, noch den Namen zu führen, den sie einmal hatte, als Karl und Rosa ihr angehörten. Und sie wird den kommenden Faschismus genau so wenig verhindern wie die CDU.“ Das sind düstere, böse Worte; ihre prophetische Mahnung sollte dennoch nicht leichtfertig in den Wind geschlagen werden!

O. S.: „Stellt die SPD sich als progressive Volkspartei so auf, dass große Teile der Wählerschaft ihr das Land und die Führung der Regierung anvertrauen mögen, wird sie bei Bundestagswahlen auf neue Erfolge hoffen können. Und deshalb muss die SPD in Fragen der Außenpolitik, der Europapolitik, der äußeren und der inneren Sicherheit, der Wirtschaftspolitik, des Umgangs mit öffentlichen Haushalten aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger im höchsten Maße kompetent sein. Kompetenz ist auch wegen“ auch deswegen? „der Migration gefragt, die die europäischen Gesellschaften vor neue Aufgaben stellt. Je unwirtlicher und unsicherer die Welt wird, je mehr wird diese Kompetenzerwartung an Bedeutung gewinnen.“ Nun, da sollte die Kompetenzerwartung doch rasch erfüllt werden können! „Da handelt es sich keineswegs um eine nebensächliche Frage.“ Genau! „Wollen viele Bürgerinnen und Bürger, dass die SPD die Regierung führt, kann sie schnell zehn Prozentpunkte zulegen. Dann kann sie auch aus Bundestagswahlen als stärkste Partei hervorgehen und daraus einen Auftrag zur Bildung einer Regierung ableiten.“ Dieser überraschenden Logik wird man plausibel nicht widersprechen können! „Die plötzlich ansteigenden Umfragewerte zu Beginn des Jahres 2017 haben eindrucksvoll diesen Zusammenhang demonstriert. Es war eine hoffnungsvolle Projektion der Wählerinnen und Wähler, die erneut möglich ist, wenn sie es plausibel finden, dass die SPD diese Erwartungen erfüllt.“ Die Wähler haben aber ihre „Projektion“ letzthin nicht lange plausibel gefunden! 

 – Die Zauberformel Aufstellung als „progressive Volkspartei“ und der Blick in die Zukunft, was dann alles w i r d sein können, wird nicht viel helfen! Immerhin, einen Anflug von Selbstkritik enthält sie: denn mitgesagt wird, was doch hätte längst sein können! Und es wird mitgefragt nach Verantwortung! Eine Vertiefung dieser Frage verbietet sich jedoch leider von selbst, wenn nach herber Niederlage Geschlossenheit als erste Parteibürgerpflicht gefordert wird – von der alten Mannschaft!

O. S.: „ …“

Klare Grundsätze

Die SPD regierte vor allem nach den Wahlerfolgen 1998 und 2002 in mancher Hinsicht anders, als die Wählerinnen und Wähler nach dem Eindruck aus dem Wahlkampf erwarteten. Die große Koalition 2005 startete mit einer drastischen Mehrwertsteuererhöhung, die im Wahlkampf zuvor noch heftig bekämpft worden war. Das hat strukturell Vertrauen gekostet.“

Ungeschminkt: das war Wahlbetrug und ein überflüssiges Geschenk an den Koalitionspartner. Ob strukturell oder nicht, es hat Vertrauen gekostet – kostbares!

O. S.: „Und das ist hochgefährlich, denn Vertrauen ist die wichtigste Währung der Politik. In dieser Hinsicht hat sich die SPD am Ende der gerade ablaufenden großen Koalitionsregierung nichts vorzuwerfen.“

Tatsächlich, die SPD war zuverlässiger Koalitionspartner – gegenüber CDU/CSU! Erst in der letzten Bundestagssitzung zog Andrea Nahles, von ihrer avisierten neuen Rolle als Oppositionsführerin sichtlich beeindruckt, so vom Leder, dass Merkel nur noch irritiert und dann amüsiert staunen konnte.

O. S.: „Sie hat, obwohl nur der kleinere Partner, eine beachtliche sozialpolitische Erfolgsbilanz. Auch im Hinblick auf Fragen der Liberalität besteht die SPD diesen Test, wenn man auf die fast vollständige Abschaffung der Optionspflicht für in Deutschland geborene junge Leute schaut, die nicht mehr zwischen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern wählen müssen. Oder wenn man die Öffnung der Ehe für homosexuelle Paare betrachtet. Auf dem Vertrauen, dass diese unter Beweis gestellte Verlässlichkeit ermöglicht, kann aufgebaut werden. Als Lehre für die Zukunft taugt diese Rückbetrachtung aber auch. Die SPD darf nicht anders regieren, als sie zuvor in einer Wahlkampagne angekündigt hat. Schon bei der Erstellung der Wahlprogramme muss das bedacht werden. Man darf nur versprechen, was man halten kann und muss halten, was man versprochen hat.“

Ausflucht: Eigentlich hat man in der Großen Koalition alles richtig gemacht, nur in früheren Regierungs- bzw. Mitregierungszeiten sind Fehler gemacht worden! Und nun erst hat sich das auf das Wahlergebnis ausgewirkt? Der Wähler sozusagen ein geistiger Spätzünder? Seehofer immerhin, die Erschütterung war ihm noch anzumerken: „Wir haben verstanden!“ Hier nur nochmal oberlehrerhafte Schelte für Müntefering und Schröder: „Man darf nur versprechen, was man halten kann und muss halten, was man versprochen hat.“  

O. S.: „Die SPD wird seit längerem als zu taktisch wahrgenommen. Diese Wahrnehmung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Denn wenn Reformvorstellungen als nicht ernstgemeint angesehen werden oder als Vorschläge, die präsentiert werden, um Wählerinnen und Wähler anzusprechen und nicht, weil sie der SPD wichtig sind, dann sind sie auch nur die Hälfte wert. Überwinden kann man diese Wahrnehmung nur mit Konsistenz und Stringenz in der eigenen Haltung und der eigenen Politik. Und wenn die SPD verstanden wird anhand ihrer Grundsätze.“

Verschämte halbe Wahrheit: die „Wahrnehmung“ sei schuld! Aber das Problem ist, dass es die Wahrnehmung von etwas Realem ist: der fehlenden „Konsistenz und Stringenz in der eigenen Haltung und der eigenen Politik“ und damit von etwas für den Zustandder SPD Substanziellem! Dessen Überwindung Olaf Scholz hier zurecht für die Zukunft anmahnt.

 – Keine Partei wird verstanden „anhand ihrer“ Grundsätze! Schon der Apostel forderte seine Gemeinde auf: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ (1. Johannes 1, 2-6)

O. S.: „Und die SPD muss konkret sein, auch wenn es um soziale Gerechtigkeit geht.“ Ja, selbst da! „Nur anhand konkreter Vorschläge bleibt der Begriff nicht abstrakt. Nur konkrete Vorschläge können auch politisch wirkmächtig werden. … eine deutliche Steigerung des Mindestlohns, die Abschaffung der Möglichkeit, Arbeitsverträge ohne Sachgründe zu befristen, das Recht nach vorübergehender Teilzeitbeschäftigung wieder Vollzeit zu arbeiten, die Stabilisierung des Rentenniveaus, paritätische Beträge in der Krankenversicherung, die massive Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus, Gebührenfreiheit in Kitas, Ganztagsschulen, ein Rechtsanspruch auf eine neue Berufsausbildung im fortgeschrittenen Alter, Breitbandverkabelung als Grundversorgung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland, die Entlastung der Kommunen von den Kosten der Unterkunft Arbeitsloser, … Entlastungen bei den Beträgen für Geringverdiener und steuerliche Entlastungen für untere und mittlere Einkommen. Die SPD hat diese und noch mehr konkrete Vorschläge. Sie muss sie auch benennen.“

Ausflucht: Die SPD habe ihre in der Tat beeindruckenden „konkreten Vorschläge“ nur nicht benannt! Warum nicht? Es wäre der genau berechtigte Vorwurf zu befürchten gewesen: ja warum habt ihr das alles nicht schon längst durchgesetzt?! Die Rede vom „Respekt“ vor der Lebensleistung der „hart arbeitenden Menschen“ und was man alles tun wolle, wäre man nur erst Kanzler, war offensichtlich nicht hinreichend für einen Wahlsieg! 

O. S.: „Es geht um viel. Überall in Europa haben die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien an Zustimmung eingebüßt. Manche sind fast oder gar vollständig verschwunden.“

Haben auch diese anderen Parteien ihre tollen Ideen nur nicht genügend propagiert? Die Angst vorm Verschwinden ist verständlich, scheint aber kein guter Ratgeber zu sein! Die selbst geforderte und notwendige schonungslose Betrachtung geht anders!

O. S.: „In Deutschland, vielleicht das Kernland der sozialdemokratischen Idee, ist es unsere Mission, die Zukunft der sozialen Demokratie neu zu beschreiben.“

Nebelkerze: „sozialdemokratische Idee! In der Tat  w a r  Deutschland einmal  –„vielleicht“ – ihr Kernland. Aber darüber zu schweigen, was einmal zu je anderen Zeiten inhaltlich mit „sozialdemokratisch“ verbunden war, und immer so zu tun, als sei die heutige parteiamtliche Interpretation auch die gestrige gewesen, ist unredlich! Genau vor hundert Jahren setzten die Bolschewiki ihre Hoffnung auf eine Revolution in jenem „Kernland… – „da war die deutsche Sozialdemokratie allerdings schon nicht mehr die August Bebels und seiner Genossen.

O. S.: „ … In manchen Ländern Europas kann man nur noch wählen zwischen einer sozialstaatlichen Partei mit lebensweltlich antimodernen Vorstellungen und Ressentiments auf der einen Seite und einer streng wirtschaftsliberalen Partei mit modernen Vorstellungen zum Zusammenleben auf der anderen. Das ist ein Drama für die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder.“

Statt Analyse: nebulöses, implizit denunziatorisches Reden über politische Zustände und Parteien in „manchen Ländern“. Ist „sozialstaatlich“ schon zum Unwort geworden? Oder ist „staatssozialistisch“ gemeint, das man anderen linken Parteien unterschieben will, um die fehlende Solidarisierung mit diesen Parteien und die politische Distanzierung zu legitimieren, wie im Fall von Podemos, Syriza, Corbyns Labour Party u. a.?

O. S.: „Die Erneuerung der SPD kann nur entlang klarer Grundsätze gelingen. Sie bedient niemals Ressentiments. Sie ist modern, besonders weil sie für die Gleichstellung von Männern und Frauen steht. Sie ist modern, weil sie auch die Perspektive einer lebenswerten Umwelt verfolgt. Die SPD muss als weltoffene, europafreundliche, fortschrittliche, liberale und soziale Partei beweisen, dass mit einer mutigen und pragmatischen Politik eine bessere Zukunft auch in unseren sich schnell wandelnden Zeiten für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes möglich ist.“

Klare Grundsätze“ fordern und Unschärfe liefern: Seit wann ist Modernität ein sozialdemokratisches Kriterium? – Es sieht so aus, als solle hinter diesem leeren Begriff die Kernkompetenz der Sozialdemokratie zum Verschwinden gebracht werden, die noch immer „soziale Gerechtigkeit“ war.

Alles was die SPD nach Olaf Scholz und Genossen laut diesem Papier sein müssen sollte – weltoffen, europafreundlich, fortschrittlich, liberal und sozial – schreiben sich u. a. auch CDU/CSU auf ihre Fahnen! Das zeigt nur allzu deutlich, wo die Partei angekommen ist: in der bürgerlichen, systemkonformen Mitte, dort, wo angeblich nur Wahlen gewonnen werden können. Dies ist ein gefährlicher Irrglaube. Die SPD wird dort nur noch verlieren können. Wir dürfen nicht der Illusion unterliegen, es werde sich in Deutschland, ähnlich den us-amerikanischen Verhältnissen, die Parteienlandschaft so entwickeln, dass aus der Mitte heraus SPD und CDU – die anderen marginalisierend – die Regierungsgeschäfte alternierend oder gemeinsam werden übernehmen können! Dieses Modell kommt auch in den USA sichtlich in die Krise.

R e s ü m e e

Die Erneuerung der SPD wird unter anderem nur dann gelingen, wenn sie den ernst zu nehmenden gesellschafts- und wirtschaftstheoretischen Diskurs aufnimmt, in dem, nicht zu unrecht, die Marxsche Kapitalismuskritik zunehmend eine prägnante Rolle spielt, nur dann, wenn sie zurück zu ihren Wurzeln findet, anstatt mit immer neuen ideologischen Konstruktionen und Umdeutungen ihrer Werte zu versuchen, den klaren Blick auf die unsozialen Wirklichkeiten mit all ihren Gefahren für die Zukunft der Menschheit zu verkleistern! Dazu gehört auch, sich von von einer bedenklichen Technologiegläubigkeit zu trennen! Technologie, so zeigt uns die Geschichte, kann Lebens- und Arbeitswelt unerbittlich und rasant verändern, nie aber war sie, im gesllschaftspolitischen Kontext, auch nur im Ansatz ein Garant für Gerechtigkeit! Es gibt in unseren Breiten zwar nicht mehr das klassische bis aufs Blut ausgebeutete Industrieproletariat – das wurde teils saniert und gut integriert, teils in fernere Gegenden ausgelagert (externalisiert), aber: an seine Stelle ist, auch bei uns, ein ständig wachsendes Heer raffiniert prekarisierter Menschen getreten. Sich deren Schicksal zu widmen, sollte wieder Kernaufgabe der SPD und aller sozialdemokratisch sich nennenden Parteien werden. Nur dann trügen sie ihren Namen zurecht! Im Kampf um „soziale Gerechtigkeit“ und „eine bessere Zukunft“ muss sozialdemokratische Theorie und sozialdemokratische politische Praxis, ganz gleich ob in Regierungs- oder Oppositionsverantwortung, ihren Horizont über die bestehenden zerstörerischen neoliberal-kapitalistischen Verhältnisse hinaus erweitern!

 

 

 

Ernst Moritz Arndt, der fatale Patron

2 Mär

Was noch täglich in der Greifswalder Ostseezeitung gegen die Umbenennung der Greifswalder Universität zu lesen ist, zeigt die ganze Fatalität dieses Patrons, und dass wir auch hier, wo alles angeblich mit fünfzigjähriger Verspätung eintritt, zügig im postfaktischen Zeitalter angekommen sind!

Besser und historisch gerechter als Jörg Schmidt kann man den „Geistesheroen“ Arndt, grade auch   i n  und  a u s   s e i n e r  Z e i t   h e r a u s,   nicht würdigen!

Fataler Patron

Noch immer tragen deutsche Schulen, Kasernen und eine Universität den Namen des völkischen Ideologen und Antisemiten Ernst Moritz Arndt
Von Jörg Schmidt
24. Februar 2009, 11:26 Uhr / Editiert am 30. Juli 2009, 16:17 Uhr / Quelle: (c) DIE ZEIT 5. 11. 1998

Im April 1933, die neue Ära hat gerade begonnen, beantragt der örtliche Leiter des Stahlhelms Professor Walter Glawe, der Greifswalder Universität den Namen Ernst Moritz Arndt zu verleihen. Pflichtgetreu folgt der Senat der Hochschule dem Antrag. Im Mai 1933 dann endlich aus Berlin der positive Bescheid vom preußischen Staatsministerium: „Der Universität Greifswald, an der Ernst Moritz Arndt als Student und Hochschulprofessor stets für die Freiheit, die Ehre und die Macht des Deutschen Vaterlandes an erster Front gekämpft hat, wird hiermit der Name ,Ernst Moritz Arndt Universität‘ verliehen.“

Genau zehn Jahre später: Auf der Gründungsversammlung des Nationalkomitees Freies Deutschland im Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau berufen sich die soldatischen Widersacher Hitlers auf Ernst Moritz Arndt. Hatte er nicht vorausschauend in seinem Soldatenkatechismus gepredigt, daß selbst ein Fahneneid auf den Führer einen deutschen Soldaten nicht binde? „Denn wenn ein Fürst seinen Soldaten befiehlt, Gewalt zu üben gegen die Unschuld und das Recht, (…) müssen sie nimmer gehorchen.“ Ernst Moritz Arndt wird zum Kronzeugen der antinationalsozialistischen Propaganda des Komitees. Überall ist er präsent. Die Anfangstakte seines Kampfliedes Der Gott, der Eisen wachsen ließ bilden das Erkennungszeichen der Radiosendungen. Und die Grabenlautsprecher des Komitees beschallen die Gegenseite mit Arndts pathetischen Worten zu deutscher Soldatenehre.

Zur selben Zeit (1943) veranstaltet die Ernst Moritz Arndt Universität in Greifswald eine Arndt-Woche. Auch hier dienen seine Schriften der moralischen, soldatischen und nationalen Aufrichtung: zur Stärkung des nationalsozialistischen Kampf- und Durchhaltewillens nach Stalingrad.

Und noch einmal Arndt, zwanzig Jahre später: Nachdem die Greifswalder Universität seinen Namen 1945 zuerst inoffiziell abgelegt hatte, folgt 1954 die Kehrtwende. Der Senat der Hochschule beschließt die Wiedereinsetzung des Namens. Im August 1954 teilt der Staatssekretär für Hochschulwesen der Hochschule mit, daß, da der Name der Universität nach dem Krieg nie aufgehoben worden sei, die Universität weiterhin den Namen Ernst Moritz Arndt Universität trage. Und er gibt zu bedenken: „Wir empfehlen (…), bei passenden Anlässen (…) das grosse patriotische, von den Hitlerfaschisten verfälschte Streben und Wirken Ernst Moritz Arndt’s zu erläutern und aus deren Darstellung anspornende Kraft für die Erfüllung unserer gegenwärtigen Aufgaben zu gewinnen.“

Die Grabenkämpfe zur Inanspruchnahme des Deutschesten aller Deutschen wurden von links und rechts geführt. Betonten die einen den streitbaren Patrioten und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, feierten ihn die anderen als Überwinder Napoleons, als Erwecker der deutschen Nation und nicht zuletzt als unermüdlichen Kämpfer gegen den französischen Erbfeind: „Zu den Waffen! Zu den Waffen! Zur Hölle mit den wälschen Affen! Das alte Land soll unser seyn!“

Bis vor fünfzig Jahren galt Ernst Moritz Arndt als einer der berühmtesten Deutschen. Hatte ihn nicht sogar Friedrich Gundolf 1924 in das Elysium der Geistesheroen erhoben? Neben Luther habe es „keinen gewaltigeren Warner“ und „geisterfüllteren Kritiker“ gegeben. Dies würde zwar heute niemand mehr von dem kleinen knorrigen Vorpommern behaupten wollen. Dennoch ist Ernst Moritz Arndt überall in Deutschland präsent: Straßen, Schulen, Kasernen tragen seinen Namen – und, nach wie vor, die Universität in Greifswald. Die Frage ist nur: Können sich Institutionen einer Demokratie, kann sich die Republik wirklich guten Gewissens auf ihn berufen?

Ernst Moritz Arndt, geboren am 26. Dezember 1769 in Groß Schoritz auf dem damals schwedischen Rügen, kommt aus engen Verhältnissen. Sein Vater – noch als Leibeigener geboren – ist Angestellter des Grafen von Putbus, doch bald schon pachtet die Familie ein eigenes Gut auf Rügen. Diese bäuerlich-patriarchalische Herkunft prägt Ernst Moritz Arndt grundlegend, und der Kampf gegen das Zerbrechen der sozialen ländlichen Harmonie wird ihm später ein wichtiges Thema. Von 1791 an studiert er Theologie und Geschichte in Greifswald und Jena. 1794 kehrt er nach Vorpommern zurück, wo er „auf eine unbeschreiblich leichte Weise“ sein theologisches Examen ablegt. Die Bahnen scheinen bereitet für eine klassisch-bürgerliche Existenz.

Doch dann flieht Arndt die ausgetretenen Pfade. Eineinhalb Jahre reist er durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien und Frankreich. Auf der Reise gibt er sich als Schwede aus, da der Name eines Deutschen in Europa „stinkend“ geworden sei. Die zentralen Momente von Arndts Denken zeigen sich: Kampf gegen das nationale Unterlegenheitsgefühl, besonders gegenüber der politischen und kulturellen Leitnation Frankreich, und seine Völkerpsychologie. So bewundert er den Nationalcharakter der Ungarn. Anders als die jede Nation nachahmenden Deutschen besitzen die Ungarn einen eigentümlichen „Nationalcharakter, der allein (…) ein Volk macht. Wem dieser Nationalcharakter, dieses Unterscheidende, fehlt, dem fehlt auch ein Land, das ihn zusammenhalte (…).“ Arndts Einschätzung ist gleichzeitig Appell an die Deutschen: Bewahrt euren Nationalcharakter! Verliert euch nicht in kosmopolitischen Träumereien …

Und dann Paris: Mit großen Augen durchstreift er Straßen und Winkel der Stadt. Wie schon in Wien und Budapest zieht ihn seine aufklärerische Libido in die Nähe der Huren, der „Schwesternkongregationen der Straße“. Nicht idealisierend oder dämonisierend – nein: neugierig und fasziniert beobachtet er das Treiben im Hallenviertel. „Nicht einzeln (…) gehen hier die Mädchen und Weiber auf den Fang aus, sondern in ganzen Haufen und oft lauern einige handfeste Kerle im Hinterhalte mit Knüppeln, wenn das geenterte Schiff sich nicht gutwillig schleppen lassen will.“ All seinem späteren Franzosenhaß zum Trotz – noch rühmt Arndt die Franzosen als Nation, die er „ewig lieben“ müsse. Doch seine nationalen Visionen werden diese Reiseerfahrung bald erfolgreich verdrängen.
Deutschland, die Nation wird ihm zur Religion

Zurück in Greifswald, schwört er der Theologenlaufbahn ab und habilitiert sich 1800 als Privatdozent für Geschichte. Mit seinem drei Jahre später erscheinenden sozialreformerischen Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen greift er in das politische Leben ein. Die Schrift macht ihn schlagartig berühmt und führt mit zur Abschaffung der Leibeigenschaft in Pommern 1806.

Doch bald schon geht sein Blick gen Westen. Napoleons Siegeszug durch Europa wandelt den schwedischpommerschen Royalisten Arndt zum deutschen Patrioten. Ein schwedischer Offizier namens Gyllensvärd muß es am eigenen Leib erfahren. Arndt beschuldigt ihn, „ein schlechtes Wort über das deutsche Volk fallen“ gelassen zu haben. Drei Tage später findet das Duell statt. Die Kugel des Offiziers trifft Arndts Bauch. Sechs Wochen strenge Bettruhe für die deutsche Ehre …

Schließlich zwingt Napoleons Sieg über Preußen bei Jena und Auerstedt den soeben ernannten außerordentlichen Professor für Geschichte zur Flucht ins „schwedische Exil“ – hat er doch im ersten Band seiner historischpolitischen Aufsatzsammlung Geist der Zeit (1806) zum Widerstand gegen die französische Expansion aufgerufen. Er fordert eine Wiederbelebung des deutschen Nationalbewußtseins und den Kampf gegen die einseitige Geistigkeit der Zeit.

Bekennend schreibt er 1807 an Charlotte von Kathen: „Mein deutsches Vaterland und seine heilige Sache verlasse ich nicht, so lange noch ein Tropfen Blut in mir warm ist. Ich fühle jetzt inniger als je, daß ich den Deutschen angehöre und keinem andern Volk angehören könnte noch möchte.“

Ernst Moritz Arndt hat sein Thema gefunden: Kampf dem Kosmopolitischen und Rationalistischen. „Es waren die sogenannten Philanthropen, Kosmopoliten in ihren Träumen (…) und wenn man will veredelte Juden (…); sie schlossen die ganze Welt in den weiten Mantel ihrer Liebe ein, aber übersahen nur, daß die Leute zu Hause froren.“ Die Nation wird ihm zur Religion. Arndt ruft die Deutschen zu den Waffen: „Ein einiges Volk zu sein, sei die Religion unserer Zeit, die höchste Religion sei das Vaterland lieber zu haben als Herren, Weiber und Kinder, die höchste Bestimmung des Mannes sei, für Gerechtigkeit und Wahrheit zu siegen oder zu sterben.“
Germanisches Blut darf sich nicht mit jüdischem vermischen

In den Jahren zwischen 1812 und 1814 erreicht er den Höhepunkt seiner Laufbahn. Als „Politoffizier“ des Freiherrn von Stein sitzt er am Zarenhof in Petersburg im politischen Zentrum der russisch-deutschen Erhebung. Die ideologische Vorbereitung des deutschen Kampfes gegen Napoleon, jenes „erhabene Ungeheuer“, ist seine große Aufgabe. In unzähligen Flugschriften fordert er Mut und Opferbereitschaft von den Deutschen. Das Ziel: die Restitution des deutschen Volkes. Die Aufgabe: Kampf gegen die Franzosen und die partikularistischen Interessen einzelner deutscher Fürsten. „Wir ringen um die Wiedererschaffung eines teutschen Volkes aus den Völkchen: das will Gott.“

Arndts Flugschriften predigen und hämmern die neue nationale Ideologie in das Bewußtsein seiner Zeitgenossen. Wie kaum ein politischer Schriftsteller vor ihm trifft er den Ton der einfachen Leute. So wird er tatsächlich zu dem nationalen Volkserzieher. Unermüdlich predigt er Haß gegen den französischen Feind, „das Reich Satans“. Aktuelle Themen werden von ihm so formuliert, daß sie „Zündpulver“ für die Deutschen und „Rattenpulver für die Franzosen“ sind. Doch Arndts Völkerhaß ist nicht nur rhetorisches Mittel der Demagogie, er ist integraler Bestandteil seiner nationalen Ideologie: „Das ist des Deutschen Vaterland / Wo Zorn vertilgt den welschen Tand / Wo jeder Franzmann heißet Feind, / Wo jeder Deutsche heißet Freund (…).“ Gegen Kampf und Vision haben die Reiseerfahrungen bei Arndt kein Chance.

Nach 1815 ändert sich die Situation. Die Restauration hält Einzug. Arndts massive Fürstenschelte im vierten Teil seines Geistes der Zeit (1818) führt zu einem Eklat. Der Held der Freiheitskriege wird 1820 in Folge der Karlsbader Beschlüsse von seiner Professur für Geschichte an der Universität Bonn suspendiert. Erst im Juli 1840 begnadigt ihn Friedrich Wilhelm IV. Und ein letztes Mal noch steht Arndt – mittlerweile 79jährig – auf der politischen Bühne. Vom „stählernen“ Kreis Solingen gewählt, zieht er 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung ein. Ihm zu Ehren erheben sich die Abgeordneten und singen sein zum Volkslied avanciertes Was ist des deutschen Vaterland? Republikanische Ideen wird Arndt jedoch als rechter Liberaler weiterhin verschmähen. Enttäuscht verläßt er das Parlament nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. Hochbetagt und hochverehrt, stirbt er am 29. Januar 1860 in Bonn.

Bei allem Respekt für den mutigen und zuweilen kauzigen Publizisten – die Basis seines Denkens bildet eine rassistische, in Ansätzen biologistische Völkerpsychologie: Klima und Sprachen grenzen für ihn die Völker naturgesetzlich voneinander ab, die durch göttliche Weisung an ihren Platz auf der Erde gestellt wurden.

Auf gefährliche Weise verändert Arndt das Differenzierungsaxiom Montesquieus, wonach jede Nation sich nach ihren klimatischen und kulturellen Besonderheiten entwickeln müsse. Die prinzipielle Einheit und Gleichheit des Menschengeschlechts hatte Montesquieu nie in Frage gestellt. Anders Arndt: Völker sind grundsätzlich unterschiedlich. Die Kerne der Nationen – Nation gleich Volk – bilden unveränderliche Nationalcharaktere, die von Gott „verliehen“ wurden. „Die einzige gültigste Naturgrenze macht die Sprache. Die Verschiedenheit der Sprachen hat Gott gesetzt (…). Die verschiedenen Sprachen machen die natürliche Scheidewand der Völker und Länder, (…) damit der Reiz und Kampf lebendiger Kräfte und Triebe entstehe (…).“ Auf zum Kampf der Nationen!

Eine Mischung – „Verbastardung der Nationen“ – muß verhindert werden. Vor allem die mit französischem Blut, das „wie ein betäubendes Gift den edelsten Keim angreift“. So wundert es nicht, daß Arndt auch vor einer Mischung mit jüdischem Blut warnt. Zwar sei durch den Übertritt zum Christentum in der zweiten Generation der „Same Abrahams“ kaum noch zu erkennen, „aber die Tausende, welche die russische Tyrannei uns nun noch wimmelnder jährlich aus Polen auf den Hals jagen wird“, „die unreine Flut von Osten her“, bereiten ihm Bauchgrimmen. Zudem orakelt er von einer jüdisch-intellektuellen Verschwörung, „denn Juden oder getaufte und (…) eingesalbte Judengenossen habe sich der Literatur, der fliegenden Tagesblätter wohl zur guten Hälfte bemächtigt und schreien ihr freches und wüstes Gelärm, wodurch sie (…) jede heilige und menschliche Staatsordnung als Lüge und Albernheit in die Luft blasen möchten.“

Zeitlebens arbeitet Arndt vehement am deutschen Überlegenheitsmythos und an deutscher Mission. Es sei „der kräftige lebensvolle und saftvolle Wildling, Germane genannt“, dem Gott die edelsten geistigen und körperlichen Eigenschaften eingepflanzt habe. „Der Germane und die von ihm durchschwängerten und befruchteten“, also kulturell germanisierten „Romanen“ bilden den Höhepunkt der Menschheitsentwicklung und werden die „umwohnenden Völker fremder Art als Allherrscher beleben und leiten“.

Zu seinem Bedauern stellt Arndt fest, daß die verzagten Deutschen bisher ihre nationalen Möglichkeiten nicht genutzt haben. „Wir spielen doch immer nur noch in deutschen Anfängen (…). Aber ich hoffe, die Deutschen werden (…) in einem großen Volkskampf mit Russen oder Franzosen, der uns zur Vollendung durchaus nothwendig seyn wird, durch den Geist, den sie wirklich vor allen Europäern tragen, endlich einmal ihr volles Volksland und Volksrecht, ihre Weltlehre und ihr Weltrecht erringen (…).“

So werkelt und meißelt Arndt fleißig am Mythos des nationalen Erlösers. „Es wird ja hoffentlich einmal eine glückliche deutsche Stunde für die Welt kommen und auch ein gottgeborener Held, (…) der mit scharfem Eisen und mit dem schweren Stock, Scepter genannt“, das Reich „zu einem großen würdigen Ganzen zusammenschlagen kann“.

Nun wahrlich, Arndts Traum sollte in Erfüllung gehen, dieser Führer kam! Und wenn heute die Universität Greifswald in einem Prospekt davon spricht, daß „,seine‘ Universität (…) in der Tradition auch seiner Ideen“ stehe, so stellt sich die Frage, ob man in Greifswald (und andernorts, in den Kultusministerien und bei der Bundeswehr) überhaupt weiß, was es mit den „Ideen“ des Ernst Moritz Arndt so auf sich hat. 

(http://www.zeit.de/zeitlaeufte/fataler_patron/komplettansicht)
https://www.facebook.com/arndt.bleibt/ 2000 Luftballons für Arndt

22.02.2017 Wo die Vernunft gefühlten Wahrheiten weicht

In Greifswald proben empörte Bürger den Aufstand gegen die Namensänderung der Universität. Dabei geht es längst nicht mehr um den Rassismus Ernst Moritz Arndts – sondern um Identität. Von Hannah Bethke siehe Link: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/streit-ueber-ernst-moritz-arndt-in-greifswald-14887949.html

Universität Greifswald

20 Jan

Die Greifswalder Universität verabschiedet sich von „Ernst-Moritz-Arndt“

Man sollte diese Entscheidung einen weltbürgerlichen Akt nennen, der allerdings, wie sollte es wundern, die Diskussion nicht beendet hat. Durch unreflektierte, ressentimentgeladene und verächtlich machende Äußerungen in verschiedenen Medien fühle ich mich veranlasst, meinen vor sieben Jahren zum gleichen Anlass verfassten „Brief“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen:

Dienstag den 16. Februar 2010                                                                                                                          An die Mitglieder des Senats                                                                                                                          der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald

Sehr geehrte Damen und Herren,

im diskursiven Vorfeld der Entscheidungsfindung und der Abstimmung des Senats über die formelle Aufhebung der Verleihung des Namens „Ernst-Moritz- Arndt Universität“  der Greifswalder Universität aus dem Jahre 1933 erlaube ich mir, Ihnen meine Anmerkungen zur politischen Problematik dieser Angelegenheit zur Kenntnis zu geben.

….

„Anmerkungen zur politischen Problematik der Umbenennung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Die Greifswalder Universität will und muss sich der Verantwortung stellen, die ihr aus der aktuellen, öffentlichkeitswirksamen Problematisierung Ernst Moritz Arndts in seiner Eigenschaft als ihr Namenspatron zugewachsen ist.

So wie nach Auschwitz das Verhältnis Deutschlands zu Israel und den Juden auf lange Zeit ein „besonderes“ sein wird, so sollte auch das Verhältnis der Deutschen zu Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein von besonderer Sensibilität geprägtes bleiben.

Wer, wenn nicht die akademischen Vertreter unseres Landes, hätte als Erster diese Sensibilität zu wahren und durch sein Wirken positiven Einfluss auf die politische Entwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens zu nehmen?

Die Heftigkeit, mit der der Streit um die Umbenennung von den verschiedensten Seiten geführt wird, deutet auf eine so von vielen nicht erwartete Aktualität untergründiger Konflikte. Deren politischer Charakter liegt auf der Hand.

Und so wird die zu treffende Entscheidung eine ethisch motivierte politische Entscheidung sein müssen

Zu einzelnen Aspekten:

  1. Arndts Rassenwahn

Arndts unheilvollste  Äußerungen sind Ausdruck einer ideologischen Weltsicht, die ihr Heil suchte in einer Kompensation von ins Allgemeine gehobenen subjektiven Gefühlen des Nichtgenügens und des Zukurzgekommenseins, bei gleichzeitigem Größenwahn, durch das Setzen eines fiktiven „teutschen“ Nationalcharakters. Hierbei steigerte Arndt, unter Verhöhnung alles Undeutschen, die hässliche Seite schrullig-kruder Deutschtümelei wahnhaft ins Vorläufige rassentheoretischer Ideologie, die bekanntermaßen im deutschen Nationalsozialismus ihren schandbaren Höhepunkt erreichte.

2. Arndt und seine Zeit

Nimmt man das entlastend gemeinte Argument ernst, man müsse Arndt in seiner Zeit sehen, so wird man in Bezug auf seine maßgeblichen Äußerungen, die ihn als Namenspatron disqualifizieren,  feststellen müssen, dass Arndt nicht schlechterdings den Zeitgeist bediente, sondern dass er erheblich den „Zeitgeist“ forcierte, indem er als Mann der Worttat das Inhumane, den Ungeist seiner Zeit an vorderster Front schürte. Sein von Sendungsbewusstsein getriebener demagogischer Eifer half mit, dass Humaneres bei seinen Zeitgenossen nicht durchdrang.

Die mitunter plakativ als Argumente „gegen Arndt“ benutzten Zitate  waren keine verbalen Entgleisungen, sondern wohlbedacht platzierte rhetorische „Spitzenleistungen“ seiner ansonsten durch die verschiedensten Fachbereiche deklinierten nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Anschauungen.

 

3. Arndt und die deutsche Einheit

Arndt als Stichwortgeber oder geistigen Schirmherren für die „friedliche Revolution“ reklamieren zu wollen, wäre eine sophistische Meisterleistung. Jedenfalls das, was die Ostdeutschen im „Herbst 89“ bis zum Fall der Mauer unter sich ausmachten, hatte mit Arndt nichts zu tun. Weder das Motto „Schwerter zu Pflugscharen“, die Rufe, „Gorbi, Gorbi“ oder „Keine Gewalt“ noch die Forderung „Stasi in die Produktion“ bedurften der Inspiration durch Arndt. Das Volk musste nicht agitiert werden. Es hatte sich für einen kurzen historischen Moment von jeder Agitation emanzipiert.

4. Arndt und die Theologie

Wie einer mit „Seinem“ Gott ins Reine kommt, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Wer damit aber, wie Arndt, an die Öffentlichkeit geht, setzt sich der Kritik aus.

Zum Ersten: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte …“ (1812). Wenn man dieses Lied nicht in pubertärer Bierseligkeit grölt, sondern das Gedicht bei klarem Verstand auf sich wirken lässt, wird einem bewusst, dass Arndt seinen Gott bedenkenlos instrumentalisiert. Die Nationalisierung Gottes ist ein Rückfall hinter die Botschaft von Himmelfahrt und Pfingsten, ist die primitive Negation der Botschaft des Neuen Testamentes vom Bund Gottes mit allen Menschen. Damit geschieht Arndt, was vielen Fanatikern passiert: Sie gleichen sich ihrem Gegner an. Arndt begibt sich damit auf das „politische“ Niveau alttestamentarischen Gottesverständnisses.

Zum Zweiten: „Ich weiß, woran ich glaube …“ von 1819 muss man nun genau in diesem Kontext verstehen – nicht abstrakt als Ausdruck einer ihm mit den Jahren zugewachsenen Abgeklärtheit, sondern einer pathetisch daher kommenden, sich selbst bestätigenden  religiösen Vermessenheit: „Auch kenn‘ ich wohl den Meister, der mir die Feste baut …“.

An dieser Stelle soll ausnahmsweise direkt auf ein Statement (Anhörung vom 11.12. 2009) aus dem Kreis der Namensbefürworter eingegangen werden, um die Aufmerksamkeit auf eine häufiger im Zuge des Anhörungsprozesses beobachtete unkritische Herangehensweise zu lenken, die Relativierungen begünstigt, mit denen eine ehrliche Aufarbeitung von Geschichte nicht zu leisten ist. Zwei Sätze, die exemplarisch dafür stehen seien hier zitiert.

Professor Staats (Kiel) schreibt:

Erstens: „Als 1933 Arndts Name in den Titel der Universität kam, da war wirklich auch im gebildeten Bürgertum die Vorstellung verbreitet, dass die nationale Bewegung eine „Freiheitsbewegung“ sei.“

Und zweitens: „Am Namen Arndts kam offensichtlich kein wacher Bürger vorbei – bis in den Zweiten Weltkrieg.“

Diese Sätze, offensichtlich als Verteidigung seines bei der Namensgebung 1933 federführend wirkenden Kollegen Glawe gedacht, schreien, so harmlos sie auch scheinen mögen, in ihrer intellektuellen Einfalt geradezu nach einer Hinterfragung ihres historischen Wahrheitsgehaltes:

Wäre da nicht zu fragen: was konstituierte die Bildung des „gebildeten Bürgertums“, dass sich in ihm eine Verwechslung des deutschen Faschismus mit einer „Freiheitsbewegung“ verbreiten konnte? War es nicht eher so, dass der Identifikation des verinnerlichten tradierten Arndt’schen Freiheitsbegriffes mit dem der Nazis schon nichts Wesentliches mehr entgegenstand? Wie hätte sonst ein Theologieprofessor nur wenige Monate nach dem Reichstagsbrand, nach pausenlosen medialen Hasskampagnen und der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie ausgerechnet Arndt als Namenspatron für die Universität vorschlagen können? Konnte dies alles einem gebildeten Bürger entgangen sein?

Auch konnte in der Tat weder ein „wacher deutscher Bürger“ noch eine wache deutsche Bürgerin am Namen Arndts vorbeigekommen sein. Nur, mit welchem Resultat? Der Ruf: „Deutschland erwache“ – vornehmlich zum Einschläfern der Vernunft skandiert – verschreckte gerade die wachesten Köpfe. Viel von ihnen verließen noch rechtzeitig das Land. Die große Zahl ergab sich dem Rausch neuer verheißener nationaler Größe.

Hätte sich hier für den Professor beim Lesen seiner eigenen Sätze nicht selbst die Möglichkeit einer Frage auftun können: ‚Gibt es da vielleicht eine Verbindung zwischen der Rezeptions- und der Wirkungsgeschichte Arndts, dem flächendeckenden Eintrichtern Arndt’scher Verse und Arndt’schen „Gedankenguts“ und der geistigen Verfassung des „wachen“ und „gebildeten“ Bürgertums im Frühling des Jahres 1933? Hätte sein Votum dann noch negativ, gegen eine Umbenennung ausfallen können?

5. Arndt in unserer Zeit, die Stadt und die Universität

„… die Befangenheit in den eigenen Vorurteilen bis hin zum Rassenwahn blieb einKontinuum der Deutschen Geschichte.“ (A. Herzig – „Die Zeit“ 4/2010 S. 78).

Häufig werden von Gegnern der Umbenennung der Universität aus Kreisen der Greifswalder Bevölkerung die engen Verbindungen zwischen Stadt und „ihrer“ Universität argumentativ ins Spiel gebracht. Die Gewichte sind allerdings ungleich verteilt, was dabei gern vergessen wird. Die Stadt lebt wesentlich durch und von der Universität, nicht umgekehrt. Das prägt das Miteinander beider. Über den guten Ruf einer Universität entscheiden offensichtlich andere Kriterien als ihr Name, solange der Namenspatron nicht zur Belastung wird. Der Streit um Ernst Moritz Arndt ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Legte die Universität ihren Namen ab, verlöre die Stadt nichts als eine mehr oder weniger unreflektiert liebgewonnene Gewohnheit. Die Stadt lebt kaum mit, noch weniger durch Arndt. Sähe sich „die Universität“ andererseits gedrängt, auf lokalpolitische Befindlichkeiten und Animositäten Rücksicht nehmen zu müssen („… jetzt wollen sie uns auch noch unseren Arndt nehmen!“) , würde die Stadt zur Belastung für die Universität. Das wäre für keinen gut.

Im Gegenteil: Der Namensstreit bietet all jenen, die den Namen Arndts positiv verinnerlicht haben eine Chance zur Neujustierung ihres Geschichtsbildes. Und – eine Umbenennung überließe Arndt nicht den Rechtsextremen, wie ein irrlichterndes Argument suggerieren will, sondern sie nähme denen eher die Möglichkeit eines peinlichen Verweises: in Greifswald trage selbst eine Universität den Namen dessen, der nach wie vor zu einem ihrer Helden taugt.

Der Universität hat sich die Chance einer Rehabilitierung ihrer Reputation gegeben, nachdem sie unsanft aus dem Dornröschenschlaf einer scheinbar unschuldigen Namensträgerschaft geweckt wurde. Denn unvergessen ist, dass sich auf Initiative und unter dem Beifall verblendeter akademischer Kader die Universität im Frühjahr 1933 freiwillig und in Ergebenheit zum „Führer“ den Namen Arndts zulegte, dessen Visionen sich dank der nationalsozialistischen Bewegung endlich zu verwirklichen schienen. Gleichzeitig, am 7. und 25. April, wurden Gesetze erlassen, mit denen begonnen wurde, Hochschulen und Universitäten von Juden und Andersdenkenden zu säubern und am 10. Mai loderten unter den Augen der Universität auch auf dem Greifswalder Marktplatz die Flammen der auf den Scheiterhaufen geworfenen Bücher.

Deutsche Universitäten erwiesen sich nicht als geistiges Bollwerk gegen die aufziehende Barbarei, sondern als ihr intellektueller Treibriemen. Hinzu kamen traditionell verhängnisvolles politisches Desinteresse, Wegsehen und Verdrängen und der Rückzug in vermeintlich reine Wissenschaft.

Heute lautet die Frage ganz klar, gibt es Gründe, die eine deutsche Universität im Jahre 2010 veranlassen könnten, sich den Namen „Ernst Moritz Arndt“ zuzulegen? Die Antwort darf nicht verweigert werden und muss in die Entscheidung eingehen. Und da die Entscheidung eine politische ist, muss auch die Begründung politisch sein und ethisch motiviert.

Wissenschaftlicher Diskurs, Stellungnahmen, Anhörungen, die unterschiedlichsten medialen Äußerungen und anderes mehr haben den Erfahrungshorizont mit Arndt erweitert und Erkenntnisse über ihn und uns zu Tage gefördert, hinter die zurückzugehen der politische Anstand verbietet.

Ein Festhalten am status quo sollte heute also nicht mehr möglich sein, käme es doch einer erneuten Bestätigung jener beschriebenen beschämenden Vorgänge gleich, und wäre als Rückzug auf angeblich „wissenschaftlich“ nicht Entscheidbares schlicht Verweigerung politischer Verantwortung.“