Auch ich hätte applaudiert
Auf der Berlinale, so heißt es, wurden Preisträger auf die Bühne gebeten. Diese dankten, und gaben Statements ab. Das Publikum dankte seinerseits und applaudierte teils stürmisch. Soweit gut. – Nein! Auf der Bühne waren Begriffe wie Apartheid und Genozid gefallen.
Erwartungsgemäß bricht ein Sturm der Entrüstung los. Es sind die berüchtigten, oft als Totschlagargumente missbrauchten Begriffe wie Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, die nun wie wilde Hunde auf die Festivalmacher und die inkriminierten Preisträger losgelassen werden, mit teils verheerenden Folgen, bis hin zu Morddrohungen.
Das Publikum, das sich Beifall zu klatschen erfrechte, wird ebenfalls abgestraft und belehrt, wie das exemplarisch und besonders feinsinnig in der „Jüdischen Allgemeinen“ (27.02.) Maria Ossowski gelingt: „. . . und niemand im woken, coolen und feierwütigen, champagnerdurstigen und fingerfoodhungrigen Berlinale-Palast-Publikum hat die Aktivisten auf der Bühne an den 7. Oktober erinnert.“ – Als hätte man am day 141 – Israel at war, noch jemanden an den 7. Oktober 2023 erinnern müssen.
Politiker aller Couleur beeilen sich, von der Presse inspiriert, ihrer professionellen Empörung Luft zu machen, besonders jene, die am Abend zugegen gewesen waren. Auch die unvergleichliche Claudia Roth, die unter den Fingerfoodhungrigen gesichtet worden war, und sich des Beifalls nicht gänzlich hatte entschlagen können, rudert tags drauf zurück, verdammt das Verhalten des Publikums und aller anderen Unbotmäßigen und beruft sogleich eine Krisensitzung des Aufsichtsrats der Internationalen Filmfestspiele ein. Zur Aufarbeitung des Berlinale-Skandals.
Seit 141 Tagen geht nun schon die täglich mantraartig wiederholte Erzählung so: der Antisemitismus habe hier und weltweit zugenommen seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober – um nicht sagen zu müssen, die Wut in der arabischen Welt und die allgemeine Bestürzung über Israels Kriegsführung gegen die Hamas, die eher einem von seiner Regierung nicht geleugneten Rachefeldzug gegen die Palästinenser gleicht, wächst mit dem Ausmaß der flächendeckenden Verwüstungen des Gazastreifen und ihren katastrophalen Folgen.
Die Schande von Berlin Skandalverleihung bei der Berlinale titelt die SZ – Dies ist an Hetze kaum zu überbieten. Den Skandal verleihen die Medien. Das ist der Skandal!
Die täglichen Bilder der grauenhaften Zustände und des menschlichen Leids, die wortreichen Apelle und die vielen anderen wirkungslosen Versuche der Weltgemeinschaft, diesen Wahnsinn zu stoppen, dazu das in Deutschland unterm Verdikt seiner besonderen Staatsraison vermeintlich pflichtschuldig verhängte Tabu, nicht mit den einzig richtigen Namen benennen zu dürfen, was da geschieht, muss zusammen mit den in Verdacht stehenden Filmen schon beklemmend über dem Abend gehangen haben, als von der Bühne herab gesagt wird, was ist, und das Publikum zum Applaus ansetzt und ihn anschwellen lässt – zu einem Akt der Befreiung . . .