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WEIHNACHTEN – DAS BALLETT stürmisch gefeiert

28 Nov

Greifswald. Im trüben November, noch vor Advent und erstem Schnee, präsentierte Ralf Dörnen, Ballettdirektor und Chefchoreograph am Theater Vorpommern, seinen neuen Ballettabend.

„Weihnachten, o Gott, schon wieder!“ – so mag der gestresste Zeitgenosse aufstöhnen und hoffen, dass das alles bald vorbei sei. Wer von derlei depressiv-destruktiven Gedanken geplagt wird, für den hält Ralf Dörnen ein Gegengift bereit.

Ein liebevoller Blick senkt sich auf die biblische Weihnachtsgeschichte. Man muss nicht religiös sein, um zu erfahren, dass da immer, bei jeder Geburt, ein Rest von Geheimnis bleibt. WEIHNACHTEN – DAS BALLETT ist ein Angebot, sich diesen Blick zu eigen zu machen, der vieles streift, was uns an diesem Abend und gewiss auch später noch begegnen wird.

„Maria durch ein Dornwald ging“- mit diesem von den King‘s Singers wunderschön gesungenen Adventslied beginnt Marias Gang durch diesen Abend. Sie ist eine von uns. Sie trägt ein leichtes schlichtes Sommerkleid. Ein Engel verkündet ihr, dass sie schwanger werden und Gottes Sohn zur Welt bringen wird. Was für eine alles verändernde Nachricht!

Und überhaupt – die Engel, diese zwischen Himmel und Erde vermittelnden schwebenden Wesen, ihre Anmut und Kraft scheinen Erdenschwere zu überwinden. Mal ohne, mal mit Flügeln, mal mehr oder weniger geschlechtsneutral gewandet, gleiten sie über die Bühne. Als Johann Sebastian Bachs „Jauchzet, frohlocket“ erschallt, verklären sich ihre Gesichter und tanzend widerspiegeln sie den Jubel dieser ewig jungen Musik. Wer diese Bilder gelungener Symbiose von Tanz und Musik gesehen, wer die kongeniale choreographische Nachzeichnung Bachscher Kontrapunktik im Engelrauschen erlebt hat, wird das alles unverrückbar in Erinnerung behalten – ja, er wird diese Musik neu und anders hören, wo immer sie ihm begegnet, und sei‘s im Supermarkt.

Und genau dorthin, in die unvermeidliche Weihnachts-Konsumwelt nimmt uns das Ballett mit. Weihnachtsmänner, inflationär schon Wochen vor Advent und Fest als Deko und in Schokolade omnipräsent, führen hier, quicklebendig und auf ihr lästiges Image pfeifend, einen übermütigen Tanz mit vollbepackten Einkaufswagen auf, der in halsbrecherisch akrobatischen Fahrten über den leeren Bühnenboden und natürlich in einer turbulenten Paketschlacht enden muss. Fröhliches Chaos! Aber das Chaos lässt sich steigern. Deutsches Familienweihnachtsidyll: Die Frau am Herd, die Gans im Ofen, der Mann streitende Geschwister neutralisierend, Besuch von Oma und Opa, und Onkel und Tante mit Kind, Alkohol, Geschenke … Erst nur im Hintergrund rumorend, doch schon nichts Gutes ahnen lassend, Ravels Bolero. Was für ein Einfall! Im Gleichschritt mit dem unerbittlichen Crescendo des spanischen Tanzes kann die Situation herrlich eskalieren. Opa trinkt als erster über den Durst, Geschenke treffen nicht auf Gegenliebe, flirtende Blicke treffen auf die Falsche, hungrige Mäuler nicht auf Nahrung und die eifersüchtige Hausfrau verliert das Wichtigste aus den Augen. Die Gans – man hat es lang erwartet – qualmt aus dem Ofen, die Fetzen fliegen, nichts bleibt wie und wo es war. Dann, endlich, finden Chaos und Bolero gemeinsam ihren finalen Akkord. Der Vorhang fällt, Pause.

Nach der Pause rollen aus über vierhundert Metern weißen Tülls gefertigte Schneeflockenkostüme über die Bühne, die ihren Trägern Gelegenheit zu den witzigsten Kapriolen bieten und das Publikum zu herzlichem Applaus verführen. Spontanen Beifall gab es auch für die märchenhaften, variierbaren Vorhänge aus gefühlt tausend kleinen Lichtquellen.

Ob man sich an Inszenierungen erinnert, hängt nicht wenig von nachhaltigen visuellen Eindrücken ab. Spätestens hier muss Cornelia Brey, für Bühne und Kostüme verantwortlich, gewürdigt werden. Erstaunlich sicher schuf sie ideale Tanz- und Spielräume und entwarf schöne, unprätentiöse Kostüme, die den Tänzerinnen und Tänzern und den von ihnen zu verkörpernden Figuren bestens dienen. Wie Marias Kleid, leben auch die Kostüme der Engel von ihrer Schlichtheit, und auch die angehefteten Flügel entgehen stilsicher der Gefahr, in die Kitschfalle zu schlittern.

Generell zum Licht! Es schafft an diesem Abend keinen heimeligen Weihnachtsglanz, sondern für die jeweiligen Regieabsichten die gewünschte atmosphärische Verfremdung, jedem Anhauch von Rührseligkeit vorbeugend!

Der zweite Teil des Abends findet schnell wieder in seinen für diesen Anlass wohltuend gewählten Rhythmus der Reihung weltlich und religiös motivierter Szenen. Zum Ende schließt sich der Kreis mit drei Nummern aus dem Weihnachtsoratorium von Saint-Saëns. Maria erfährt die Geburt ihres Kindes, das später von sich sagen wird „Ich bin das Licht derWelt“, nun, zum Schluss, noch einmal – als Geburt dieses Lichts.

Ralf Dörnen wäre aber nicht der professionelle Choreograph, der er ist, entließe er sein Publikum mit dieser besinnlichen, entschleunigenden Sequenz. Zum Schlussapplaus darf sein mit glücklicher Hand neu komplettiertes Ensemble ein letztes mal voll aufdrehen. So konnte das buntgemischte Premierenpublikum noch leichter seiner Begeisterung freien Lauf lassen – und spendete langen, nicht enden wollenden stürmischen Beifall. Für alle hochverdient!

Ernst Moritz Arndt, der fatale Patron

2 Mär

Was noch täglich in der Greifswalder Ostseezeitung gegen die Umbenennung der Greifswalder Universität zu lesen ist, zeigt die ganze Fatalität dieses Patrons, und dass wir auch hier, wo alles angeblich mit fünfzigjähriger Verspätung eintritt, zügig im postfaktischen Zeitalter angekommen sind!

Besser und historisch gerechter als Jörg Schmidt kann man den „Geistesheroen“ Arndt, grade auch   i n  und  a u s   s e i n e r  Z e i t   h e r a u s,   nicht würdigen!

Fataler Patron

Noch immer tragen deutsche Schulen, Kasernen und eine Universität den Namen des völkischen Ideologen und Antisemiten Ernst Moritz Arndt
Von Jörg Schmidt
24. Februar 2009, 11:26 Uhr / Editiert am 30. Juli 2009, 16:17 Uhr / Quelle: (c) DIE ZEIT 5. 11. 1998

Im April 1933, die neue Ära hat gerade begonnen, beantragt der örtliche Leiter des Stahlhelms Professor Walter Glawe, der Greifswalder Universität den Namen Ernst Moritz Arndt zu verleihen. Pflichtgetreu folgt der Senat der Hochschule dem Antrag. Im Mai 1933 dann endlich aus Berlin der positive Bescheid vom preußischen Staatsministerium: „Der Universität Greifswald, an der Ernst Moritz Arndt als Student und Hochschulprofessor stets für die Freiheit, die Ehre und die Macht des Deutschen Vaterlandes an erster Front gekämpft hat, wird hiermit der Name ,Ernst Moritz Arndt Universität‘ verliehen.“

Genau zehn Jahre später: Auf der Gründungsversammlung des Nationalkomitees Freies Deutschland im Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau berufen sich die soldatischen Widersacher Hitlers auf Ernst Moritz Arndt. Hatte er nicht vorausschauend in seinem Soldatenkatechismus gepredigt, daß selbst ein Fahneneid auf den Führer einen deutschen Soldaten nicht binde? „Denn wenn ein Fürst seinen Soldaten befiehlt, Gewalt zu üben gegen die Unschuld und das Recht, (…) müssen sie nimmer gehorchen.“ Ernst Moritz Arndt wird zum Kronzeugen der antinationalsozialistischen Propaganda des Komitees. Überall ist er präsent. Die Anfangstakte seines Kampfliedes Der Gott, der Eisen wachsen ließ bilden das Erkennungszeichen der Radiosendungen. Und die Grabenlautsprecher des Komitees beschallen die Gegenseite mit Arndts pathetischen Worten zu deutscher Soldatenehre.

Zur selben Zeit (1943) veranstaltet die Ernst Moritz Arndt Universität in Greifswald eine Arndt-Woche. Auch hier dienen seine Schriften der moralischen, soldatischen und nationalen Aufrichtung: zur Stärkung des nationalsozialistischen Kampf- und Durchhaltewillens nach Stalingrad.

Und noch einmal Arndt, zwanzig Jahre später: Nachdem die Greifswalder Universität seinen Namen 1945 zuerst inoffiziell abgelegt hatte, folgt 1954 die Kehrtwende. Der Senat der Hochschule beschließt die Wiedereinsetzung des Namens. Im August 1954 teilt der Staatssekretär für Hochschulwesen der Hochschule mit, daß, da der Name der Universität nach dem Krieg nie aufgehoben worden sei, die Universität weiterhin den Namen Ernst Moritz Arndt Universität trage. Und er gibt zu bedenken: „Wir empfehlen (…), bei passenden Anlässen (…) das grosse patriotische, von den Hitlerfaschisten verfälschte Streben und Wirken Ernst Moritz Arndt’s zu erläutern und aus deren Darstellung anspornende Kraft für die Erfüllung unserer gegenwärtigen Aufgaben zu gewinnen.“

Die Grabenkämpfe zur Inanspruchnahme des Deutschesten aller Deutschen wurden von links und rechts geführt. Betonten die einen den streitbaren Patrioten und Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, feierten ihn die anderen als Überwinder Napoleons, als Erwecker der deutschen Nation und nicht zuletzt als unermüdlichen Kämpfer gegen den französischen Erbfeind: „Zu den Waffen! Zu den Waffen! Zur Hölle mit den wälschen Affen! Das alte Land soll unser seyn!“

Bis vor fünfzig Jahren galt Ernst Moritz Arndt als einer der berühmtesten Deutschen. Hatte ihn nicht sogar Friedrich Gundolf 1924 in das Elysium der Geistesheroen erhoben? Neben Luther habe es „keinen gewaltigeren Warner“ und „geisterfüllteren Kritiker“ gegeben. Dies würde zwar heute niemand mehr von dem kleinen knorrigen Vorpommern behaupten wollen. Dennoch ist Ernst Moritz Arndt überall in Deutschland präsent: Straßen, Schulen, Kasernen tragen seinen Namen – und, nach wie vor, die Universität in Greifswald. Die Frage ist nur: Können sich Institutionen einer Demokratie, kann sich die Republik wirklich guten Gewissens auf ihn berufen?

Ernst Moritz Arndt, geboren am 26. Dezember 1769 in Groß Schoritz auf dem damals schwedischen Rügen, kommt aus engen Verhältnissen. Sein Vater – noch als Leibeigener geboren – ist Angestellter des Grafen von Putbus, doch bald schon pachtet die Familie ein eigenes Gut auf Rügen. Diese bäuerlich-patriarchalische Herkunft prägt Ernst Moritz Arndt grundlegend, und der Kampf gegen das Zerbrechen der sozialen ländlichen Harmonie wird ihm später ein wichtiges Thema. Von 1791 an studiert er Theologie und Geschichte in Greifswald und Jena. 1794 kehrt er nach Vorpommern zurück, wo er „auf eine unbeschreiblich leichte Weise“ sein theologisches Examen ablegt. Die Bahnen scheinen bereitet für eine klassisch-bürgerliche Existenz.

Doch dann flieht Arndt die ausgetretenen Pfade. Eineinhalb Jahre reist er durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien und Frankreich. Auf der Reise gibt er sich als Schwede aus, da der Name eines Deutschen in Europa „stinkend“ geworden sei. Die zentralen Momente von Arndts Denken zeigen sich: Kampf gegen das nationale Unterlegenheitsgefühl, besonders gegenüber der politischen und kulturellen Leitnation Frankreich, und seine Völkerpsychologie. So bewundert er den Nationalcharakter der Ungarn. Anders als die jede Nation nachahmenden Deutschen besitzen die Ungarn einen eigentümlichen „Nationalcharakter, der allein (…) ein Volk macht. Wem dieser Nationalcharakter, dieses Unterscheidende, fehlt, dem fehlt auch ein Land, das ihn zusammenhalte (…).“ Arndts Einschätzung ist gleichzeitig Appell an die Deutschen: Bewahrt euren Nationalcharakter! Verliert euch nicht in kosmopolitischen Träumereien …

Und dann Paris: Mit großen Augen durchstreift er Straßen und Winkel der Stadt. Wie schon in Wien und Budapest zieht ihn seine aufklärerische Libido in die Nähe der Huren, der „Schwesternkongregationen der Straße“. Nicht idealisierend oder dämonisierend – nein: neugierig und fasziniert beobachtet er das Treiben im Hallenviertel. „Nicht einzeln (…) gehen hier die Mädchen und Weiber auf den Fang aus, sondern in ganzen Haufen und oft lauern einige handfeste Kerle im Hinterhalte mit Knüppeln, wenn das geenterte Schiff sich nicht gutwillig schleppen lassen will.“ All seinem späteren Franzosenhaß zum Trotz – noch rühmt Arndt die Franzosen als Nation, die er „ewig lieben“ müsse. Doch seine nationalen Visionen werden diese Reiseerfahrung bald erfolgreich verdrängen.
Deutschland, die Nation wird ihm zur Religion

Zurück in Greifswald, schwört er der Theologenlaufbahn ab und habilitiert sich 1800 als Privatdozent für Geschichte. Mit seinem drei Jahre später erscheinenden sozialreformerischen Versuch einer Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und Rügen greift er in das politische Leben ein. Die Schrift macht ihn schlagartig berühmt und führt mit zur Abschaffung der Leibeigenschaft in Pommern 1806.

Doch bald schon geht sein Blick gen Westen. Napoleons Siegeszug durch Europa wandelt den schwedischpommerschen Royalisten Arndt zum deutschen Patrioten. Ein schwedischer Offizier namens Gyllensvärd muß es am eigenen Leib erfahren. Arndt beschuldigt ihn, „ein schlechtes Wort über das deutsche Volk fallen“ gelassen zu haben. Drei Tage später findet das Duell statt. Die Kugel des Offiziers trifft Arndts Bauch. Sechs Wochen strenge Bettruhe für die deutsche Ehre …

Schließlich zwingt Napoleons Sieg über Preußen bei Jena und Auerstedt den soeben ernannten außerordentlichen Professor für Geschichte zur Flucht ins „schwedische Exil“ – hat er doch im ersten Band seiner historischpolitischen Aufsatzsammlung Geist der Zeit (1806) zum Widerstand gegen die französische Expansion aufgerufen. Er fordert eine Wiederbelebung des deutschen Nationalbewußtseins und den Kampf gegen die einseitige Geistigkeit der Zeit.

Bekennend schreibt er 1807 an Charlotte von Kathen: „Mein deutsches Vaterland und seine heilige Sache verlasse ich nicht, so lange noch ein Tropfen Blut in mir warm ist. Ich fühle jetzt inniger als je, daß ich den Deutschen angehöre und keinem andern Volk angehören könnte noch möchte.“

Ernst Moritz Arndt hat sein Thema gefunden: Kampf dem Kosmopolitischen und Rationalistischen. „Es waren die sogenannten Philanthropen, Kosmopoliten in ihren Träumen (…) und wenn man will veredelte Juden (…); sie schlossen die ganze Welt in den weiten Mantel ihrer Liebe ein, aber übersahen nur, daß die Leute zu Hause froren.“ Die Nation wird ihm zur Religion. Arndt ruft die Deutschen zu den Waffen: „Ein einiges Volk zu sein, sei die Religion unserer Zeit, die höchste Religion sei das Vaterland lieber zu haben als Herren, Weiber und Kinder, die höchste Bestimmung des Mannes sei, für Gerechtigkeit und Wahrheit zu siegen oder zu sterben.“
Germanisches Blut darf sich nicht mit jüdischem vermischen

In den Jahren zwischen 1812 und 1814 erreicht er den Höhepunkt seiner Laufbahn. Als „Politoffizier“ des Freiherrn von Stein sitzt er am Zarenhof in Petersburg im politischen Zentrum der russisch-deutschen Erhebung. Die ideologische Vorbereitung des deutschen Kampfes gegen Napoleon, jenes „erhabene Ungeheuer“, ist seine große Aufgabe. In unzähligen Flugschriften fordert er Mut und Opferbereitschaft von den Deutschen. Das Ziel: die Restitution des deutschen Volkes. Die Aufgabe: Kampf gegen die Franzosen und die partikularistischen Interessen einzelner deutscher Fürsten. „Wir ringen um die Wiedererschaffung eines teutschen Volkes aus den Völkchen: das will Gott.“

Arndts Flugschriften predigen und hämmern die neue nationale Ideologie in das Bewußtsein seiner Zeitgenossen. Wie kaum ein politischer Schriftsteller vor ihm trifft er den Ton der einfachen Leute. So wird er tatsächlich zu dem nationalen Volkserzieher. Unermüdlich predigt er Haß gegen den französischen Feind, „das Reich Satans“. Aktuelle Themen werden von ihm so formuliert, daß sie „Zündpulver“ für die Deutschen und „Rattenpulver für die Franzosen“ sind. Doch Arndts Völkerhaß ist nicht nur rhetorisches Mittel der Demagogie, er ist integraler Bestandteil seiner nationalen Ideologie: „Das ist des Deutschen Vaterland / Wo Zorn vertilgt den welschen Tand / Wo jeder Franzmann heißet Feind, / Wo jeder Deutsche heißet Freund (…).“ Gegen Kampf und Vision haben die Reiseerfahrungen bei Arndt kein Chance.

Nach 1815 ändert sich die Situation. Die Restauration hält Einzug. Arndts massive Fürstenschelte im vierten Teil seines Geistes der Zeit (1818) führt zu einem Eklat. Der Held der Freiheitskriege wird 1820 in Folge der Karlsbader Beschlüsse von seiner Professur für Geschichte an der Universität Bonn suspendiert. Erst im Juli 1840 begnadigt ihn Friedrich Wilhelm IV. Und ein letztes Mal noch steht Arndt – mittlerweile 79jährig – auf der politischen Bühne. Vom „stählernen“ Kreis Solingen gewählt, zieht er 1848 in die Frankfurter Nationalversammlung ein. Ihm zu Ehren erheben sich die Abgeordneten und singen sein zum Volkslied avanciertes Was ist des deutschen Vaterland? Republikanische Ideen wird Arndt jedoch als rechter Liberaler weiterhin verschmähen. Enttäuscht verläßt er das Parlament nach der Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. Hochbetagt und hochverehrt, stirbt er am 29. Januar 1860 in Bonn.

Bei allem Respekt für den mutigen und zuweilen kauzigen Publizisten – die Basis seines Denkens bildet eine rassistische, in Ansätzen biologistische Völkerpsychologie: Klima und Sprachen grenzen für ihn die Völker naturgesetzlich voneinander ab, die durch göttliche Weisung an ihren Platz auf der Erde gestellt wurden.

Auf gefährliche Weise verändert Arndt das Differenzierungsaxiom Montesquieus, wonach jede Nation sich nach ihren klimatischen und kulturellen Besonderheiten entwickeln müsse. Die prinzipielle Einheit und Gleichheit des Menschengeschlechts hatte Montesquieu nie in Frage gestellt. Anders Arndt: Völker sind grundsätzlich unterschiedlich. Die Kerne der Nationen – Nation gleich Volk – bilden unveränderliche Nationalcharaktere, die von Gott „verliehen“ wurden. „Die einzige gültigste Naturgrenze macht die Sprache. Die Verschiedenheit der Sprachen hat Gott gesetzt (…). Die verschiedenen Sprachen machen die natürliche Scheidewand der Völker und Länder, (…) damit der Reiz und Kampf lebendiger Kräfte und Triebe entstehe (…).“ Auf zum Kampf der Nationen!

Eine Mischung – „Verbastardung der Nationen“ – muß verhindert werden. Vor allem die mit französischem Blut, das „wie ein betäubendes Gift den edelsten Keim angreift“. So wundert es nicht, daß Arndt auch vor einer Mischung mit jüdischem Blut warnt. Zwar sei durch den Übertritt zum Christentum in der zweiten Generation der „Same Abrahams“ kaum noch zu erkennen, „aber die Tausende, welche die russische Tyrannei uns nun noch wimmelnder jährlich aus Polen auf den Hals jagen wird“, „die unreine Flut von Osten her“, bereiten ihm Bauchgrimmen. Zudem orakelt er von einer jüdisch-intellektuellen Verschwörung, „denn Juden oder getaufte und (…) eingesalbte Judengenossen habe sich der Literatur, der fliegenden Tagesblätter wohl zur guten Hälfte bemächtigt und schreien ihr freches und wüstes Gelärm, wodurch sie (…) jede heilige und menschliche Staatsordnung als Lüge und Albernheit in die Luft blasen möchten.“

Zeitlebens arbeitet Arndt vehement am deutschen Überlegenheitsmythos und an deutscher Mission. Es sei „der kräftige lebensvolle und saftvolle Wildling, Germane genannt“, dem Gott die edelsten geistigen und körperlichen Eigenschaften eingepflanzt habe. „Der Germane und die von ihm durchschwängerten und befruchteten“, also kulturell germanisierten „Romanen“ bilden den Höhepunkt der Menschheitsentwicklung und werden die „umwohnenden Völker fremder Art als Allherrscher beleben und leiten“.

Zu seinem Bedauern stellt Arndt fest, daß die verzagten Deutschen bisher ihre nationalen Möglichkeiten nicht genutzt haben. „Wir spielen doch immer nur noch in deutschen Anfängen (…). Aber ich hoffe, die Deutschen werden (…) in einem großen Volkskampf mit Russen oder Franzosen, der uns zur Vollendung durchaus nothwendig seyn wird, durch den Geist, den sie wirklich vor allen Europäern tragen, endlich einmal ihr volles Volksland und Volksrecht, ihre Weltlehre und ihr Weltrecht erringen (…).“

So werkelt und meißelt Arndt fleißig am Mythos des nationalen Erlösers. „Es wird ja hoffentlich einmal eine glückliche deutsche Stunde für die Welt kommen und auch ein gottgeborener Held, (…) der mit scharfem Eisen und mit dem schweren Stock, Scepter genannt“, das Reich „zu einem großen würdigen Ganzen zusammenschlagen kann“.

Nun wahrlich, Arndts Traum sollte in Erfüllung gehen, dieser Führer kam! Und wenn heute die Universität Greifswald in einem Prospekt davon spricht, daß „,seine‘ Universität (…) in der Tradition auch seiner Ideen“ stehe, so stellt sich die Frage, ob man in Greifswald (und andernorts, in den Kultusministerien und bei der Bundeswehr) überhaupt weiß, was es mit den „Ideen“ des Ernst Moritz Arndt so auf sich hat. 

(http://www.zeit.de/zeitlaeufte/fataler_patron/komplettansicht)
https://www.facebook.com/arndt.bleibt/ 2000 Luftballons für Arndt

22.02.2017 Wo die Vernunft gefühlten Wahrheiten weicht

In Greifswald proben empörte Bürger den Aufstand gegen die Namensänderung der Universität. Dabei geht es längst nicht mehr um den Rassismus Ernst Moritz Arndts – sondern um Identität. Von Hannah Bethke siehe Link: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/streit-ueber-ernst-moritz-arndt-in-greifswald-14887949.html

Universität Greifswald

20 Jan

Die Greifswalder Universität verabschiedet sich von „Ernst-Moritz-Arndt“

Man sollte diese Entscheidung einen weltbürgerlichen Akt nennen, der allerdings, wie sollte es wundern, die Diskussion nicht beendet hat. Durch unreflektierte, ressentimentgeladene und verächtlich machende Äußerungen in verschiedenen Medien fühle ich mich veranlasst, meinen vor sieben Jahren zum gleichen Anlass verfassten „Brief“ einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen:

Dienstag den 16. Februar 2010                                                                                                                          An die Mitglieder des Senats                                                                                                                          der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald

Sehr geehrte Damen und Herren,

im diskursiven Vorfeld der Entscheidungsfindung und der Abstimmung des Senats über die formelle Aufhebung der Verleihung des Namens „Ernst-Moritz- Arndt Universität“  der Greifswalder Universität aus dem Jahre 1933 erlaube ich mir, Ihnen meine Anmerkungen zur politischen Problematik dieser Angelegenheit zur Kenntnis zu geben.

….

„Anmerkungen zur politischen Problematik der Umbenennung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald

Die Greifswalder Universität will und muss sich der Verantwortung stellen, die ihr aus der aktuellen, öffentlichkeitswirksamen Problematisierung Ernst Moritz Arndts in seiner Eigenschaft als ihr Namenspatron zugewachsen ist.

So wie nach Auschwitz das Verhältnis Deutschlands zu Israel und den Juden auf lange Zeit ein „besonderes“ sein wird, so sollte auch das Verhältnis der Deutschen zu Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein von besonderer Sensibilität geprägtes bleiben.

Wer, wenn nicht die akademischen Vertreter unseres Landes, hätte als Erster diese Sensibilität zu wahren und durch sein Wirken positiven Einfluss auf die politische Entwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens zu nehmen?

Die Heftigkeit, mit der der Streit um die Umbenennung von den verschiedensten Seiten geführt wird, deutet auf eine so von vielen nicht erwartete Aktualität untergründiger Konflikte. Deren politischer Charakter liegt auf der Hand.

Und so wird die zu treffende Entscheidung eine ethisch motivierte politische Entscheidung sein müssen

Zu einzelnen Aspekten:

  1. Arndts Rassenwahn

Arndts unheilvollste  Äußerungen sind Ausdruck einer ideologischen Weltsicht, die ihr Heil suchte in einer Kompensation von ins Allgemeine gehobenen subjektiven Gefühlen des Nichtgenügens und des Zukurzgekommenseins, bei gleichzeitigem Größenwahn, durch das Setzen eines fiktiven „teutschen“ Nationalcharakters. Hierbei steigerte Arndt, unter Verhöhnung alles Undeutschen, die hässliche Seite schrullig-kruder Deutschtümelei wahnhaft ins Vorläufige rassentheoretischer Ideologie, die bekanntermaßen im deutschen Nationalsozialismus ihren schandbaren Höhepunkt erreichte.

2. Arndt und seine Zeit

Nimmt man das entlastend gemeinte Argument ernst, man müsse Arndt in seiner Zeit sehen, so wird man in Bezug auf seine maßgeblichen Äußerungen, die ihn als Namenspatron disqualifizieren,  feststellen müssen, dass Arndt nicht schlechterdings den Zeitgeist bediente, sondern dass er erheblich den „Zeitgeist“ forcierte, indem er als Mann der Worttat das Inhumane, den Ungeist seiner Zeit an vorderster Front schürte. Sein von Sendungsbewusstsein getriebener demagogischer Eifer half mit, dass Humaneres bei seinen Zeitgenossen nicht durchdrang.

Die mitunter plakativ als Argumente „gegen Arndt“ benutzten Zitate  waren keine verbalen Entgleisungen, sondern wohlbedacht platzierte rhetorische „Spitzenleistungen“ seiner ansonsten durch die verschiedensten Fachbereiche deklinierten nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Anschauungen.

 

3. Arndt und die deutsche Einheit

Arndt als Stichwortgeber oder geistigen Schirmherren für die „friedliche Revolution“ reklamieren zu wollen, wäre eine sophistische Meisterleistung. Jedenfalls das, was die Ostdeutschen im „Herbst 89“ bis zum Fall der Mauer unter sich ausmachten, hatte mit Arndt nichts zu tun. Weder das Motto „Schwerter zu Pflugscharen“, die Rufe, „Gorbi, Gorbi“ oder „Keine Gewalt“ noch die Forderung „Stasi in die Produktion“ bedurften der Inspiration durch Arndt. Das Volk musste nicht agitiert werden. Es hatte sich für einen kurzen historischen Moment von jeder Agitation emanzipiert.

4. Arndt und die Theologie

Wie einer mit „Seinem“ Gott ins Reine kommt, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Wer damit aber, wie Arndt, an die Öffentlichkeit geht, setzt sich der Kritik aus.

Zum Ersten: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte …“ (1812). Wenn man dieses Lied nicht in pubertärer Bierseligkeit grölt, sondern das Gedicht bei klarem Verstand auf sich wirken lässt, wird einem bewusst, dass Arndt seinen Gott bedenkenlos instrumentalisiert. Die Nationalisierung Gottes ist ein Rückfall hinter die Botschaft von Himmelfahrt und Pfingsten, ist die primitive Negation der Botschaft des Neuen Testamentes vom Bund Gottes mit allen Menschen. Damit geschieht Arndt, was vielen Fanatikern passiert: Sie gleichen sich ihrem Gegner an. Arndt begibt sich damit auf das „politische“ Niveau alttestamentarischen Gottesverständnisses.

Zum Zweiten: „Ich weiß, woran ich glaube …“ von 1819 muss man nun genau in diesem Kontext verstehen – nicht abstrakt als Ausdruck einer ihm mit den Jahren zugewachsenen Abgeklärtheit, sondern einer pathetisch daher kommenden, sich selbst bestätigenden  religiösen Vermessenheit: „Auch kenn‘ ich wohl den Meister, der mir die Feste baut …“.

An dieser Stelle soll ausnahmsweise direkt auf ein Statement (Anhörung vom 11.12. 2009) aus dem Kreis der Namensbefürworter eingegangen werden, um die Aufmerksamkeit auf eine häufiger im Zuge des Anhörungsprozesses beobachtete unkritische Herangehensweise zu lenken, die Relativierungen begünstigt, mit denen eine ehrliche Aufarbeitung von Geschichte nicht zu leisten ist. Zwei Sätze, die exemplarisch dafür stehen seien hier zitiert.

Professor Staats (Kiel) schreibt:

Erstens: „Als 1933 Arndts Name in den Titel der Universität kam, da war wirklich auch im gebildeten Bürgertum die Vorstellung verbreitet, dass die nationale Bewegung eine „Freiheitsbewegung“ sei.“

Und zweitens: „Am Namen Arndts kam offensichtlich kein wacher Bürger vorbei – bis in den Zweiten Weltkrieg.“

Diese Sätze, offensichtlich als Verteidigung seines bei der Namensgebung 1933 federführend wirkenden Kollegen Glawe gedacht, schreien, so harmlos sie auch scheinen mögen, in ihrer intellektuellen Einfalt geradezu nach einer Hinterfragung ihres historischen Wahrheitsgehaltes:

Wäre da nicht zu fragen: was konstituierte die Bildung des „gebildeten Bürgertums“, dass sich in ihm eine Verwechslung des deutschen Faschismus mit einer „Freiheitsbewegung“ verbreiten konnte? War es nicht eher so, dass der Identifikation des verinnerlichten tradierten Arndt’schen Freiheitsbegriffes mit dem der Nazis schon nichts Wesentliches mehr entgegenstand? Wie hätte sonst ein Theologieprofessor nur wenige Monate nach dem Reichstagsbrand, nach pausenlosen medialen Hasskampagnen und der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie ausgerechnet Arndt als Namenspatron für die Universität vorschlagen können? Konnte dies alles einem gebildeten Bürger entgangen sein?

Auch konnte in der Tat weder ein „wacher deutscher Bürger“ noch eine wache deutsche Bürgerin am Namen Arndts vorbeigekommen sein. Nur, mit welchem Resultat? Der Ruf: „Deutschland erwache“ – vornehmlich zum Einschläfern der Vernunft skandiert – verschreckte gerade die wachesten Köpfe. Viel von ihnen verließen noch rechtzeitig das Land. Die große Zahl ergab sich dem Rausch neuer verheißener nationaler Größe.

Hätte sich hier für den Professor beim Lesen seiner eigenen Sätze nicht selbst die Möglichkeit einer Frage auftun können: ‚Gibt es da vielleicht eine Verbindung zwischen der Rezeptions- und der Wirkungsgeschichte Arndts, dem flächendeckenden Eintrichtern Arndt’scher Verse und Arndt’schen „Gedankenguts“ und der geistigen Verfassung des „wachen“ und „gebildeten“ Bürgertums im Frühling des Jahres 1933? Hätte sein Votum dann noch negativ, gegen eine Umbenennung ausfallen können?

5. Arndt in unserer Zeit, die Stadt und die Universität

„… die Befangenheit in den eigenen Vorurteilen bis hin zum Rassenwahn blieb einKontinuum der Deutschen Geschichte.“ (A. Herzig – „Die Zeit“ 4/2010 S. 78).

Häufig werden von Gegnern der Umbenennung der Universität aus Kreisen der Greifswalder Bevölkerung die engen Verbindungen zwischen Stadt und „ihrer“ Universität argumentativ ins Spiel gebracht. Die Gewichte sind allerdings ungleich verteilt, was dabei gern vergessen wird. Die Stadt lebt wesentlich durch und von der Universität, nicht umgekehrt. Das prägt das Miteinander beider. Über den guten Ruf einer Universität entscheiden offensichtlich andere Kriterien als ihr Name, solange der Namenspatron nicht zur Belastung wird. Der Streit um Ernst Moritz Arndt ist in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Legte die Universität ihren Namen ab, verlöre die Stadt nichts als eine mehr oder weniger unreflektiert liebgewonnene Gewohnheit. Die Stadt lebt kaum mit, noch weniger durch Arndt. Sähe sich „die Universität“ andererseits gedrängt, auf lokalpolitische Befindlichkeiten und Animositäten Rücksicht nehmen zu müssen („… jetzt wollen sie uns auch noch unseren Arndt nehmen!“) , würde die Stadt zur Belastung für die Universität. Das wäre für keinen gut.

Im Gegenteil: Der Namensstreit bietet all jenen, die den Namen Arndts positiv verinnerlicht haben eine Chance zur Neujustierung ihres Geschichtsbildes. Und – eine Umbenennung überließe Arndt nicht den Rechtsextremen, wie ein irrlichterndes Argument suggerieren will, sondern sie nähme denen eher die Möglichkeit eines peinlichen Verweises: in Greifswald trage selbst eine Universität den Namen dessen, der nach wie vor zu einem ihrer Helden taugt.

Der Universität hat sich die Chance einer Rehabilitierung ihrer Reputation gegeben, nachdem sie unsanft aus dem Dornröschenschlaf einer scheinbar unschuldigen Namensträgerschaft geweckt wurde. Denn unvergessen ist, dass sich auf Initiative und unter dem Beifall verblendeter akademischer Kader die Universität im Frühjahr 1933 freiwillig und in Ergebenheit zum „Führer“ den Namen Arndts zulegte, dessen Visionen sich dank der nationalsozialistischen Bewegung endlich zu verwirklichen schienen. Gleichzeitig, am 7. und 25. April, wurden Gesetze erlassen, mit denen begonnen wurde, Hochschulen und Universitäten von Juden und Andersdenkenden zu säubern und am 10. Mai loderten unter den Augen der Universität auch auf dem Greifswalder Marktplatz die Flammen der auf den Scheiterhaufen geworfenen Bücher.

Deutsche Universitäten erwiesen sich nicht als geistiges Bollwerk gegen die aufziehende Barbarei, sondern als ihr intellektueller Treibriemen. Hinzu kamen traditionell verhängnisvolles politisches Desinteresse, Wegsehen und Verdrängen und der Rückzug in vermeintlich reine Wissenschaft.

Heute lautet die Frage ganz klar, gibt es Gründe, die eine deutsche Universität im Jahre 2010 veranlassen könnten, sich den Namen „Ernst Moritz Arndt“ zuzulegen? Die Antwort darf nicht verweigert werden und muss in die Entscheidung eingehen. Und da die Entscheidung eine politische ist, muss auch die Begründung politisch sein und ethisch motiviert.

Wissenschaftlicher Diskurs, Stellungnahmen, Anhörungen, die unterschiedlichsten medialen Äußerungen und anderes mehr haben den Erfahrungshorizont mit Arndt erweitert und Erkenntnisse über ihn und uns zu Tage gefördert, hinter die zurückzugehen der politische Anstand verbietet.

Ein Festhalten am status quo sollte heute also nicht mehr möglich sein, käme es doch einer erneuten Bestätigung jener beschriebenen beschämenden Vorgänge gleich, und wäre als Rückzug auf angeblich „wissenschaftlich“ nicht Entscheidbares schlicht Verweigerung politischer Verantwortung.“

„Nach dem Ende“ oder die Aufgabe der Scham

27 Mär

Pornographisches am Theater Vorpommern  Die andere Kritik (7)

 

Am 28. November hatte „Waisen“ von Dennis Kelly, inszeniert von Julia Heinrichs, im Greifswalder Rubenowsaal Premiere. Wie ich damals fand, eine rundum respektable Leistung des Schauspiels unter der Ägide des neuen Intendanten Dirk Löschner.

Am 10. März nun gab es am selben Ort wieder eine Premiere: „Nach dem Ende“, ebenfalls von Dennis Kelly, diesmal eine Übernahme aus dem Theater der Altmark Stendal. Regie: Julia Heinrichs; Dramaturgie: Sascha Löschner.  

Nach spätem Einlass: ein Zuschauerpodest und eine davor aufgebaute Guckkastenbühne (Bühne und Kostüme: Julia Heinrichs). Im dämmrigen Schatten des Saallichts warten, links und rechts postiert, Louise (Frederike Duggen) und Mark (Sören Ergang) auf den erlösenden Stückbeginn. Den bringt ein Lichtwechsel. Man befindet sich in einem karg möblierten Raum, links metallenes Doppelstockbett, rechts Kiste, an der Decke Neonröhren und eine Luke mit Kette. Betongrau.

Das Zweipersonenstück beginnt mit einem reichlich chaotischen Dialog, aus dem sich erst nach und nach erschließt, was die beiden in diesen unwirtlichen Raum gebracht hat und sie dort gefangen hält. Was sie reden, bleibt ambivalent, wie ihr beider Verhalten. Louise, die einen Filmriss hatte, beginnt an Marks Ehrlichkeit zu zweifeln. Verdächtigungen. Mutmaßungen über das, was wirklich passierte, und die Absichten von Mark.

Vor unseren Augen entwickelt sich eine Beziehungskiste unter verschärften, ausweglos erscheinenden Bedingungen. Dass „Nach dem Ende“, so Sascha Löschner, „die ultimative Parabel auf den 11. September und seine Folgen“* sei, scheint weit hergeholt und bleibt für das Geschehen auf der Bühne unerheblich.
Seine Dynamik erhält das Beziehungsdrama durch vielschichtige, dennoch durchsichtige Motive, die den unterschiedlichen Charakteren und einem fragwürdigen geschlechterspezifischen Rollenverständnis der beiden geschuldet sind.

Mark und Louise werden in ihrer hoffnungslosen Verstrickung blind für die mörderischen Konsequenzen, die sie heraufbeschwören. Angst und Machtrausch, je nach erkämpftem Besitzwechsel eines längeren Küchenmessers. Die Handlung treibt unaufhaltsam in die Katastrophe. Die Rettung kommt in letzter Minute von außen.

‚Nach dem Ende‘, so ist auch die Schlussszene überschrieben, besucht sie ihn im Knast. Er unterzieht sich gerade einer Therapie, sie hat die ihre abgebrochen, sie kann mit ihrer Therapeutin nichts anfangen. Sie provoziert ihn mit kleinen Grausamkeiten, die nicht mehr verfangen. Er will keinen Streit mit ihr.  Eins aber wird klar, auch sie ist nun von ihm abhängig – ein Ende dieser Geschichte ist nicht abzusehen.

Frederike Duggen, die am Abend zuvor die „Julia“ gab, spielt die „Louise“ mit großer Härte und zynischer Stringenz, völlig aufgehend und zum Untergang bereit in einer Art Geschlechterkampf gegen das „Arschloch“ Mark. „Ewig hinanziehend Weibliches“ ist in ihrer Rolle nicht angelegt. Ob sie ihrer Koketterie, mit der sie Mark zu provozieren hat, ein wenig Charme hätte beifügen können? Aber es war auch so gut. Denn wollte man Zeitbezüglichkeit herstellen, dann bot sich ja genau hier eine Gelegenheit: seelenlose Gesellschaft – psychische Verkrüppelung.  

Mark (Sören Ergang) ist in Wahrheit der Unterlegene, der geistig Schwächere, ein in Louise verliebter Loser, der den ständigen Herabsetzungen durch sie nicht gewachsen ist. Ebenso wenig kann er mit der schlecht kalkulierten, vielleicht sogar spontanen Entführung Louises umgehen. Ergang spielt mit großer Überzeugungskraft die für Mark nicht aushaltbare Erkenntnis, dass sein Liebeskonzept nicht aufgeht, dass er auch trotz Einsatzes seiner körperlichen Überlegenheit bei ihr nicht zum Zuge kommt.

So weit, so gut, wenn es denn dabei geblieben wäre!

Die Regisseurin geht mit der Zeit. Sie scheint sich einer Art „Marktprinzip“ verpflichtet zu fühlen, wonach jedes neue Modell die alten toppen muss, und sei es im Äußerlichsten. So verfiel sie darauf, in ihrer Inszenierung all das zeigen zu wollen, worum sich die anderen bisher „herumgedrückt“* hatten.

Für Sören Ergang bedeutete das, die „Herausforderung“ annehmen zu müssen, „in dem Stück im wahrsten Sinne des Wortes alle Hüllen fallen zu lassen, schutzlos zu sein.“* Zitat: „Als Schauspieler keine Scheu zu haben, alles zuzulassen – das musste ich so radikal vorher noch nie.“* 

Worum ging es?

Zum Beispiel um folgende Regieanweisung des Autors aus dem Textbuch:

 „Sie sitzt angekettet an ihr Bett, er sitzt am Tisch, masturbiert, spricht mit sich und murmelt unverständliche Wortfetzen. Er blickt bewusst zu ihr rüber, aber so, als wäre sie gar nicht da. Das geht so eine ganze Weile. Er kommt. Wischt sich mit den Dungeons und Dragons-Blättern ab. Sitzt keuchend da, seinen Schwanz in der Hand. Er sieht sie von unten an, als nähme er sie zum ersten Mal wahr. Senkt den Blick. Beginnt zu weinen. Fängt an, an sich herumzuspielen. Bekommt eine Erektion. Masturbiert wieder, starrt sie an, immer noch weinend. Sie starrt ausdruckslos ins Nichts.“

Die Regie will das ernst nehmen. Das schwarz auf weiß Gedruckte scheint zu suggerieren, es sei wörtlich gemeint.

In einem Roman ginge diese pornographische Szene so durch. Aber auf der Bühne?

Ernstnehmen scheint hier zu bedeuten, so viel zu zeigen, wie physisch in der stressbesetzten Bühnensituation möglich ist. Und Hinrichs setzt es durch, und Ergang um: Marks entblößten Unterleib, seinen Schwanz und dessen Manipulationen sowie das geforderte Keuchen. Erektion und Ejakulation („Er kommt.“) wird der Phantasie des Betrachters überlassen.

Vorab berichtet die Presse: „Nichts für schwache Nerven“*. Nicht nur dem Schauspieler, auch „den Zuschauern werde nichts erspart.“* Allerdings, was da genau passiere, wollten „Löschner und die Regisseurin nicht verraten.“*

Die Regie ging mit den pornographischen Momenten der Textvorlage um, als produzierte sie Filmszenen. Sie vernachlässigte, dass das Verhältnis zwischen den Darstellern auf der Bühne und ihrem Publikum ein gänzlich anderes ist als beim Film – insbesondere bei entsprechenden Filmen.

Ein Schauspieler spielt in der Regel peinliche Situationen seiner Figur, ohne dass ihm das peinlich sein müsste, wenn er denn gut spielt. So wie der Zuschauer sich nicht für den Schauspieler schämen muss, da er ihn nicht mit der von ihm gespielten Figur verwechselt.

Masturbieren ist nun anerkanntermaßen sowohl eine intime als auch triviale, als solche schon im Tierreich anzutreffende Handlung zur sexuellen Lustgewinnung. Sie ist beim Menschen situationsbedingt an ein gewisses Schamgefühl gebunden. Spricht man doch auch nicht von falscher Scham, wenn einer dies in aller Öffentlichkeit zu tun vermeidet. Im Gegenteil.

Um auf die zitierte Regieanweisung zurückzukommen: Man kann und  man muss sie deuten als die Beschreibung dessen, was auf der Bühne zwischen den Protagonisten geschieht, nicht als Beschreibung von etwas, das eins zu eins vom Zuschauer gesehen werden soll. Das heißt, dem Publikum muss nicht, ja darf nicht in natura vorgeführt werden, dass und wie masturbiert wird. Nur so ist der Zuschauer kann frei ermessen, was es für Mark und Louise bedeutet, wenn er es in dieser Situation in ihrer Gegenwart tut.

Es ist also ein grobes Missverständnis, zu meinen, die platte Konfrontation mit dem obszön Trivialen wäre das vom Autor Gewollte. Denn indem man das Masturbieren indiskret am entblößten Subjekt zeigt, entzieht es sich, wie oben gezeigt, seiner eigentlichen dramaturgischen Bedeutung, fällt sozusagen aus dem Rahmen des Stücks, verselbstständigt sich und wird, quasi ins Performatorische gewendet, zum Selbstzweck.

Während sich Louise von Marks demonstrativem Sichselbstbefriedigen wenig beeindrucken lässt,  soll dem Publikum genau dies nicht erspart werden. Warum eigentlich?

Das Publikum dergestalt zum Objekt zu machen, rächt sich. Denn dramaturgische Absicht kann nicht sein, was nun passiert:

Das Publikum kann den Schauspieler und seine Rolle nicht mehr unterscheiden. Die Leute versetzen sich in seine Lage als Tabubrecher, sie fühlen sich in den Menschen ein, sie empfinden die Scham dessen, der sich nicht schämen darf. Da hilft auch nicht, dass Ergang beteuert: „Die Psychologie dieser Figur hat mit mir nichts zu tun.“* – Das Triviale hat als Selbstzweck der Regie von ihm Besitz ergriffen … Es ist nur peinlich!

Denn: Tabubruch wird nicht zu Kunst, nur weil man ihn auf der Bühne begeht. Der Mut, den die Regisseurin hier vom Künstler verlangt, hält keinem künstlerischen Kriterium stand, er ist kein Mittel, künstlerische Horizonte und Fähigkeiten zu erweitern, was gleichermaßen Künstlern und Kunst diente. Dieser Mut taugt einzig dafür, berechtigte Scham zu überwinden, gewissermaßen schamlos zu machen. Dieser Mut lässt den Künstler zum Mittel ehrgeiziger Willkür werden.

Das alles bleibt nicht folgenlos: Es beschädigt die Person des Darstellers, die Inszenierung selbst und nicht zuletzt die Idee eines humanen Theaters. Unabdingbar stellt sich deshalb die Frage nach künstlerischer Verantwortung und einem Berufsethos, das sich der Wahrung der Würde eines jeden einzelnen Menschen verpflichtet fühlt!

*Zitat aus Greifswalder OZ/Lokal vom 9./10 März 2013

 

Romeo und Julia am Theater Vorpommern

15 Mär
SHAKESPEARE ODER BRASCH ODER WAS – Die andere Kritik (6)

Am 2. März gab es am Theater Vorpommern in Greifswald eine Premiere. Auf dem Spielplan stand:

 William Shakespeare/Thomas Brasch
Romeo und Julia –
Liebe Macht Tod

Was durften die Besucher auf diese Ankündigung hin erwarten? Die älteren kennen ihren Shakespeare mehr oder weniger, die Jüngeren eher nicht. Aber wer kennt Thomas Brasch? Ließ sich das Theater durch diesen Umstand dazu verleiten, Etikettenschwindel zu betreiben? Grundlage der Inszenierung war doch immerhin nicht Shakespeare, sondern Thomas Braschs

 LIEBE  MACHT TOD
oder
Das Spiel von Romeo und Julia
nach William Shakespeare

Das ist dem Programmheft nicht zu entnehmen. So bleibt im Trüben, was das Publikum berechtigt ist zu erfahren. Auch sonst ist auf den 26 Seiten nichts Erhellendes über das Zustandekommen, über Ideen oder Absichten dieser Inszenierung zu erfahren. Leider!

Wer Brasch gelesen hat, kann feststellen: Shakespeare wird von Brasch auf hohem Niveau auf für ihn Unverzichtbares reduziert und mit neuen Elementen angereichert. Seine Adaption wurde so zu einem eigenwilligen und eigenständigen Stück. Die Regie/Dramaturgie (André Rößler/Sascha Löschner) dünnt nun wiederum Brasch erheblich aus und nimmt ihm dabei genau das, was seine Originalität ausmacht. Die Wahl fiel vermutlich auf Brasch, weil dessen Übersetzung der Regie  geeigneter erschien, sexistische und sexualisierende Sequenzen deutlicher herauszuarbeiten, da sie nicht versuche „Shakespeare zu glätten“ (Roßner/OZ) und sie „die derbe Sprache … des Elisabethanischen Zeitalters“ wiedergebe. Diese dann ins Pubertär-Ordinäre zu transponieren, bleibt anscheinend schon obligatorischem Onanier- und Kopulationsgebaren vorbehalten.

Ob diese Tendenz nun wirklich für eine Kritik an „der heutigen Zeit des Turbokapitalismus“ (OZ) taugt, die im Übrigen als Fehlanzeige verbucht werden kann, oder ob es eher auf eine Banalisierung von Theater selbst zurückweist, das einem kaputten Zeitgeist erliegt, statt ihm zu widerstehen, mag der Zuschauer selbst entscheiden.

Worum es sich nun aktuell bei Shakespeare/Brasch handelt, die eigentliche Handlung, wird durch Streichungen, Umstellungen, Zusammenfassung von Rollen und Simplifizierungen von Ort und Zeit sinnvoll nicht mehr nachvollziehbar.

Dazu trägt bei, dass die vom Regisseur bemühte „Zeichenhaftigkeit“ (OZ) des Theaters, die angeblich so „viel mehr bewirken“ kann als „eine historisierende Aufführung“, sichtlich überstrapaziert wird. Wo Sinn fehlt, kann auch ironisch Gemeintes nicht weiterhelfen. Wird bei  Brasch noch Gift genommen, erstochen und erschlagen, um ins Jenseits zu befördern, wird dies nun durch Laser-Schwertimitationen, ein zu kompakt geratenes Rasiermesser, eine schallgedämpfte Pistole oder schlicht durch einen am Herzen zu zerdrückenden Luftballon erledigt. Eine Videowand sendet hintergründige sich bewegende Bilder und designte Lichteffekte zu vordergründiger Handlung, und bei Jugendlichen beliebte Metal-Sounds untermalen Prügel- und Fechtszenen. Und…  jeweils in Grün oder Rot gehaltene Kostüme werden bemüht, die verfeindeten Familien besser kenntlich zu machen. Und…

Überhaupt, die Kostümierung (Simone Steinhorst)! Sie ist wenig geeignet, den Darstellern hilfreich zu sein bei der Erarbeitung eines ernst zu nehmenden Charakters ihrer Figuren. Liebe, die von Belang sein will, kommt ohne Charakter, ohne innere Schönheit, ohne das Wunder der gefühlten Einmaligkeit zweier sich Liebender und die daraus erwachsende Kraft, auch den Tod auf sich zu nehmen, nicht aus. Das will gespielt sein. Aber dieses Spielen gelingt nicht. Ist das Talent der jungen Schauspieler überfordert, oder ist es die Regie?

Romeos (Felix Meusel) und Julias (Frederike Duggen) Agieren bleibt zu beliebig, gerade dann, wenn sie von Liebe sprechen. Gleichmütig lässt Rößler sie oft choreographisch, wie auch die anderen Figuren, zu ihren Szenen aufmarschieren. Romeo, mit mickriger Gitarre ausstaffiert und jämmerlichem Singsang, soll er ironisch punkten? Und wenn die beiden sich nah kommen, vermitteln sie die Distanziertheit einer Stellprobenatmosphäre. Coolness muss zwar nicht enden, wo die Intimsphäre beginnt, wohl aber hat sie im Bezirk liebender Intimität nichts zu suchen. Und so bleibt das Paar blass, bis es im Tod erbleicht.

Was für das Liebespaar den sofortigen Tod bedeuten würde – holzschnittartiges Karikieren, findet desto lebhaftere Anwendung beim übrigen Personal.

Paris (Ronny Winter), bei Brasch „ein Edelmann von Adel, Mann mit Geld und Gütern“, verkommt zu einer Witzfigur, zu einem selbstverliebten Geck mit psychopathischen Zügen.

Julias Mutter Lady Capulet (Gabriele Völsch a.G.) muss die Schlampe geben, die andeutungsweise was mit Tybalt (Alexander Frank Zieglarski) hat, der stets ungestüm und im Kostüm eines jungen Rübezahl auftreten darf.

Julias Amme (Monika Gruber a. G.) hat so gar nichts Mütterliches und geriert sich als geile Maulheldin, dass man fragen muss, warum Julia an ihr hängt und ihr vertraut.

Die Eltern Romeos, die Lady wurde gleich ganz gestrichen, spielen faktisch keine Rolle.

Blass auch Vater Montague (Jan Bernhardt). Er absolviert unaufwendig seine Auftritte in einem an Waldwirtschaft erinnernden Gutsverwalterlook.

Benvolio (Sören Ergang) und Mercutio (Dennis Junge), die hier mit gestrichenem Gesinde verschmelzen, bekommen keine Chance, anders denn als zweifelhafte Freunde und Raufbolde in Erinnerung zu bleiben.

Zalando (Marco Bahr) ist der Geniestreich dieser Inszenierung! Die Rolle wurde erfunden, um für den Zusammenhalt dieser Inszenierung notwendig ausgewählte Funktionen von gestrichenem Personal   zu erfüllen (Bruder Laurence, Prinz etc.).

Bahr tut, wie immer, sein Bestes und gibt ein schillerndes Faktotum, das seine unmaßgebliche Wichtigkeit beherzt über die Rampe zu bringen sucht, die Zuschauer quirlig durchs Programm führt und sie kurzzeitig die Ungereimtheiten seiner mit platten Zeitbezüglichkeiten angereicherten Figur vergessen lässt. – Recht glücklich scheint er in dieser Rolle nicht zu werden, bleibt Zalando am Ende doch auch nur eine Karikatur – man weiß nur nicht, wovon.

Scheinbar unbeeindruckt von alledem: Markus Voigt als Capulet. Souverän und glaubwürdig umschifft er die Untiefen und Klippen dieser Inszenierung. Man nimmt ihm alles ab: seinen ehelichen Überdruss, sein Wissen um das Treiben seiner Frau und die Intrigen der Amme, seine Liebe zu Julia, die sein einzig Glück und Trost ist, sein autoritäres Auftreten und sein Pochen auf bedingungslosen Gehorsam, die Ausblendung der Verzweiflung, in die er seine Tochter stürzt und letztlich auch seinen Schmerz über ihren Tod und seine Reue.

Markus Voigt gelingt die Verkörperung eines zutiefst widersprüchlichen Charakters durch ein großes Talent und ein reichhaltiges Arsenal an schauspielerischen Ausdrucksmöglichkeiten, das ihm zur Verfügung steht – Handwerk eben!

Es hieß, man habe eine Inszenierung vor allem für die Jugend machen wollen! Mir scheint, dieser Anspruch war zu hoch, oder besser, er war falsch. Shakespeare light, Brasch light? Brecht entgegnete einmal auf die Forderung nach Volkstümlichkeit, also gewissermaßen nach einem Brecht light, das Volk sei nicht tümlich! Kann man es netter ausdrücken?

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Was bleibt nun auf die eingangs gestellte Frage zu antworten? Statt Shakespeare oder Brasch – Shakespeareverschnitt… Nur manchmal scheint durch die Kakophonie des Banalen ein Text auf, der erahnen lässt, was weithin nicht stattfindet: Kunst!

„Wichtig erscheint mir, nicht auf eine dumme Art modern zu sein, das Stück soll in seiner Zeit belassen werden.“ Thomas Brasch

PS: Nach der Premiere besuchte ich auch die Vorstellung am 9. März, um meinen Eindruck gegebenenfalls zu revidieren.

 

trauriger kalter kaffee

13 Dez

Ich wollte eigentlich nichts über „kein Kulturerlebnis“ schreiben, denn ich hatte erlebt, wie Edward Albees „Ballade vom traurigen Café“ in der Greifswalder Premiere erstarb. Ich gestehe, ich kannte das Stück nicht. Und ich kenne es auch heute noch nicht; ein unmissverständliches imperatives Missbehagen sagte mir: Das kann’s nicht sein! So verdrängte ich, was ich mit Pein erlebt hatte.

Herrn L.’s Anmerkungen (siehe unten!), die ich meinen Lesern empfehle, brachten mich dazu, mich, wenn auch nur fragmentarisch, zu erinnern:

… zum Schluss war da eine, man sagte mir hinterher, siebenminütige Schlägerei; zeitgemäß brutal zelebriert bis zum endlichen Totschlag – so hoffte ich jedenfalls, denn es sollte enden! In der Arena zwei ebenbürtige Schläger: Frau und Mann – psychisch. Gleichstellungsbeauftragte hätten da nichts zu meckern gehabt … wenn es das schon im Alten Rom gegeben hätte… nicht auszudenken!

… zum Schluss – aber es war denn doch noch nicht Schluss. Erstaunlicherweise – schlechtes Theater! – hatte man überlebt. Nach einer so bestialischen Prügelei hätte man alles dürfen, nur nicht überleben!

Und so gab es noch einen Auftritt in alter, „neurenovierter“ Tristesse, und alle durften noch einmal ihre ausnahmslos hoffnungslosen, verkorksten, perversen usw. Charaktere über die Bühne schleppen. Blieb nur die Frage, wer hatte sie dazu gemacht? Da das Stück sinnigerweise von der Regie in den Osten der neuen Republik kurz nach 89 verlagert worden war, drängte sich zudem die Frage auf: waren die schon immer so, oder was hat da wen wohin gewendet? Beide als solche berechtigten Fragen lassen sich ernsthaft weder einzeln noch im Komplex beantworten, da ihre Voraussetzungen unsinnig sind. Das trifft den Kern der Inszenierung.

Nicht jeder Skandal deutet auf noch nicht vom Publikum verstandene Qualität/Kunst!

Greifswald hat bekanntermaßen nicht das dümmste Publikum, und das hat schon einiges, darunter auch Skandale von Rang erlebt .

Ein Rückblick:

Adolf Dresen schrieb in „Siegfrieds Vergessen“: 1964 war ich an einem kleinen, damals aber interessanten Theater im Norden der DDR, in Greifswald…“ Daran war er nicht unschuldig. Er inszenierte „Hamlet“, gedacht von der Partei als Würdigung zu Shakespear’s vierhundertstem Geburtstag. Die Aufführung war nach Auffassungsvermögen der Genossen in der Kreisleitung ein Skandal; Wolfgang Heinz erkannte Dresens Genie und holte ihn ans Deutsche Theater nach Berlin.

Ähnlich erging es Gorkis „Nachtalsyl“, inszeniert von Herbert König 1984, nur landete König nicht am DT sondern im Westen. Noch heute sehe ich das Bühnenbild, offen bis zur Brandmauer der Hinterbühne, sehe Renate Krößner mit einem einstmals weißem antiken Kinderwagen und erinnere mich an das überragende Spiel aller Schauspieler, denen König neue und erstaunliche Seiten ihres Talents abringen konnte.

Und noch ein Shakespeare erregte Ärgernis bei den Genossen und Teilen des Publikums: „Was ihr wollt“ (Regie: Martin Meltke, Premiere 1988) – war aber dennoch großes Theater, das während der Rekonstruktionsphase im heutigen, unsäglich benannten „Kaisersaal“ stattfand. Und es war politisch, und das hatte man bemerkt: WAS IHR WOLLT! – WAS WOLLT IHR? – WAS; IHR WOLLT? usw. provozierte auf Spruchbändern!

Und davor noch, immer nah am Skandal, Peter Konwitschny 1981 mit „Gräfin Mariza“ – letzter Akt als Schauspiel inszeniert, und 1982 „Schluck und Jau“ von Gerhart Hauptmann…

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Ich wünschte dem Theater Vorpommern ab und zu solche, kreativen Talenten geschuldete, Skandale! Bedarf es dazu erst einer zu künstlerisch politischen Drahtseilakten animierenden hinreichend dümmlichen Administration, die Kunst zwar reglementieren, aber nicht einsparen darf? Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei – aber wie dann? 

Zum Zweiten wünschte ich unserem Theater, dass das Balladendrama bald dem Vergessen anheimfällt! Das Publikum verzeiht gern, wenn es nur erst wieder mit begeisternden Bühnenereignissen beglückt wird.

„Peterchens Mondfahrt“ für die Kleinen war doch schon mal ganz hübsch! Oder?

 Und nun:

Herr L. über ein Kulturerlebnis

Ich wollte mich überzeugen, schlichtweg überzeugen, ob das, was die Leute, die man ja verallgemeinernd als das Publikum bezeichnet, sagen, wirklich zutreffend sein könnte. Ich versuchte, ohne jegliche Erwartungshaltung oder gar hohe Ansprüche in die Welt einer Inszenierung einzutauchen, die in den letzten Wochen geradezu den Status des Stadtgespräches erlangt hatte….

Hans und Lea Grundig – Greifswalder Uni blamiert sich im Geiste E. M. Arndts

5 Nov

Velten Schäfer schreibt am 4. November im „Neuen Deutschland“ erhellende „Anmerkungen“ anlässlich einer Ausstellung von Werken beider Künstler in Greifswald.

Die Ausgebürgerte

Greifswald tut sich schwer mit seiner prominenten Künstlerin Lea Grundig

 Ernst-Moritz Arndt mit seinen antijüdischen Tiraden ist in Ordnung, die verfolgte jüdische Künstlerin Lea Grundig wird dagegen aus dem Andenken der Universität Greifswald gestrichen. Anmerkungen zu einer Ausstellung im Greifswalder »Pommernhus«.

Dass eine Lea-Grundig-Ausstellung in Greifswald einmal ein Politikum sein könnte, hätte man lange Jahre nicht gedacht. Schließlich ist die Malerin, Grafikerin und antifaschistische Widerstandskämpferin, die lange Zeit in Greifswald gelebt und gelehrt hat, eine der international bekannteren Vertreterinnen der kleinen Stadt mit der gernegroßen Universität; ihre Bilder und Grafiken werden vielerorts gezeigt. Und doch wird die Grundig-Ausstellung, die am 9. November in der Galerie »Pommernhaus« an der Knopfstraße eröffnet wird, einen tiefen Einschnitt in der Beziehung zwischen Stadt und Künstlerin markieren.

Nachdem die Greifswalder Ernst Moritz Arndt Universität im Winter bereits die Hans und Lea Grundig-Stiftung abgestoßen hatte, sind das Werk und die Person damit »privatisiert«. Das offizielle Greifswald hat Lea Grundig sozusagen ausgebürgert.

Die Geschichte ist provinziell und armselig. Denn um das Künstlerische ist es in dem Absetzungsprozess gegenüber Grundig, der auch im Caspar-David-Friedrich-Kunstinstitut der Uni schon Jahre andauerte, nie gegangen. Es ging ausschließlich um die Biografie der Künstlerin.

Lea Grundig, die 1906 in eine orthodoxe jüdische Familie geboren wurde, sich aber schon in jungen Jahren dem Kommunismus zuwandte, war Widerstandskämpferin gegen die NS-Herrschaft. Nach dem Krieg kehrte sie aus dem palästinensisch-israelischen Exil in die DDR zurück und engagierte sich in der Kulturpolitik. Ab 1964 war sie Mitglied des Zentralkomitees der SED und bis 1970 Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler. 1977 verstarb sie während einer Auslandsreise.

Begraben ist Lea Grundig in Dresden, doch mit Greifswald verband sie ab 1972 der Kunstpreis der von ihr 1972 mit immerhin 48 000 Mark der DDR gegründeten Hans und Lea Grundig-Stiftung. Dieser Preis wurde von der Uni vergeben – bis die Verleihung 1996 aufgrund Grundigs DDR-Leben ausgesetzt wurde.

Der Fall Günter Regel

Zu einer offenen Debatte kam es kaum, über Jahre verwaltete die Universität das Stiftungskapital, ohne mit der Preisverleihung den Zweck der Stiftung zu erfüllen. Im Sommer 2009 kochte die schwelende Auseinandersetzung noch einmal hoch. Damals war an der Uni von einer Dissertation die Rede, die dem Thema differenziert auf den Grund gehen sollte. Doch obwohl eine solche Untersuchung bisher nicht vorliegt, übergab die Uni die Stiftung bereits im Februar 2011 an die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mecklenburg-Vorpommern. Die will ab kommendem Jahr den Preis wieder vergeben.

Persönlich wurde Lea Grundig vorgeworfen, an einer Maßregelung des Leipziger Kunstprofessors Günter Regel beteiligt gewesen zu sein. Inwieweit das aber tatsächlich stimmt, ist mehr als unklar. Professor Günter Bernhardt und Dr. Kurt Feltkamp, die beide schon vor der Wende in Greifswald lehrten, hatten gegenüber einer Zeitung damals eher das Gegenteil bezeugt: Lea Grundig habe Regel damals sogar gelobt. Doch auch das hat Lea Grundig nicht geholfen im posthumen Prozess über ihr Leben.

Es bleibt ein wirklich übler Nachgeschmack: Im »Fall« des Ernst Moritz Arndt, dessen antijüdische Tiraden zwar historisiert werden müssen, aber sich doch unappetitlich lesen und vom »Freiheitskämpfer« Arndt nicht einfach abgespalten werden können, hat die Uni stets die Position bezogen, dass solche Widersprüche im Leben historischer Personen eben ausgehalten werden müssten. Im Fall der verfolgten Jüdin ist Zweideutigkeit dagegen nicht erlaubt.

Unbekannte Zeichnungen

Es ist also ein düsteres Ambiente, in dem das »Pommernhus« nun Grundigs Bilder aufhängt. Zu sehen sind Werke aus dem Zyklus »Im Tal des Todes«, einer der ersten künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust. Erstmals gezeigt werden auch bislang kaum bekannte Zeichnungen von Hans Grundig.

Es wird bei einem Rundgang beschämend sein zu wissen, dass sich die Greifswalder Nachwendeuniversität das Urteil anmaßt, Lea Grundig habe aus ihrem Erleben die falschen Konsequenzen gezogen.

Sven Giegold in Greifswald – Steuergerechtigkeit in der EU (?)

2 Nov

Podiumsdiskussion mit Sven Giegold, MdEP, und Dr. Barbara Muraca, 4. November, 18 Uhr, Roter Salon Brasserie Hermann

„Die Schere zwischen Arm und Reich wird seit Jahren größer, die Vermögenssteuer wurde abgeschafft, der Spitzensteuersatz in den vergangenen Jahren immer wieder gesenkt, während den sozial schwächeren Gesellschaftsschichten keine Entlastung gewährt wurde. Immer wieder ist in den Medien von „Steueroasen“ in der Schweiz, Luxemburg oder Liechtenstein zu lesen, die es auszutrocknen gilt. Griechenland, Irland, Portugal und nun womöglich auch Italien sind in eine tiefe Staatskrise gestürzt, dessen Ursache nicht zuletzt auch darin zu suchen ist, dass auch in diesen Ländern eine steuerliche Umverteilung von unten nach oben stattfand.

Das Bündnis Solidarisches Greifswald hat angesichts der Aktualität des Themas den Grünen Politiker und Attac-Mitbegründer Sven Giegold zum Gespräch mit der Greifswalder Wissenschaftlerin Dr. Barbara Muraca eingeladen. Es soll zusammen mit dem Publikum diskutiert werden, ob und inwiefern Steuergerechtigkeit in der EU lediglich eine „hohle Phrase“ oder ein erreichbares Ziel ist.

Das Bündnis Solidarisches Greifswald ist ein Vernetzungsbündnis aus politisch und zivilgesellschaftlich aktiven Einzelpersonen und Gruppen wie den Jusos, der Grünen Jugend/Grünen Hochschulgruppe, dem SDS Greifswald und der DGB-Jugend.“ 

Veranstaltungshinweis des Bündnis Solidarisches Greifswald

Ökonomie und Krieg

11 Okt

„Waffenlieferungen in den Libanon, Unterstützung der radikal-islamistischen Taliban durch die USA während des Afghanistan-Krieges in den 80iger Jahren, Krieg um Öl: Rings um Konflikte, Bürgerkriege hat sich inzwischen ein regelrechter Markt entwickelt. Wo der Markt noch nicht so frei ist, wie es sich Großunternehmen wünschen, wird er frei gemacht: Mit Waffen…“ Aus: Pressemitteilung Solidarisches Greifswald

solidarische moderne am 12.oktober 2011 in greifswald

Dr. Wolfgang Wodarg im Internet

Kuder ans Ruder?

17 Sept

W E R  I S T  W I R ?  I C H  (S P D)  N  I C H T !

 

UPDATE: siehe auch Syrbe oder Kuder? – Streit vor der Stichwahl am 18. September

Dembski (SPD) unterstützt CDU (Kuder) – eine Glücksfalle für die SPD?

11 Sept

„Die SPD unterstützt Justizministerin Uta-Maria Kuder in der Landrats-Stichwahl im Kreis Vorpommern-Greifswald. Das erklärte der SPD-Kreisvorsitzende Ulf Dembski im Anschluss an eine gemeinsame Sitzung des SPD-Kreisvorstands und der neu gewählten SPD-Kreistagsmitglieder.“ (aus einer PresseInfo vom 8.9.11)

Gewiss bleibt es einem gescheiterten Kandidaten unbenommen, seinen Wählern für die Stichwahl eine Wahlempfehlung zu geben. Die SPD auf Kreisebene aber insgesamt in Haftung zu nehmen ohne in den Ortsvereinen die Wahl ausgewertet zu haben und sich einer Zustimmung zu diesem politisch ja nicht belanglosen Vorhaben zu versichern, halte ich für eine Verletzung innerparteilicher demokratischer Anstandsregeln.

Politisch nachvollziehbar ist dieser Schnellschuss nicht. Im Gegenteil. Was als Begründung angegeben wird, ist wenig überzeugend, fadenscheinig, perfide.

Ohne Not hat sich die SPD der CDU als Partner angedient, oder hat sie sich dies erst mit der Verpflichtung, Kuder zu unterstützen v e r-dient? Was noch nach der letzten Kommunalwahl bei der Greifswalder SPD-Basis auf wenig Gegenliebe und Widerspruch gestoßen war – die Idee einer Kooperation mit der CDU, soll nun, an der Basis vorbei, auf der neuen Kreisebene formell ins Werk gesetzt werden.

Woher nehmen die Genossen die Gewissheit, dass der neue Landkreis nur im Verein mit Hochschild, König und Liskow „solide geführt“ werden kann? Freilich ist es machtpolitisch verführerisch, mit dieser „Kooperation“ über 33 Sitze zu verfügen, die allerdings im Ernstfall nur über eine  Mehrheit verfügt unter der Voraussetzung, dass der „demokratische“ Rest von 30 Abgeordneten sich moralisch verpflichtet, nie mit der NPD (6 Mandate) gemeinsam zu stimmen.

Aber die NPD muss auch ganz offen für die Begründung der Kooperation herhalten. Syrbe sei per se nicht wählbar: sie intrigiere, sie könne Haushaltssanierung nicht und sei für das bedauerte Wahlergebnis verantwortlich: „Das starke NPD-Ergebnis im Kreistag ist ein Ausdruck dafür, dass dort einiges im Argen lag.“ so Dembski (Martina Rathke – OZ vom 9.9.11).

Das ist denn doch etwas starker Toback. Solch simple Deutungsversuche, die augenscheinlich die Realitäten vor Ort gründlich verkennen, lassen für Hoffnung auf Besserung der Lage wenig Raum. Zumal gerade wieder diesbezüglich den Parteien einiges ins Stammbuch geschrieben wurde. Z. B.: Anklam (dpa)  „Die etablierten Parteien in Mecklenburg-Vorpommern haben es aus Sicht des Regionalzentrums für demokratische Kultur in Anklam nicht geschafft, die NDP-Stammwähler auf dem Land zu erreichen.“

Ob diese eilige Positionierung den Bemühungen in Schwerin, aus dem guten Landtagswahlergebnis für die SPD eine entsprechende Regierungspraxis zu gestalten, förderlich ist? Ich gehöre zu denen, für die das vor Ort eher ein Ärgernis ist – kein Glücksfall !

Andrea Ypsilanti in Greifswald

14 Jun

Chancen für eine solidarische Moderne – Wege zu einem sozialen und ökologischen Neuanfang

Die „Solidarische Uni Greifswald“  hat Andrea Ypsilanti eingeladen.

    „Andrea Ypsilanti wird am Mittwoch, dem 15. Juni 2011, um 16 Uhr im Roten Salon der Brasserie Hermann über einen ökologischen und sozialen Neuanfang sprechen und mit dem Publikum über Politik, die an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientiert ist, diskutieren. Ferner wird sie das „Institut solidarische Moderne“ vorstellen.“

Neoliberale Hetzschrift gegen Margot Käßmann und den Dresdner Kirchentag

7 Jun

Wenn nicht alles trügt, hat Jost Kaiser für diese Hetzschrift keinen Raum in jenen Blättern (s. u.*) erhalten, die ansonsten seinen „Grundton“ schätzen. Und das will schon etwas heißen! t-online hat sich dazu bereitgefunden. Wenn’s ihre Zeitungen nicht tun, macht’s eben die Wirtschaft zur Not selbst.

Wer noch nicht weiß, wie weit Margot Käßmann zum Hassobjekt in gewissen Wirtschafts- respektive politischen Kreisen geworden ist, lese Kaisers Artikel. Sie steht exemplarisch für ein aufmüpfiges Kirchenvolk, das sich zunehmend weigert, der traditionellen Obrigkeitshörigkeit und staatstragenden Trägheit ihrer Kirche als Institution Gefolgschaft zu leisten. Während die vermeintlich ideologiefreien Funktionäre der Institution dem Zeitgeist auf dem Leim gehen und, sich von seinen Beratern beraten lassend, allerorts nach dem Motto „auch Kirche muss sich rechnen“ glauben verfahren zu müssen, spüren die engagierten Gläubigen, dass dieser Weg auch die Kirche nur in die allgemeine und letzte Sackgasse führen wird. Sie haben begriffen, denn sie erfahren es täglich, dass unpolitisch-Sein bedeutet, die herrschende Politik zu unterstützen.

Was indessen Kaiser als Sprachrohr des herrschenden Systems sich wünscht, ist eine berechenbare Kirche, und nicht eine zum Risiko werdende, die in der Lage sein könnte, einen Strich durch die schönsten Rechnungen zu machen – kurz, er wünscht sich einen „neoliberalen Protestantismus“.

Allerdings: Margot Käßmann als „Ehrenvorsitzende der EKD-PDS“ zu denunzieren, ist perfide und gefährlich – vor allem, weil  das Ganze als Ausdruck hochgradiger Nervosität und wohl auch als dezenter Wink an und auf die „zuständigen Organe“ zu verstehen ist…

Unterdessen steigt die Beliebtheit Margot Käßmanns stetig.

Am Sonntag, den 26. Juni, wird sie im Festgottesdienst der Greifswalder Bachwoche predigen!

 

Partei mit angeschlossenem Esoterikbetrieb

04.06.2011, 11:15 Uhr | Von Jost Kaiser

Sie werden den Kapitalismus geißeln, dem Aberglauben frönen, dass der Frieden einfach so kommt, wenn man ihn nur stark genug herbeisehnt und sich baden in der Gewissheit, dass das moderne Leben mit seinem Individualismus, seinem Konsum und seiner Liberalität die Wurzel vieler Übel ist: Der Parteitag der Linkspartei findet diese Woche in Dresden statt. Nur dass sich dort nicht die Linkspartei selbst, sondern eine Art Unterorganisation derselben namens EKD, Evangelische Kirche in Deutschland versammelt.

Wenn also dieser Tage die angesichts der vom amerikanischen Satan (der hat ja den Individualismus mit erfunden) regierten Welt übel gelaunte Christen, samt „Kirche von unten“, „Markt der Möglichkeiten“ und Margot Käßmann (acht Veranstaltungen hat die Mutti der Nation in der Sachsenhauptstadt) in Dresden einfallen, dann kann man mit den Ureinwohnern nur Mitleid haben. Denn ein normales, angenehm sinnfreies verlottertes Leben ohne erhobenen Zeigefinger und schlechtes Gewissen wird für ein paar Tage in Sachsen nicht mehr möglich sein.

Wer sich das Programm des Kirchentages ansieht (es gibt 2200 Veranstaltungen), der muss einsehen, dass die evangelische Kirche sich selbst offenbar hauptsächlich als politische Partei mit angeschlossenem esoterischem Vergnügungspark sieht: man kann „Schlauchboottouren auf der Elbe machen“ und gleichzeitig etwas erfahren über „Globalisierung und Umwelt“. In der Veranstaltung „Pflicht zum Krieg – Recht im Krieg“ darf sich der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann vom versammelten deutschen Vulgärpazifismus (u.a. dem bigotten Kriegsgegner Norman Paech) zur Sau machen lassen. Und selbstverständlich hat man auch zum Essen („Ausweitung der Massentierhaltung in Deutschland als globales Problem“) und Atom („Fukushima – das Ende der Atomenergie!?“) Redebedarf. Die Antworten werden so überraschend sein, wie die der Linkspartei zu denselben Themen.

Hat Gott zur Globalisierung eine Meinung und zum Atom und zu Libyen? Was hält Gott von Gaddafi? Was sagt Gott zur Brennelementesteuer? Will Gott Steuersenkungen oder will er zugunsten der Kommunen lieber mehr Steuern, damit die ihre Straßen reparieren können? Gott schweigt.

Der Politzirkus der EKD

Aber Margot Käßmann, die Ehrenvorsitzende der EKD- PDS wird alle diese Fragen sicherlich beantworten können. Und verrät damit alles, was eine Kirche von politischen Parteien unterscheiden sollte: metaphysische Sprache, eine Welterklärung durch nicht-weltliche Antworten, eine Theologie, die sich nicht darin aufzehrt, alles mies zu machen, was ein bisschen Spaß macht im Leben, sondern Menschen Lebenshilfe gibt und nicht zivilisationsskeptische Parteiprogramme. In der EKD wird man diesen Politzirkus sicher als Folge der Nähe der Kirche „zu den Menschen“ hinstellen. In Wahrheit wird auf den hunderten politischen Veranstaltungen exakt das gesagt werden, zum Teil vom selben Personal, das schon bei Maischberger, Plasberg und Maybrit das Wort erhob.

Wenn aber die evangelische Kirche sich als politische Partei positioniert, dann sollte sie sich nicht wundern, wenn sie im Pro und Contra des politischen Betriebes als normaler Akteur behandelt wird: Das hat Margot Käßmann bis heute nicht verstanden und ist allzeit „verletzt“, wenn man ihr widerspricht. Dabei hat sie sich selbst von der Pastorin zur Politikerin gemacht. Und Politikern wird in Deutschland nun mal allzeit widersprochen.

Warum aber ist die evangelische Kirche zur grießgrämigen, antiliberalen Politpartei geworden? Der Philosoph Alexander Grau macht in einem lesenswerten Plädoyer für einen „neoliberalen Protestantismus“ den Ursprung für diese bis heute bestehende Grundhaltung die Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg verantwortlich: Man hatte in bestimmten Kreisen damals dem Liberalismus Schuld am Gemetzel gegeben. Auch der Einfluss des calvinistischen Theologen Karl Barth, der alles Menschengemachte, also auch die Kirche und erst Recht die Gesellschaft und ihre modernen Tendenzen für Teufelszeug hielt, sorgte für die anti-individualistische Grundstimmung in der evangelischen Kirche, die bis in die Jetztzeit anhält. Grau: „Statt den Menschen kulturelle Geborgenheit, intellektuelle Inspiration und theologische Orientierungshilfe zu vermitteln, präsentiert sich eine hochgerüstete Politkirche, die gefühlte soziale Schieflagen oder globale Missstände anklagt, dafür aber das Individuum aus den Augen verloren hat.“

Margot Käßmann weiß sicher die Antwort

Schwer vorstellbar, dass sich die evangelische Kirche von ihrem schlechtgelaunten Misstrauen gegen die pluralistische, individualistische Gesellschaft lösen wird.

Wenn man aber seit Jahrzehnten nahezu alles ablehnt, was der liberale, pluralistische Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland im Innern und Äußeren für richtig hält, von der Steuer- über die Arbeitsmarktpolitik bis hin zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr  – warum gibt man dann nicht endlich alle Privilegien auf, die dieser Staat der Kirche gewährt?

Margot Käßmann weiß sicher die Antwort.

*Jost Kaiser war Blogger bei Vanity Fair und kommentierte dort das politische Geschehen im In- und Ausland. Kaiser ist zudem Autor für die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, die Zeit und den Tagesspiegel.“

 


Theater Vorpommern hat einen neuen Intendanten *Update*

29 Apr

Nachspeise aus der mehrfach bemühten „Gerüchteküche“ und Glückwunsch

Ende gut, alles gut? Aus nicht offiziell informierten Kreisen: Die Gesellschafter und der Aufsichtsrat des Theaters Vorpommern haben sich einstimmig auf einen neuen Intendanten geeinigt. Dirk Löschner soll ab Spielzeit 2012 als alleiniger Geschäftsführer die Geschicke des Theaters lenken und leiten. Zur Zeit ist er am Theater Stendal als Intendant tätig!

Herzliche Glückwünsche an den Neuen! Er übernimmt mit dem Theater ein schwieriges Erbe in einer schwierigen Situation. Es ist aber auch eine schöne Aufgabe! Wolle ihm der durchgreifende Neuanfang gelingen, für den schon jetz die ersten Signale gesetzt werden müssen! Möge er dafür die glückliche Hand haben, die wir schon lange vermissen mussten!

Toi, Toi, Toi !

Update:

Mitteilung der Interimsgeschäftsführung an das Ensemble (14.43 Uhr)

Dirk Löschner wird neuer Intendant und Geschäftsführer
der Theater Vorpommern GmbH

Die Suche nach einem neuen Geschäftsführer für die Theater Vorpommern GmbH ist abgeschlossen. Der 44-jährige Dirk Löschner wird neuer künstlerischer und kaufmännischer Leiter für die Theater in Stralsund, Greifswald und Putbus. Der Aufsichtsrat hat am 27. April in einer Sondersitzung seiner Berufung einstimmig zugestimmt.
Dirk Löschner, der seit der Spielzeit 2009/2010 Intendant am Theater der Altmark ist, wird seine Stelle in Vorpommern zum 1. August 2012 antreten. Ab sofort wird der designierte Intendant jedoch bereits für die Richtlinien der Theaterleitung zuständig sein und regelmäßig vor Ort als Ansprechpartner zur Verfügung und in stetigem Kontakt zur Interimsgeschäftsführung stehen.
Mehrere Jahre war Dirk Löschner als Verwaltungsdirektor am Landestheater Detmold tätig. Der gebürtige Berliner ist Schauspieler und Regisseur. Sein Schauspielstudium schloss er an der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin ab. Es folgten ein Studium in Paris sowie das Studium der Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften an der Freien Universität Berlin.
„Wir freuen uns, dass die Suche erfolgreich verlaufen ist und wir Ihnen Dirk Löschner nun als neuen Intendanten vorstellen können. Die Gesellschafter und der Aufsichtsrat sind überzeugt von der Wahl“, so der Aufsichtsratsvorsitzende Eckehard Nitschke über die Wahl des neuen Geschäftsführers.  

Theater Vorpommern – „Suchet, so werdet ihr finden“

27 Apr

Folgt man als Greifswalder Bürger Theater-Gerüchten und sucht beharrlich, kann man folgende kleine Randnotiz auf den Lokalseiten der Stralsunder OZ vom 13. April finden:

„29-Jähriger jetzt Chef der SPD-Fraktion

Stralsund – Niklas Rickmann ist neuer Fraktionschef der SPD in der Bürgerschaft. Der 29-Jährige löst Hans-Walter Westphal ab, der zuvor die Fraktion um Entlastung von dieser Funktion gebeten hatte. Er behält aber sein Bürgerschaftsmandat, wie er betonte. Gemeinsam mit dem Greifswalder Dr. Rainer Steffens wird Westphal nunmehr bis 31. Juli weiter als Interimsgeschäftsführer der Theater Vorpommern GmbH tätig sein, da noch kein neuer Intendant gefunden wurde. Die Gespräche dazu laufen noch, hieß es.“

„Suchet, so werdet ihr finden“! (Matthäus 7,7)

Wie man weiß, tat und tut man sich mit dem Suchen schwer; schon überhaupt zu einer Ausschreibung zu kommen, bedurfte es gewaltiger Anstrengungen. Zu viele Hemmnisse! Zu viele Hemmungen? Wer langsam sucht, wird in der Regel auch nur langsam „finden“.

Wer trägt für die Verschleppung die Verantwortung? Keiner! 

Es gibt einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen dem Tempo und Eifer des Suchprozesses und der Geschwindigkeit des Findens. Und es gibt noch einen anderen Zusammenhang: den zwischen dem nicht Gefundenhaben und der weiteren Bestallung der Interimsgeschäftsführung für vorerst nochmal ein Vierteljahr. Auf’s Erste gesehen kein finanzieller Verlust für den Steuerzahler – für die beiden Anwälte des Rechts aber sicher ein schönes Zubrot.

Anzumerken bleibt, dass die jetzigen Geschäftsführer durchaus mit verschiedenen Geschwindigkeiten zu jonglieren verstehen. Beispiel 1: In einem Gewalt-Ritt und einer Nacht- und Nebelaktion wurde ein  Kooperationsvertrag mit Anklam eingefädelt. Allerdings heißt es, das zuständige Ministerium tue sich damit schwer. Beispiel 2: Die schon skandalöse Verschleppung der Prozesse gegen die beiden geschassten Geschäftsführer.  

Mit Jonglieren kann man erfolgreich im Zirkus auftreten, aber kein Theater leiten!

Und weil wir gerade beim Suchen waren – ich verstehe nicht, dass nicht zumindest die Greifswalder Bürgerschaft die unendliche Geschichte an sich zieht – zu deutsch: in die Hand nimmt – hat sie sich doch einst das schöne Motto für ihr Handeln gegeben: „Suchet der Stadt Bestes“. Und was täte mehr Not als das?

Gorkis Nachtasyl am Theater Vorpommern – oder die gestohlene Seele

13 Mär

Die andere Kritik (3)

„Das Ergebnis muss die Seele berühren!“ Kevin Haigen

Die Premiere fand in Greifswald vor ausverkauftem Haus statt. Am Ende langanhaltender, wohlverdienter Applaus für die Schauspieler.

Dennoch, ein wenig fassbares Unbehagen war da geblieben, ein Rest, der nicht aufging. Hatte das, was ich gesehen hatte, noch etwas mit jenem Stück zu tun, mit dem Maxim Gorki Triumphe gefeiert, das unter Stanislawski das Moskauer Publikum erobert und mit dem Max Reinhard über fünfhundertmal sein Haus gefüllt hatte? Gewiss nicht! Ein Blick in die Bühnenfassung, man hatte die von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens gewählt, half mir, mich den Ursachen meiner zwiespältigen Gefühlslage begrifflich zu nähern.

Die Fassung ist offensichtlich der Absicht geschuldet, Gorki für uns heute spielbar zu machen.

Sollten wir, das Publikum, denn nicht mehr in der Lage sein, Botschaften aus den Tiefen der „Nachtasyle“ jener Zeit empathisch wahrzunehmen?Gibt es doch, spätestens auf den zweiten Blick, beklemmende Parallelen wie die Etablierung eines neuen sozialen Elends und neuer Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit. Ein neues Prekariat unverschuldet  überflüssiger Menschen muss sich wieder in „Asylen“ einrichten, um zu überleben!

Gosch und Wiens verhalten sich zu dieser Frage skeptisch. Sie haben für ihre Bearbeitung ästhetische Schlussfolgerungen mit gravierenden Folgen für den Gorki’schen Text gezogen: Mit dem Ausmerzen des angeblich nicht mehr zu vermittelnden „sozialromantischen“ Zeitkolorits, wurden die Dialoge zugleich auch ihrer Seele — ihrer „russischen Seele“ beraubt.

Philosophische Dispute über Gott und Welt, über Wahrheit, Würde, und Werte, über Arbeit und Ausbeutung, über Hoffnungen und Träume, über Sehnsüchte und Liebe – all das, was Gorki zur Charakterisierung des handelnden Personals beibrachte, wurde gekürzt oder ganz gestrichen.

Was an Dialogen übrigblieb, lässt keinen Raum mehr für dialektische Momente lebendigen Lebens, für Ironie, Hintersinn und Andeutungen, für Vermutungen und ungeklärte Fragen. Aber genau davon zehren auch auf der Bühne Echtheit und Vielfalt menschlicher Beziehungen. Wo all dies abhandenkommt, werden auch Verhängnis und Tragik geopfert, ohne die es kein Mitgefühl geben kann, weder im Publikum noch auf der Bühne!

Worauf will die Inszenierung hinaus, wenn „den Armen noch ihr letzter Besitz: die Sprache“, geraubt wird, wie Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier anlässlich Goschs Hamburger Nachtasyl-Inszenierung feststellt?

Aber damit nicht genug. Gosch und Wiens entfernen die sie konzeptionell störenden zeitlichen und räumlichen Orientierungspunkte und überlassen ihre Protagonisten einem von strukturierender Zeit unberührten Nirgendwo .

Alexej Parylas Bühnenausstattung ist in Anbetracht der Textvorlage nur konsequent. Er beseitigt alles, was im Räumlichen ein „Asyl“ auch nur erahnen lassen könnte, und verkehrt mit Hilfe einer gitterartigen Bodenschräge, zu der empor klimmen muss, wer unten ankommen soll, den letztmöglichen sinnlichen Bezug zu einem handlungsrelevanten „Unten und Oben“. Die von Katja Paryla auf die Bühne gestellten Figuren können so nur noch deplaciert wirken — und das überall.

Die Inszenierung muss ständig mit den unlösbaren Widersprüchen ihrer Konzeption kämpfen: Sie will einen allgemeinen, mithin abstrakten und symbolisch verkürzten Begriff des Unbehausten auf die Bühne bringen, der mit menschlicher Existenz wesentlich unvereinbar ist. Und dann will sie genau dort Menschen leben und sterben und die Geschichte ihres Elends erzählen lassen. Das kann unter diesen Umständen nicht überzeugend geleistet werden. Der Inszenierung gelingt nicht, zu ersetzen, was sie Gorki geraubt hat. Die Sprache, die zu sprechen sie verordnet hat, ist falsch und kann keine glaubhaften Beziehungen stiften. Alles bleibt dergestalt von einer widerständigen emotionalen Kälte durchdrungen – bis zum erlösenden Schlussapplaus.

Fazit: Es scheint sich einmal mehr zu bestätigen, dass zeitgemäße Authentizität nicht durch derart gewollte Verstümmelung vermeintlich „veralteter“ Texte zu gewinnen ist.

Auch heutiges Elend hat seine Sprache, die uns berühren, erschüttern und zu Anteilnahme und Solidarität herausfordern kann. Diese Sprache zu finden und auf die Bühne zu bringen, war augenscheinlich nicht das Anliegen dieser Inszenierung.

Greifswald und die Grundstücksfiletierung durch Dr. Fernando

9 Feb

„Dr. Fernando ist ein für die Universitäts- und Hansestadt Greifswald wichtiger und willkommener Investor.“
aus der Pressemitteilung vom 8. März 2010

Am Wochenende vor dem Internationalen Frauentag (2010) berichtete OZ über Aktivitäten des sogenannten Petruswerks in unserer Stadt. Kaum gelesen, kam aus dem Rathaus eine Presseerklärung eines anscheinend wohlunterrichteten Oberbürgermeisters.

Wer führte ihm die schnelle Feder?  Pressemitteilung vom 8. März 2010

Nun kam in die Greifswalder Medienlandschaft eine neuerliche, ausführlichere Darstellung über den Immobilienspekulanten  Douglas Fernando, seine Greifswalder Spezis und die Auswirkungen auf die kommunale Gestaltung der Mietpreise. Lohnenswert zu lesen ist auch ein kleiner Ausflug auf den Spuren Fernandos nach Graz in Österreich!Der Fleischervorstadt recherchierte umfänglich: 

Die Greifswalder Einkaufstour des Immobilienmagnaten Douglas Fernando

Man darf gespannt sein,  ob und in welchem Tempo diese Schilderungen durch das Rathaus mit einer ebenfalls in die Öffentlichkeit dringenden Reaktion gewürdigt werden. Mein Rat an Dr. König in jeden Falle: Erst lesen und dann unterschreiben!

Theater Anklam 1990 – und zwanzig Jahre später? *Update*

28 Dez

„Theater Vorpommern will mit Anklamer Bühne fusionieren“

Eine Ente, oder ein dicker Hund? Wie auch immer – aber doch Anlass, einmal einen  Blick zurück auf die Anfangszeit  der Anklamer Theater-Erfolgsgeschichte zu werfen. Ein Blick in den „Spiegel“ macht’s möglich. Zur Kenntnis nehmen, oder  Augen zu und durch? Ein beklemmender Blick …

(12. Februar 2011): Der Link führt  n i c h t  mehr zum „Spiegel“-Artikel, sondern zur aktuellen Homepage  der Vorpommerschen Landesbühne GmbH !

A. Sch. hat mich freundlicherweise auf diesen BLOG-Artikel angesprochen, was mich dazu bewogen hat, ihn noch einmal zu überdenken! Nachdem ich auch anderes von M. Matussek zur Kenntnis genommen habe, glaube ich, dass seine damaligen Recherchen (1990) zum Anklamer Theater wenig geeignet  für eine gerechte Bewertung damaliger Vorgänge sind. Auch Schlüsse auf die heutige Situation sollten nicht voreilig aus dem Artikel von Matussek gezogen werden, der zu jener Zeit als „Ritter ohne Fehl und Tadel“ für Kultur kämpfend und rächend durch östliche Lande zog .

Aus Ärger über die Fusionsmeldungen und andere Gerüchte, die immer dann blühen, wenn völlig unnötig „Geheimdiplomatie“ ins Werk gesetzt wird, folgte ich selbst nicht meinem hier geäußerten Rat, was ich bedauere  …

Theater Vorpommern – Multhauf störte

15 Dez

Die an ihrem Theater interessierten Greifswalder Bürgerinnen und Bürger werden mit Spannung auf die Tagesordnung der letzten Sitzung ihrer gewählten Stadtvertreter gewartet haben – war dies doch die letzte Gelegenheit, nach Beschlusslage vom 5. Juli, von der Verwaltung beschlussreife und zu diskutierende Vorschläge zur Zukunft des Theaters zu hören. Aber, weit gefehlt. Stattdessen war auf die Tagesordnung die Abwahl eines Aufsichtsratsmitglieds gesetzt worden. Der Beschlussvorlage lag ein Brief des Betriebsrats vom 1. November 2010 bei, in dem dieser mitteilt, sein Vertrauensverhältnis zu Multhauf sei zerstört. (Wenn dies als Argumentationshilfe für die Abwahl gedacht war, muss die Frage erlaubt sein: Seit wann ist die Legitimität eines Aufsichtsrats, beziehungsweise eines seiner Mitglieder, vom Vertrauen des Betriebsrats – oder umgekehrt – abhängig?)

Peter Multhauf, Bürgerschaftsmitglied und seit langem im Aufsichtsrat, ist dem Vernehmen nach Einzelkämpfer gegen die fristlose Entlassung Nekovars (gewesen). Die ganze Verfahrensweise stinkt ihn an und er macht daraus auch keinen Hehl. Im März dieses Jahres schrieb der Betriebsrat einen Brief an den Aufsichtstrat, in dem, mehr oder weniger indirekt, die Entlassung des Intendanten gefordert wird. Diesen Brief leitete Multhauf umgehend an Nekovar weiter – an dessen dienstliche E-Mail-Adresse. Dieser Brief wurde nun am Rande der öffentlichen Bürgerschaftssitzung an die Abgeordneten verteilt – zu kurzfristig, um sich ein Bild von der Tragweite und Relevanz dieses Briefes machen zu können. Der Leser dieses Blogs befindet sich in einer komfortableren Lage:

Betriebsrat an Aufsichtsrat 08.03.2010 Seite 1

Betriebsrat an Aufsichtsrat 08.03.2010 Seite 2

Die Bürgerschaft wählte Multhauf mit 22 zu 19 Stimmen ab. Unabhängig davon, wie man Multhaufs nicht abgesprochene Weiterleitung von Daten aus dem Aufsichtsrat an den ehemaligen Intendanten rechtlich und moralisch werten mag – der Vorgang der Inszenierung seiner Abwahl wirft einige Fragen auf. Siehe auch Ostseezeitung von heute! Hier soll sich auf zwei Fragen beschränkt werden:

1. Wie ist der Brief inhaltlich zu werten. Was wurde verraten?

2. Wie wurde der „Verrat“ aufgedeckt?

 

Zu 1. Eigentlich enthält der Brief inhaltlich nichts, was dem Intendanten hätte unbekannt sein können oder dürfen. Es werden im Brief Fragen gestellt, die ebenso gut hätten der Geschäftsführung gestellt werden können und müssen. Weiterhin werden Versäumnisse der Geschäftsführung benannt, die ihr ebenfalls hätten bekannt sein müssen.

Was wurde nun letztlich verraten? Zum einen die Existenz dieses Briefes und sein denunziatorischer Charakter. Und zum anderen der Hilferuf: „im Namen der Belegschaft … der Belegschaft die aktuelle Lage zu schildern und um Verständnis für die vorzunehmenden Maßnahmen zu werben.“ Diese verklausulierte Formulierung  lässt auf ein damals eher noch nicht zu vermutendes Einvernehmen zwischen Betriebsrat und Aufsichtsrat bezüglich der „vorzunehmenden Maßnahmen“ schließen.

Dies allenfalls war brisant und ist es bis heute! Nimmt man dazu den Hinweis aus dem Brief vom 1. November, stellt sich die Frage, welche Auffassung von den Aufgaben eines Betriebsrates in den entsprechenden Gremien vorherrscht. Ist es korrekt, an der Geschäftsführung vorbei, Spielplanvorschläge zu erarbeiten und „vorzunehmenden Maßnahmen“ zuzuarbeiten. Letztere lassen sich im gegebenen Kontext unschwer als Entlassung der Geschäftsführung deuten. Eine solche Forderung bedürfte, wenn vom Betriebsrat aufgemacht, doch wohl eines nachvollziehbaren Auftrags durch die Belegschaft. Ohne eine Befragung, deren Ergebnis dann auch öffentlich wäre, kann nicht im Namen der Belegschaft gesprochen werden!

Diese Überlegungen, zu denen die Bürgerschaftsmitglieder kaum Gelegenheit hatten, würden vermutlich zu einer anderen Bewertung des „Geheimnisverrats“ durch den einen oder anderen geführt haben.

Es sei daran erinnert, dass die Unfähigkeit der Gesellschafter, sich auf eine Nichtverlängerung der Geschäftsführung zu einigen, trotz deutlicher Signale aus dem Theater und dem Votum des Aufsichtsrats, zu dieser ganzen unerfreulichen Situation geführt hat.

 

Zu 2. Laut OZ wurde nun dieser Geheimnisverrat „im Mai 2010“ von dem neuen „Geschäftsführer Rainer Steffens (CDU)“  entdeckt. Da konnte es aber noch keinen neuen Geschäftsführer geben, denn Nekovar erhielt erst am 28. Mai die telefonische Mitteilung seiner fristlosen Entlassung. Man hatte „übersehen“, dass er sich in Japan auf Tournee mit seinem Ensemble befand. Wirksam wird eine solche Entlassung erst mit Zugang der schriftlichen Ausfertigung, und dies konnte realistischer Weise nicht vor dem 2. Juni passieren. Zugang zu seinem Rechner hätte man sich vor Übergabe seines Büros nur mit Hilfe eines Staatsanwaltes verschaffen können, oder eben erst  n a c h  der Übergabe. Dass ein Intendant berechtigt ist, seinen PC auch für „persönliche Post“ zu nutzen, dürfte unstrittig sein. Daher musste ihm auch Gelegenheit gegeben werden, diese vor der Übergabe zu löschen. Da Gesellschafter und Aufsichtsrat mit juristischer Kompetenz nicht unterversorgt sind, muss man schon staunen, dass solche, gelinde gesagt, Verfahrensfehler unterlaufen sind. Auch dieser unerwähnt gebliebene Aspekt hätte bei der Abwahl eine Rolle spielen können.

Der ganze Vorgang wirft kein vorteilhaftes Licht auf die Praktiken im Umgang von Gesellschaftern, Aufsichtsrat und Betriebsrat mit ihren Geschäftsführern. Dass darunter auch das Vertrauen innerhalb des Aufsichtsrats gelitten hat, ist eigentlich nicht verwunderlich – umso mehr das Geschrei der Gerechten, die, sich treu bleibend, Multhaufs Abwahl betrieben haben.


Greifswald und die Weihnachtstanne

17 Nov

Eine Betrachtung zum Advent 

Der Gedanke an den jährlichen Greifswalder Weihnachtsmarkt lässt nicht nur Herzen höher schlagen, sondern treibt so manchem (OZ-Leserbriefe) immer wieder die Schamesröte ins Gesicht. Die deutsche Kanzlerin – CDU-Vorsitzende und im Osten sozialisierte Pfarrerstochter – wird nicht müde, für ihr Land christlich-abendländische Kultur und Werte zu reklamieren. So auch jüngst wieder in Karlsruhe. Doch wie sieht es damit in den Niederungen ihrer östlicher Provinzen aus? Nicht viel anders als anderswo. Nur augenscheinlich etwas krasser. Etwas heidnischer. Vierzigjährige Demissionierung durch eine atheistisch geprägte Staatsmacht hat ganze Zuarbeit geleistet. Das haben wir hier dem Westen schon mal voraus. Als im verschwundenen „Sozialismus“ am Karfreitag im Greifswalder Theater „Polenblut“ gegeben wurde, hielt ich es für eine Perfidie des Systems.

Was einst die Ideologie der Staatspartei über ihre Bürger verhängte, vermag heute vielleicht noch effizienter das herrschende Wirtschaftssystem: die Entweihung „alles Heiligen“. Mehr noch: die ideologisierte Logik der Gier duldet keine Rücksicht auf Sentimentalitäten. Menschlichkeit, Kultur und Religion werden in Nischen des Privaten gedrängt, soweit sie sich nicht vermarkten lassen.

Was hat dies zu tun mit dem „Streit um den Weihnachtsbaum“ (OZ 19.1.2010)?

Die Pfarrer der Stadt schlagen Alarm. Und Axel Hochschild (CDU) läuft Sturm, denn die Weihnachtstanne auf dem Markt soll noch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr geschmückt werden. An diesem Sonntag wird traditionell unserer Toten gedacht. Da störe ein geschmückter Weihnachtsbaum, meinen die Protestler. Mir erscheint diese Argumentation eher hilflos. Vom Standpunkt der Kirche aus sollte der erste Advent die Grenze für den Beginn vorweihnachtlicher Aktivitäten sein. Totensonntag allein ist ein dürftiges Argument für das damit angeschnittenes kulturelles Problem.

Der Weihnachtsbaum, wie übrigens auch der Weihnachtsmann, fand verhältnismäßig spät Eingang in die christlichen Traditionen des Weihnachtsfestes. Für den christlichen Glauben sind beide nicht existenziell. Wer nüchtern um sich blickt, muss bekennen, Weihnachtsbaum und Weihnachtsmann haben sich längst von ihrem religiösen Ursprung gelöst. Bei Umweltbewussten ist der Baum fragwürdig geworden, der Sparsame holt alle Jahre wieder sein Plasteexemplar hervor und die Ängstlichen benutzen   elektrische Lichterketten. Bienenwachskerzen und duftende Koniferen sind nur mehr noch etwas für stilbewusste Bürger. Und der Weihnachtsmann wurde längst zum allgegenwärtigen süßen Schokoladengötzen, mit denen vornehmlich und in Massen die Kinder der Unterprivilegierten abgefüllt werden. Wirtschaft und Handel haben sich dieser Symbolträger als Dekor und Verkaufsschlager bemächtigt und traktieren uns damit ab Oktober, weit vor dem Advent. Fällt in diesem Zusammenhang eine geschmückte Tanne auf dem Markt totensonntags noch ins Gewicht?

Andererseits muss eine kultur- und wertebewusste Stadt nicht alles mitmachen. Mit Wehmut blicke ich zurück in die Zeit der Kindheit, die zugleich eine des Mangels war; zurück auf den ersehnten Moment, da wir jedes Jahr aufs neue beglückt wurden durch den ersten Blick auf eine im Lichterglanz der Kerzen erstrahlende Weihnachtstanne – in der Kirche oder auch im häuslichen Weihnachtszimmer, das vorher nicht betreten werden durfte.

Was bedeutet dagegen ein von einfallslosen „Pädagogen“ im Verein mit einem dubiosen Weihnachtsmarketing organisierten Event des Baumschmückens lange vor der Zeit? Werden Kinder da gedankenlos missbraucht, vermarktet, verwertet?

Das hätte „die Stadt“ doch wohl in der Hand!

Wenn überhaupt etwas von Kultur mit christlichem Erinnerungswert gerettet werden sollte, könnten ihre Vertreter darauf bestehen, dass der einzige Schmuck der Tanne eine Lichterkette sei. Bis zum Abend des vierundzwanzigsten Dezembers dann sollte sie “schwarz und schweigend“ inmitten des kommerziellen Trubels stehen und allein vom Weihnachtsmarkt beleuchten werden – soweit es denn reicht. Ihre große Stunde käme erst, wenn der Spuk vorüber ist. Dann könnte sie mit Beginn der Dämmerung des Heiligen Abends ihren Glanz über unseren schönen Marktplatz bis in den Januar hinein erstrahlen lassen.