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2. Philharmonisches Konzert in Greifswald (9. November 2010)

11 Nov

Die andere Kritik (2)

Das Haus war so gut wie ausverkauft. Wer an diesem neunten November sich entschied, das Konzert zu besuchen, durfte getrost die Schicksalslastigkeit dieses Datums vergessen. Wer das nicht konnte, den erwartete eine Art Kontrastprogramm. Deutsches vom Deutschesten lockte die Besucher: Brahms, Hübler, Schumann. Entschuldigung – wer ist Hübler?

Oft beginnen Konzerte mit einem gefälligen oder unbekannten Stück, mehr oder weniger zum Einspielen. Gewählt war eine Serenade von Brahms, die zweite in A-Dur. Wohl weniger gespielt und daher weniger gekannt als die erste – mir schien, zu Recht. Ein sperriges Stück und gerade wohl nicht zum Einspielen geeignet. Es zum Klingen zu bringen, bedarf höchster Konzentration. Das hätte schon beim Einstimmen beginnen müssen. Die Bläser, von Brahms eigenwillig überrepräsentiert, ließen den als Weichzeichner gedachten Streichern, wohl auch ihrer sparsamen Besetzung wegen, im Bläsergestrüpp keine Chance. Und so  ging das, stoisch durchgezogen,  fünf zeitdehnende Sätze lang. Wenn mein Eindruck nicht täuschte, wussten viele nicht recht, wozu sie gebeten. An Serenade zumindest war nicht zu denken.

Im zweiten Teil vor der Pause gab es dann Anlass zum Aufatmen. Vier solistische Hörner demonstrierten ihr Können und zugleich die bekannte Tatsache, dass Schwung und Präzision beim Hörer Effekte erzeugen, die begeistern – und die ein Publikum wohl auch erwarten darf.

Es erklang das  Konzertstück für vier Hörner von Hübler.

Carl Heinrich Hübler war Zeitgenosse von Brahms und eigentlich Hornist. Ein vielgerühmter, der sich auch im Komponieren versuchte, und mit seinem Hornkonzert vermutlich den Zeitgeschmack vortrefflich bediente – musikalisch eher simpel, aber, wie schon angedeutet, vielleicht eben deshalb auch heute noch publikumswirksam.

Dann, nach der Pause, wie üblich das Stück für den Dirigenten. Schumanns Zweite. Der erste Eindruck: die Streicher hatten zu ihrer „Tagesform“ gefunden. Auch diese Sinfonie eher selten gespielt. Und dann in einer Fassung von Gustav Mahler. Warum? Aus dem Programmheft geht es nicht hervor. Dass Mahlers „Retuschen“ daran orientiert gewesen sein sollen, „eine bessere Durchhörbarkeit zu gewährleisten“ konnte, zumindest an diesem Abend, in praxi nicht verifiziert werden. David Zinman, seit 1995 Chefdirigent des Zürcher Tonhalle-Orchesters, meinte, Beethoven zu dirigieren brauche man Kraft. Nicht so bei Schumann. „Es geht (da) nicht um Kraft, sondern um Besessenheit… So etwas findet man in keiner anderen Musik.“

Etwas davon hätte ich mir gewünscht!

4+1 – DIE ELEMENTE Uraufführung in Greifswald

9 Nov

Die andere Kritik (1)

Ralf Dörnen hat in Greifswald einen guten Namen. Seine Ästhetik besticht ein kleines, aber feines Publikum.

Dörnen hat ein Gespür für gute Musik, für Form und Farbe. Er hat ein Gespür für Menschen, die seine künstlerischen Ideen aufnehmen, umsetzen und beflügeln können. Das beginnt mit der glücklichen Auswahl junger Tänzerinnen und Tänzer, die er nicht nur benutzt, sondern die sich entwickeln dürfen unter seiner Leitung und der liebevoll-strengen Obhut seiner Ballettmeisterin Sabrina Sadowska.

Und so wurde auch die Uraufführung seines neuen Ballettabends wieder ein voller Erfolg!

Dörnen liebt die große Geste, schon in der Themenwahl. Diesmal soll Philosophie, soll das Nachdenken darüber, woraus die Welt besteht und was sie zusammenhält, zum theatralischen Ereignis werden – und wird es.

Es hebt an wie die Schöpfung selbst. Ein großartiges Panorama aus Licht, Farbe, Form und Musik, choreographisch sanft bewegt, tut sich faszinierend unseren Sinnen auf. Und dann das Erstaunliche – Dörnen verzichtet dabei auf das, was Ballett wesentlich ausmacht, auf das Ballett. Und dieser Verzicht ist Gewinn. Gewinn, der dem philosophischen Thema auf geniale Weise gerecht wird: der Mensch war nicht das Erste.

Klaus Hellensteins Bühnenbild, gleich einer Installation, macht dies erst kongenial möglich.

Kunst, so sie ihrem Namen Ehre macht, erlaubt uns immer wieder, überrascht zu sein, bewundern zu können, zu staunen, mitzufühlen und naiv uns zu erfreuen.

Dazu geben nun auch die dann bald zu ihrem Recht (Auftritt) kommenden Tänzerinnen und Tänzer. Kostümlich dezent sich ins Panorama einfügend, füllen sie Ralf Dörnens „choreographischen Bilderbogen“ mit bewundernswert kultivierter Körperbeherrschung. Es ist schön, zu beobachten, wie die verschiedenen Charaktere und die Persönlichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer, je zu ihrer Zeit, den Gesamteindruck der vorwiegend kollektiven Leistung bereichern. Oder philosophisch gesprochen, Dörnen versteht die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem auf der Bühne sichtbar zu machen, ohne dass er von seinem jungen Ensemble verlangte, selbst tiefgründig zu agieren.

Ich fragte mich im Vorhinein, ob eine Ballettinszenierung dem Anspruch seines Themas einen ganzen Abend lang gerecht werden könne. Dörnen ist es gelungen, die gedankliche Schwere, die man vermuten durfte, schon durch die Wahl der Musik aufzulockern. Da gäbe es Schwereres zum Vertanzen. Und dankbar nahm das Publikum slapstickartige Einsprengsel auf, die in entsprechender Kostümierung für angenehme Heiterkeit sorgten.

„Das Dasein ist rund“ wird uns als Motto im Programmheft (Catrin Darr) angeboten. Auch als Deutung?

Vielleicht war das Dasein an diesem Abend ein bisschen zu rund – und zu lang. Manche Bilder verbrauchen sich schneller als andere. Zum Beispiel sich am Boden wälzende menschliche Körper. Und „zu lang“ ist eine Versuchung, der jeder, der sein Werk liebt, nicht ungern erliegt. Vielleicht aber auch ist die untergründige Absicht einer zu zeigenden Erkenntnis am Werk: dass das erlebte Dasein zwar rund, der Anfang aber allemal schöner als das Ende ist.

Dies allerdings tut dem Ganzen keinen Abbruch.

Ralf Dörnen und seiner künstlerischen und technischen Mannschaft ist eine Inszenierung gelungen, der noch viele fürs Ballett zu begeisternde Zuschauer zu wünschen sind!

Theater Vorpommern und die Wünsche des Oberbürgermeisters

3 Sept

Offener Brief an die Mitglieder der Greifswalder Bürgerschaft und des Aufsichtsrates der Theater Vorpommern GmbH

Sehr geehrte Damen und Herren,

in dem heute veröffentlichten Bericht über ein OZ-Gespräch mit unserem Oberbürgermeister gibt dieser zu verstehen, dass er „die Verträge der beiden Interimsgeschäftsführer der Theater Vorpommern GmbH verlängern“ will. Es ist davon auszugehen, dass er diese Aussage in Absprache mit dem Stralsunder Oberbürgermeister getroffen und sich mit dem Kultursenator beraten hat. Auf den ersten Blick mag es so erscheinen, als wäre dies ein positives Signal für die Zukunft unseres Theaters. Der Bericht provoziert allerdings mehr Fragen, als er belastbare Antworten gibt. Es war von Anfang an offensichtlich, dass Ihr letzter Bürgerschaftsbeschluss vom 5. Juli sich terminlich nicht realisieren lassen würde. Im IV. Quartal (das am 1. Oktober beginnt) waren sowohl von der Verwaltung als auch von der Interims-Geschäftsleitung der Bürgerschaft „Entscheidungsvorbereitungen“ und Vorschläge zur „Zukunftssicherung“ des Theaters vorzulegen. „Dass die zukünftigen Strukturen sich bis zum Jahresende festzurren lassen“, davon war keine Rede. Daher kann auch das „Scheitern“ dieses angeblichen Ziels kein Grund für eine Verlängerung sein. Im Gegenteil. In Anbetracht dessen, dass es sich nicht nur um eine simple Aufrechterhaltung eines gut eingespielten Theaterbetriebes handelt, was allenfalls durch eine Interimsleitung hätte sichergestellt werden können, war von den Gesellschaftern zu fordern, sich vorausschauend um eine neue kompetente Geschäftsführung zu kümmern. Das heißt, auch schon ehe der Entschluss „gereift“ war, die alte Geschäftsführung fristlos zu entlassen, hätte ausgeschrieben werden müssen. Spätestens aber doch wohl nach der Entlassung! Dies wurde und wird bis zum heutigen Tag versäumt und auf die lange Bank geschoben.

Und nun gibt der OB bekannt, dass er eine Ausschreibung „für verfrüht“ hält. „Man muss vorher genau wissen, was ausgeschrieben und wie das Theater künftig strukturiert werden soll.“ Ja, er hält das Theater, so der OZ-Bericht, mit der Interimslösung für gut aufgestellt. Das kann nur dem plausibel erscheinen, der die reale Lage des Theaters vernachlässigt. Ein Theater ist doch kein Gemüseladen, wo zwischen Salat aus der Region oder aus Holland zu entscheiden ist. Gerade aber wenn es um eine sinnvolle Struktur des Theaters geht, um eine künstlerische G e s a m t k o n z e p t i o n, die wiederum aufs Engste mit einer entsprechenden Personalkonzeption verbunden sein muss, wenn es um Finanzierungsfragen geht, die wiederum positiv beeinflusst werden können durch glaubwürdiges, engagiertes Werben für eben ein solches Gesamtkonzept, dann ist professionelle Kompetenz unverzichtbar: künstlerische Kompetenz und verwaltungstechnische, die um die besonderen Probleme eines Kunstbetriebes weiß. Gerade in Situationen von vermeintlich dringenden Umstrukturierungen werden oft nur aus Naivität Fehler gemacht, die zu irreversiblen finanziellen und ideellen Schäden führen.

Es scheint mir daher blauäugig, anzunehmen, zwei fachfremde Rechtsanwälte aus dem Aufsichtsrat könnten den anstehenden Aufgaben gerecht werden. Das ist auch bei bestem Willen gar nicht zu leisten. Wer den Theaterbetrieb kennt, sollte das wissen!

Da kommt auch keine große Hoffnung auf, wenn Westphal, der von Stralsund gestellte Geschäftsführer, die „begonnene Arbeit auch zu Ende führen“ möchte, und Greifswalds RA Steffens noch keine Aussage über „s e i n e Zukunft“ treffen möchte. Es geht um die Zukunft des Theaters.

Ähnlich verhält es sich mit Königs Aussage: „W i r schauen erst einmal, ob w i r unser Theater aus eigenen Kräften stabilisieren können, erst dann ziehen w i r Kooperationen in Betracht“. Das betrifft nun auch Sie, die Mitglieder der Bürgerschaft: Welche überzeugenden Pläne und Argumente haben die Interimsgeschäftsführer und das Theater auf den Tisch gelegt, die den OB zu Recht veranlassen könnten, Ihren von der Verwaltung eingebrachten Bürgerschaftsbeschluss quasi als erledigt zu betrachten? Oder ist es die Flucht nach vorn, weil nichts Konkretes vorliegt?

Es wäre toll, wenn sich die Drohungen aus Schwerin in Luft auflösten, die Stadt ihre Mittel für eine anständige Bezahlung aller ihrer Künstler dynamisierte und das Theater über sich selbst hinauswüchse und hier und anderswo vor vollen Häusern spielte. Aber auch um d i e s nur annähernd realisieren zu können, bedürfte es genau jener oben beschriebenen Kompetenz.

Ein „weiter so“ darf es also nicht geben. Ich bitte deshalb den Aufsichtsrat, seine anstehende Entscheidung in Sachen Verlängerung oder entsprechender Varianten verantwortungsvoll abzuwägen, damit nicht der Verdacht aufkommt, Kompetenz wäre zurzeit unerwünscht oder würde stören, oder Gefälligkeiten zu bedienen hätte Vorrang.

Und an die Mitglieder der Bürgerschaft geht gleichermaßen mein dringender Appell: Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr, mischen Sie sich ein, fragen und prüfen Sie, und ziehen Sie als Bürgerschaft notfalls die Sache an sich.

Jost Aé

Greifswald, den 3. September 2010

Theater abwracken?

29 Jun

Man könnte es mal wieder als sommerliche Provinzposse abtun, wenn es nicht so traurig und beschämend wäre. Die drei Gesellschafter Greifswald, Stralsund und Putbus schicken* den Intendanten und den kaufmännischen Geschäftsführer ihres (und unseres!) Theaters in die Wüste, und inthronisieren die alternierenden Vorsitzenden genau jenes Aufsichtsrates, der offensichtlich mit der Aufsicht des Theaters überfordert ist und überdies einen fehlerhaft gestrickten Gesellschaftsvertrag zu verantworten hat, der die von Greifswald nicht gewollte Verlängerung eben jenes nun gefeuerten Intendanten ermöglichte. Das ist so, als liquidierte eine Reederei Kapitän und Steuermann ihres teuersten und in Seenot geratenen Schiffes und schickte zwei ihrer Aufsichtsratsmitglieder an Bord, das Schiff zu retten. Aber, um im Bilde zu bleiben, soll das Schiff vielleicht gar nicht gerettet, sondern abgewrackt werden – liegt darin vielleicht eine wohlüberlegte List? Und in der Tat, die Zeichen stehen fürs Theater auf Sturm. Das Land will die Theaterlandschaft substanziell halbieren. Abwracken also! Das wissen die Gesellschafter nun seit über zwei Jahren! Wie war und ist nun die um ihre Kreisfreiheit so bangende Greifswalder Stadtverwaltung für diese Situation aufgestellt? Sie „bittet“ die Bürgerschaft in einer Beschlussvorlage für den 5. Juli, sie zu beauftragen, „… zur Sicherung und Weiterentwicklung zukunftsfähiger Theater- und Orchesterstrukturen notwendige Strukturmaßnahmen zu entwickeln, und der Bürgerschaft zur Entscheidung vorzulegen.“ Ich halte das für einen kulturpolitischen Offenbarungseid! Kann die Verwaltung nichts tun, ohne beauftragt zu werden? Seit zwei Jahren nichts außer Missmanagement ärgerlicher Theaterquerelen? Und natürlich muss es nun schnell gehen. Die Bürgerschaft soll einen Freifahrtsschein ausstellen für Spartenschließungen oder –verkleinerungen, Fusionen und letztlich künstlerischen Personalabbau. Und da man selbst nichts zu bieten hat, sollen die gewitzten Vorschläge aus Anklam und Neubrandenburg in die „Überlegungen“ einbezogen werden dürfen, die  das Blaue vom Himmel versprechen und ihre wohlverstandenen eigenen Interessen geschickt ins Spiel zu bringen wissen.

Wieder, wie vor zwei Jahren, als im Schatten der Fußball-EM der Verkauf der WVG auf der Agenda stand, wird von der Stadt selbsterzeugter Zeitdruck ausgeübt, um der Bürgerschaft und den Bürgerinnen und Bürgern unserer Hansestadt zu vermitteln, dass es zu den Plänen, die diesmal noch keiner kennt, keine Alternative gibt. Morgen darf sich jeder dazu äußern! 19.00 Uhr im Theater!

*Die Entlassungen an sich sollen hier nicht bewertet werden.

Theater…

11 Jun

aus aktuellem Anlass

Bürgerschaft am 29. September 2008

„Zur Perspektive des Theaters Vorpommern“

(Tagesordnungspunkt 5.6)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Greifswalder Bürgerschaft steht ein weiteres Mal geschlossen hinter ihrem Theater und bekennt sich, jetzt gemeinsam mit Stralsund, zum Erhalt der Strukturen, wie sie sich in den letzen Jahren unter nicht geringen Anstrengungen entwickelt haben. Und so lehnt auch die SPD‐Fraktion die Zumutungen des „Diskussions‐ und Eckpunktepapiers“ der Schweriner Landesregierung ab, das zu Recht in der öffentlichen Diskussion hohe Wellen geschlagen hat.
Schaut man etwas genauer … in dieses wie es näher heißt „Eckpunktepapier zur Weiterentwicklung der Theater‐ und Orchesterstrukturen…“, dann merkt man bald, dass schon der Titel zynisch ist, denn es müsste ehrlicherweise ABWICKLUNG statt Entwicklung heißen! Weiterlesen