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WEIHNACHTEN – DAS BALLETT stürmisch gefeiert

28 Nov

Greifswald. Im trüben November, noch vor Advent und erstem Schnee, präsentierte Ralf Dörnen, Ballettdirektor und Chefchoreograph am Theater Vorpommern, seinen neuen Ballettabend.

„Weihnachten, o Gott, schon wieder!“ – so mag der gestresste Zeitgenosse aufstöhnen und hoffen, dass das alles bald vorbei sei. Wer von derlei depressiv-destruktiven Gedanken geplagt wird, für den hält Ralf Dörnen ein Gegengift bereit.

Ein liebevoller Blick senkt sich auf die biblische Weihnachtsgeschichte. Man muss nicht religiös sein, um zu erfahren, dass da immer, bei jeder Geburt, ein Rest von Geheimnis bleibt. WEIHNACHTEN – DAS BALLETT ist ein Angebot, sich diesen Blick zu eigen zu machen, der vieles streift, was uns an diesem Abend und gewiss auch später noch begegnen wird.

„Maria durch ein Dornwald ging“- mit diesem von den King‘s Singers wunderschön gesungenen Adventslied beginnt Marias Gang durch diesen Abend. Sie ist eine von uns. Sie trägt ein leichtes schlichtes Sommerkleid. Ein Engel verkündet ihr, dass sie schwanger werden und Gottes Sohn zur Welt bringen wird. Was für eine alles verändernde Nachricht!

Und überhaupt – die Engel, diese zwischen Himmel und Erde vermittelnden schwebenden Wesen, ihre Anmut und Kraft scheinen Erdenschwere zu überwinden. Mal ohne, mal mit Flügeln, mal mehr oder weniger geschlechtsneutral gewandet, gleiten sie über die Bühne. Als Johann Sebastian Bachs „Jauchzet, frohlocket“ erschallt, verklären sich ihre Gesichter und tanzend widerspiegeln sie den Jubel dieser ewig jungen Musik. Wer diese Bilder gelungener Symbiose von Tanz und Musik gesehen, wer die kongeniale choreographische Nachzeichnung Bachscher Kontrapunktik im Engelrauschen erlebt hat, wird das alles unverrückbar in Erinnerung behalten – ja, er wird diese Musik neu und anders hören, wo immer sie ihm begegnet, und sei‘s im Supermarkt.

Und genau dorthin, in die unvermeidliche Weihnachts-Konsumwelt nimmt uns das Ballett mit. Weihnachtsmänner, inflationär schon Wochen vor Advent und Fest als Deko und in Schokolade omnipräsent, führen hier, quicklebendig und auf ihr lästiges Image pfeifend, einen übermütigen Tanz mit vollbepackten Einkaufswagen auf, der in halsbrecherisch akrobatischen Fahrten über den leeren Bühnenboden und natürlich in einer turbulenten Paketschlacht enden muss. Fröhliches Chaos! Aber das Chaos lässt sich steigern. Deutsches Familienweihnachtsidyll: Die Frau am Herd, die Gans im Ofen, der Mann streitende Geschwister neutralisierend, Besuch von Oma und Opa, und Onkel und Tante mit Kind, Alkohol, Geschenke … Erst nur im Hintergrund rumorend, doch schon nichts Gutes ahnen lassend, Ravels Bolero. Was für ein Einfall! Im Gleichschritt mit dem unerbittlichen Crescendo des spanischen Tanzes kann die Situation herrlich eskalieren. Opa trinkt als erster über den Durst, Geschenke treffen nicht auf Gegenliebe, flirtende Blicke treffen auf die Falsche, hungrige Mäuler nicht auf Nahrung und die eifersüchtige Hausfrau verliert das Wichtigste aus den Augen. Die Gans – man hat es lang erwartet – qualmt aus dem Ofen, die Fetzen fliegen, nichts bleibt wie und wo es war. Dann, endlich, finden Chaos und Bolero gemeinsam ihren finalen Akkord. Der Vorhang fällt, Pause.

Nach der Pause rollen aus über vierhundert Metern weißen Tülls gefertigte Schneeflockenkostüme über die Bühne, die ihren Trägern Gelegenheit zu den witzigsten Kapriolen bieten und das Publikum zu herzlichem Applaus verführen. Spontanen Beifall gab es auch für die märchenhaften, variierbaren Vorhänge aus gefühlt tausend kleinen Lichtquellen.

Ob man sich an Inszenierungen erinnert, hängt nicht wenig von nachhaltigen visuellen Eindrücken ab. Spätestens hier muss Cornelia Brey, für Bühne und Kostüme verantwortlich, gewürdigt werden. Erstaunlich sicher schuf sie ideale Tanz- und Spielräume und entwarf schöne, unprätentiöse Kostüme, die den Tänzerinnen und Tänzern und den von ihnen zu verkörpernden Figuren bestens dienen. Wie Marias Kleid, leben auch die Kostüme der Engel von ihrer Schlichtheit, und auch die angehefteten Flügel entgehen stilsicher der Gefahr, in die Kitschfalle zu schlittern.

Generell zum Licht! Es schafft an diesem Abend keinen heimeligen Weihnachtsglanz, sondern für die jeweiligen Regieabsichten die gewünschte atmosphärische Verfremdung, jedem Anhauch von Rührseligkeit vorbeugend!

Der zweite Teil des Abends findet schnell wieder in seinen für diesen Anlass wohltuend gewählten Rhythmus der Reihung weltlich und religiös motivierter Szenen. Zum Ende schließt sich der Kreis mit drei Nummern aus dem Weihnachtsoratorium von Saint-Saëns. Maria erfährt die Geburt ihres Kindes, das später von sich sagen wird „Ich bin das Licht derWelt“, nun, zum Schluss, noch einmal – als Geburt dieses Lichts.

Ralf Dörnen wäre aber nicht der professionelle Choreograph, der er ist, entließe er sein Publikum mit dieser besinnlichen, entschleunigenden Sequenz. Zum Schlussapplaus darf sein mit glücklicher Hand neu komplettiertes Ensemble ein letztes mal voll aufdrehen. So konnte das buntgemischte Premierenpublikum noch leichter seiner Begeisterung freien Lauf lassen – und spendete langen, nicht enden wollenden stürmischen Beifall. Für alle hochverdient!

4+1 – DIE ELEMENTE Uraufführung in Greifswald

9 Nov

Die andere Kritik (1)

Ralf Dörnen hat in Greifswald einen guten Namen. Seine Ästhetik besticht ein kleines, aber feines Publikum.

Dörnen hat ein Gespür für gute Musik, für Form und Farbe. Er hat ein Gespür für Menschen, die seine künstlerischen Ideen aufnehmen, umsetzen und beflügeln können. Das beginnt mit der glücklichen Auswahl junger Tänzerinnen und Tänzer, die er nicht nur benutzt, sondern die sich entwickeln dürfen unter seiner Leitung und der liebevoll-strengen Obhut seiner Ballettmeisterin Sabrina Sadowska.

Und so wurde auch die Uraufführung seines neuen Ballettabends wieder ein voller Erfolg!

Dörnen liebt die große Geste, schon in der Themenwahl. Diesmal soll Philosophie, soll das Nachdenken darüber, woraus die Welt besteht und was sie zusammenhält, zum theatralischen Ereignis werden – und wird es.

Es hebt an wie die Schöpfung selbst. Ein großartiges Panorama aus Licht, Farbe, Form und Musik, choreographisch sanft bewegt, tut sich faszinierend unseren Sinnen auf. Und dann das Erstaunliche – Dörnen verzichtet dabei auf das, was Ballett wesentlich ausmacht, auf das Ballett. Und dieser Verzicht ist Gewinn. Gewinn, der dem philosophischen Thema auf geniale Weise gerecht wird: der Mensch war nicht das Erste.

Klaus Hellensteins Bühnenbild, gleich einer Installation, macht dies erst kongenial möglich.

Kunst, so sie ihrem Namen Ehre macht, erlaubt uns immer wieder, überrascht zu sein, bewundern zu können, zu staunen, mitzufühlen und naiv uns zu erfreuen.

Dazu geben nun auch die dann bald zu ihrem Recht (Auftritt) kommenden Tänzerinnen und Tänzer. Kostümlich dezent sich ins Panorama einfügend, füllen sie Ralf Dörnens „choreographischen Bilderbogen“ mit bewundernswert kultivierter Körperbeherrschung. Es ist schön, zu beobachten, wie die verschiedenen Charaktere und die Persönlichkeiten der Tänzerinnen und Tänzer, je zu ihrer Zeit, den Gesamteindruck der vorwiegend kollektiven Leistung bereichern. Oder philosophisch gesprochen, Dörnen versteht die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem auf der Bühne sichtbar zu machen, ohne dass er von seinem jungen Ensemble verlangte, selbst tiefgründig zu agieren.

Ich fragte mich im Vorhinein, ob eine Ballettinszenierung dem Anspruch seines Themas einen ganzen Abend lang gerecht werden könne. Dörnen ist es gelungen, die gedankliche Schwere, die man vermuten durfte, schon durch die Wahl der Musik aufzulockern. Da gäbe es Schwereres zum Vertanzen. Und dankbar nahm das Publikum slapstickartige Einsprengsel auf, die in entsprechender Kostümierung für angenehme Heiterkeit sorgten.

„Das Dasein ist rund“ wird uns als Motto im Programmheft (Catrin Darr) angeboten. Auch als Deutung?

Vielleicht war das Dasein an diesem Abend ein bisschen zu rund – und zu lang. Manche Bilder verbrauchen sich schneller als andere. Zum Beispiel sich am Boden wälzende menschliche Körper. Und „zu lang“ ist eine Versuchung, der jeder, der sein Werk liebt, nicht ungern erliegt. Vielleicht aber auch ist die untergründige Absicht einer zu zeigenden Erkenntnis am Werk: dass das erlebte Dasein zwar rund, der Anfang aber allemal schöner als das Ende ist.

Dies allerdings tut dem Ganzen keinen Abbruch.

Ralf Dörnen und seiner künstlerischen und technischen Mannschaft ist eine Inszenierung gelungen, der noch viele fürs Ballett zu begeisternde Zuschauer zu wünschen sind!