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Erfolgreiche „Zwei Männer ganz nackt“ von Sébastian Thiéry

18 Nov

am Theater Vorpommern

Der Titel zieht! Besonders Frauen! Paarweise oder in Grüppchen. Junge, Jüngere und Damen mittleren Alters vorzüglich. Ganz nackt – das ist trotz allgegenwärtiger Sexualisierung unseres zivilen bürgerlichen Lebens noch immer gewöhnungsbedürftig. In der Öffentlichkeit ein Tabu, das, gebrochen, polizeiliche Maßnahmen nach sich zieht. Im Paradies war „ganz nackt“ Symbol für sündlose Freiheit – unter Gottes Auge. Aber wir wissen, wie es endete!

Anders im Theater. Ein kurzer verlegen erregender Schauer mag wohl einigen Zuschauern weiblichen und männlichen Geschlechts über den Rücken gelaufen sein, als unvermittelt ein völlig ungeschützt nackter, wohlgestalter Mann, durch den Ruf seines Handys geweckt, auf die Bühne stürzte. Als dann die Handlung Fahrt aufnahm und ein zweiter Nackter eher lässig die Szene betrat gab es noch vergleichende Blicke, aber man hatte sich schon gewöhnt!

Der Regie (Oliver Scheer) gelingt, dass es nie peinlich für den Zuschauer wird, da hier nicht sexualisierte Nacktheit zu Markte getragen wird. Das macht den Rang der Inszenierung aus. Nicht das Nacktsein an sich führt zu Heiterkeit im Publikum, sondern die Komik vielfach wiederholter Bemühungen der Männer, ihre Blöße zu bedecken, anstatt sich endlich mal anzuziehen! Dabei helfen ihnen den Bühnenraum schlicht strukturierend herabhängende weiße Voiles (Bühne und Kostüme – Xenia Hufschmidt)!

Wenngleich das durchgehende Thema des Stücks Sexualität ist, genauer Homosexualität, so wird sie hier nicht plump vorgeführt. Sexuelle Anspielungen werden ironisch gebrochen, mit indiziösen Fundstücken verdächtigen Tuns wird humorvoll gespielt. Die Komik der Komödie speist sich aus der Absurdität eines verdrängten, komplett ausfallenden Erinnerungsvermögens.

Die zwei Männer müssen verschreckt feststellen, dass sie sich kennen: Nicolas Prioux (Ronny Winter) und sein Chef Alain Kramer (Jan Bernhardt).

Dramatische Zuspitzung erfährt die verfahrene Situation durch das Erscheinen von Alains Ehefrau Catherine (Maria Steurich). Jede Notlüge, jeder hilflose Versuch ihres Mannes, sich zu rechtfertigen, macht es nur noch schlimmer – zum Vergnügen des Publikums. Man wird nie genau erfahren, ob sie ihn nicht ganz gern überführen würde – auch als Erklärung für die ganze, wie sich nach und nach herausstellt, Misere ihres beider verfehlten Ehelebens.

Zum Erfolg dieser Inszenierung trägt ganz maßgeblich das glückliche durch die Regie erlaubte Ausagieren schauspielerischen Könnens bei.

Jan Bernhardt darf als hilfloser Chef und vermeintlich bester Ehemann seinem Affen Zucker geben. Ständig schwankend zwischen depressivem Kleinmut und manischer Hektik, versucht er einen Rettungsanker für sein altes Leben zu finden. Das missrät so gründlich wie komisch. Mit melancholischen Momenten, die Bernhardts starke Bühnenpräsenz komplettieren, berührt er das Herz und gewinnt endgültig die Sympathie des Publikums als ein moderner „Ritter von der traurigen Gestalt“.

Ronny Winter dagegen besticht durch die glaubhafte Gestaltung eines ganz anderen Charakters. Changierend zwischen Naivität und Gerissenheit, mit sympathischem Charme und jugendlicher Lässigkeit, ficht ihn das Heikle der Situation kaum an. Erst als er gegen Ende aussteigt und seinem Chef kündigt, scheint hinter einer scheuen Anhänglichkeit und wissender Überlegenheit ein Ernst auf, der auch seinerseits eine gewisse Tragik ahnen lässt.

Maria Steurich ist mit der Aufgabe betreut, die eigentliche Spielmeisterin im Stück zu sein. Als Frau Kramer hat sie vermeintlich alles im Griff. Modern, emanzipiert, ungeeignet eine Opferrolle zu übernehmen, will sie, vorgeblich, lediglich wissen, woran sie ist. Sie hat wenig Grund, Empathie oder andere echte Gefühle zu zeigen. Deshalb lässt sie auch nicht ahnen, welche Konsequenzen sie aus eventuellen Ergebnissen ihrer intriganten Ermittlungen ziehen würde. Das macht ihre Figur nicht gerade sympathisch. Wie aber Maria Steurich, leicht augenzwinkernd, ihre Aufgabe erfüllt, das überzeugt und bringt auch ihr die Sympathie des Publikums ein  und – wie auch den beiden anderen Darstellern –  herzlichen, lang anhaltenden Beifall.

Ein kurzweiliger, nachdenkenswerter und in Erinnerung bleibender Abend, der noch vielen Zuschauern zu wünschen ist!

Romeo und Julia am Theater Vorpommern

15 Mär
SHAKESPEARE ODER BRASCH ODER WAS – Die andere Kritik (6)

Am 2. März gab es am Theater Vorpommern in Greifswald eine Premiere. Auf dem Spielplan stand:

 William Shakespeare/Thomas Brasch
Romeo und Julia –
Liebe Macht Tod

Was durften die Besucher auf diese Ankündigung hin erwarten? Die älteren kennen ihren Shakespeare mehr oder weniger, die Jüngeren eher nicht. Aber wer kennt Thomas Brasch? Ließ sich das Theater durch diesen Umstand dazu verleiten, Etikettenschwindel zu betreiben? Grundlage der Inszenierung war doch immerhin nicht Shakespeare, sondern Thomas Braschs

 LIEBE  MACHT TOD
oder
Das Spiel von Romeo und Julia
nach William Shakespeare

Das ist dem Programmheft nicht zu entnehmen. So bleibt im Trüben, was das Publikum berechtigt ist zu erfahren. Auch sonst ist auf den 26 Seiten nichts Erhellendes über das Zustandekommen, über Ideen oder Absichten dieser Inszenierung zu erfahren. Leider!

Wer Brasch gelesen hat, kann feststellen: Shakespeare wird von Brasch auf hohem Niveau auf für ihn Unverzichtbares reduziert und mit neuen Elementen angereichert. Seine Adaption wurde so zu einem eigenwilligen und eigenständigen Stück. Die Regie/Dramaturgie (André Rößler/Sascha Löschner) dünnt nun wiederum Brasch erheblich aus und nimmt ihm dabei genau das, was seine Originalität ausmacht. Die Wahl fiel vermutlich auf Brasch, weil dessen Übersetzung der Regie  geeigneter erschien, sexistische und sexualisierende Sequenzen deutlicher herauszuarbeiten, da sie nicht versuche „Shakespeare zu glätten“ (Roßner/OZ) und sie „die derbe Sprache … des Elisabethanischen Zeitalters“ wiedergebe. Diese dann ins Pubertär-Ordinäre zu transponieren, bleibt anscheinend schon obligatorischem Onanier- und Kopulationsgebaren vorbehalten.

Ob diese Tendenz nun wirklich für eine Kritik an „der heutigen Zeit des Turbokapitalismus“ (OZ) taugt, die im Übrigen als Fehlanzeige verbucht werden kann, oder ob es eher auf eine Banalisierung von Theater selbst zurückweist, das einem kaputten Zeitgeist erliegt, statt ihm zu widerstehen, mag der Zuschauer selbst entscheiden.

Worum es sich nun aktuell bei Shakespeare/Brasch handelt, die eigentliche Handlung, wird durch Streichungen, Umstellungen, Zusammenfassung von Rollen und Simplifizierungen von Ort und Zeit sinnvoll nicht mehr nachvollziehbar.

Dazu trägt bei, dass die vom Regisseur bemühte „Zeichenhaftigkeit“ (OZ) des Theaters, die angeblich so „viel mehr bewirken“ kann als „eine historisierende Aufführung“, sichtlich überstrapaziert wird. Wo Sinn fehlt, kann auch ironisch Gemeintes nicht weiterhelfen. Wird bei  Brasch noch Gift genommen, erstochen und erschlagen, um ins Jenseits zu befördern, wird dies nun durch Laser-Schwertimitationen, ein zu kompakt geratenes Rasiermesser, eine schallgedämpfte Pistole oder schlicht durch einen am Herzen zu zerdrückenden Luftballon erledigt. Eine Videowand sendet hintergründige sich bewegende Bilder und designte Lichteffekte zu vordergründiger Handlung, und bei Jugendlichen beliebte Metal-Sounds untermalen Prügel- und Fechtszenen. Und…  jeweils in Grün oder Rot gehaltene Kostüme werden bemüht, die verfeindeten Familien besser kenntlich zu machen. Und…

Überhaupt, die Kostümierung (Simone Steinhorst)! Sie ist wenig geeignet, den Darstellern hilfreich zu sein bei der Erarbeitung eines ernst zu nehmenden Charakters ihrer Figuren. Liebe, die von Belang sein will, kommt ohne Charakter, ohne innere Schönheit, ohne das Wunder der gefühlten Einmaligkeit zweier sich Liebender und die daraus erwachsende Kraft, auch den Tod auf sich zu nehmen, nicht aus. Das will gespielt sein. Aber dieses Spielen gelingt nicht. Ist das Talent der jungen Schauspieler überfordert, oder ist es die Regie?

Romeos (Felix Meusel) und Julias (Frederike Duggen) Agieren bleibt zu beliebig, gerade dann, wenn sie von Liebe sprechen. Gleichmütig lässt Rößler sie oft choreographisch, wie auch die anderen Figuren, zu ihren Szenen aufmarschieren. Romeo, mit mickriger Gitarre ausstaffiert und jämmerlichem Singsang, soll er ironisch punkten? Und wenn die beiden sich nah kommen, vermitteln sie die Distanziertheit einer Stellprobenatmosphäre. Coolness muss zwar nicht enden, wo die Intimsphäre beginnt, wohl aber hat sie im Bezirk liebender Intimität nichts zu suchen. Und so bleibt das Paar blass, bis es im Tod erbleicht.

Was für das Liebespaar den sofortigen Tod bedeuten würde – holzschnittartiges Karikieren, findet desto lebhaftere Anwendung beim übrigen Personal.

Paris (Ronny Winter), bei Brasch „ein Edelmann von Adel, Mann mit Geld und Gütern“, verkommt zu einer Witzfigur, zu einem selbstverliebten Geck mit psychopathischen Zügen.

Julias Mutter Lady Capulet (Gabriele Völsch a.G.) muss die Schlampe geben, die andeutungsweise was mit Tybalt (Alexander Frank Zieglarski) hat, der stets ungestüm und im Kostüm eines jungen Rübezahl auftreten darf.

Julias Amme (Monika Gruber a. G.) hat so gar nichts Mütterliches und geriert sich als geile Maulheldin, dass man fragen muss, warum Julia an ihr hängt und ihr vertraut.

Die Eltern Romeos, die Lady wurde gleich ganz gestrichen, spielen faktisch keine Rolle.

Blass auch Vater Montague (Jan Bernhardt). Er absolviert unaufwendig seine Auftritte in einem an Waldwirtschaft erinnernden Gutsverwalterlook.

Benvolio (Sören Ergang) und Mercutio (Dennis Junge), die hier mit gestrichenem Gesinde verschmelzen, bekommen keine Chance, anders denn als zweifelhafte Freunde und Raufbolde in Erinnerung zu bleiben.

Zalando (Marco Bahr) ist der Geniestreich dieser Inszenierung! Die Rolle wurde erfunden, um für den Zusammenhalt dieser Inszenierung notwendig ausgewählte Funktionen von gestrichenem Personal   zu erfüllen (Bruder Laurence, Prinz etc.).

Bahr tut, wie immer, sein Bestes und gibt ein schillerndes Faktotum, das seine unmaßgebliche Wichtigkeit beherzt über die Rampe zu bringen sucht, die Zuschauer quirlig durchs Programm führt und sie kurzzeitig die Ungereimtheiten seiner mit platten Zeitbezüglichkeiten angereicherten Figur vergessen lässt. – Recht glücklich scheint er in dieser Rolle nicht zu werden, bleibt Zalando am Ende doch auch nur eine Karikatur – man weiß nur nicht, wovon.

Scheinbar unbeeindruckt von alledem: Markus Voigt als Capulet. Souverän und glaubwürdig umschifft er die Untiefen und Klippen dieser Inszenierung. Man nimmt ihm alles ab: seinen ehelichen Überdruss, sein Wissen um das Treiben seiner Frau und die Intrigen der Amme, seine Liebe zu Julia, die sein einzig Glück und Trost ist, sein autoritäres Auftreten und sein Pochen auf bedingungslosen Gehorsam, die Ausblendung der Verzweiflung, in die er seine Tochter stürzt und letztlich auch seinen Schmerz über ihren Tod und seine Reue.

Markus Voigt gelingt die Verkörperung eines zutiefst widersprüchlichen Charakters durch ein großes Talent und ein reichhaltiges Arsenal an schauspielerischen Ausdrucksmöglichkeiten, das ihm zur Verfügung steht – Handwerk eben!

Es hieß, man habe eine Inszenierung vor allem für die Jugend machen wollen! Mir scheint, dieser Anspruch war zu hoch, oder besser, er war falsch. Shakespeare light, Brasch light? Brecht entgegnete einmal auf die Forderung nach Volkstümlichkeit, also gewissermaßen nach einem Brecht light, das Volk sei nicht tümlich! Kann man es netter ausdrücken?

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Was bleibt nun auf die eingangs gestellte Frage zu antworten? Statt Shakespeare oder Brasch – Shakespeareverschnitt… Nur manchmal scheint durch die Kakophonie des Banalen ein Text auf, der erahnen lässt, was weithin nicht stattfindet: Kunst!

„Wichtig erscheint mir, nicht auf eine dumme Art modern zu sein, das Stück soll in seiner Zeit belassen werden.“ Thomas Brasch

PS: Nach der Premiere besuchte ich auch die Vorstellung am 9. März, um meinen Eindruck gegebenenfalls zu revidieren.