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Europa und das „deutsche Wesen“

4 Feb

„Europa wird deutsch“

so „DIE ZEIT“ vom gestrigen Tag auf ihrer ersten Seite. Nur eine naive Taktlosigkeit?

Eine Vision jedenfalls, vor der mir graut und die mich reflexhaft denken lässt: Haben wir schon alles vergessen, nichts gelernt?

Kaum ist Deutschland wieder zu einiger Macht gelangt, spukt scheinbar unreflektiert jenes „deutsche Wesen“, an dem die Welt noch nie genas, wieder in den Köpfen von Wirtschaft und Politik und in den gesponserten Medien.

Unser vorwiegend protestantisch-rational geprägtes und beschränktes Hirn kann anscheinend nicht anders – es hält unsere Welt noch immer für rational erfassbar und gänzlich beherrschbar. Und wer käme da nicht irgendwann auf die Idee, mal wieder die Herrschaft zu beanspruchen, wenn nicht jene, die solches Denken so vorzüglich beherrschen und davon beherrscht werden?

Und so hält unser armes Hirn auch noch immer Kapitalismus für die höchste und letztmögliche  Form gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ist ja auch was dran, denn eine effektivere und besser verschleierte Art der Ausbeutung von menschlicher Arbeit, von Tier und Natur kann von den Profiteuren dieses Systems nicht gedacht werden.

Und da nun der Kapitalismus in der Krise ist, wie sollte die etablierte Politik, die nicht für das Ganze denkt, sondern die Wirtschaft für das Ganze hält, auf eine andere Idee kommen als auf die, das System zu optimieren zu wollen. Und das eben am besten auf Deutsch!

Angela Merkel, die sich als CDU-Kanzlerin traditionsgemäß und erfolgreich vornehmlich von der deutschen Wirtschaft beraten lässt, ist nun offen zur Gallionsfigur deutschen Wirtschaftswesens geworden. Sie fordert zur Bewältigung der Krise welcher eigentlich? eine europäische Wirtschaftsregierung. Was es damit auf sich hat, stand gestern in der „ZEIT“.

Petra Pinzlers Artikel gibt offenherzig aufschlussreich Auskunft. Dem deutschen Leser wird auf kleinen rhetorischen Umwegen Merkels Idee einer Machtabgabe, die eine „europäische Wirtschaftsregierung“ auf den ersten Blick bedeuten könnte, schmackhaft gemacht. Was will da Merkel nach langem Zögern plötzlich? „Auf einmal soll sich Deutschland noch enger mit seinen Nachbarn abstimmen: beim Sparen, bei den Steuern, ja sogar bei der Frage, wann die Bürger in Rente gehen dürfen. Auf einmal also soll uns Europa so viel wert sein wie nie – ohne dass klar ist, ob die anderen nur unser Geld wollen oder ob sie tatsächlich bereit sind, unsere Regeln und Prinzipien zu akzeptieren.“*

Soll da dem realistischen, tüchtigen und sparsamen deutschen Michel mit Merkels Hilfe die Schlafmütze noch tiefer über die Ohren gezogen werden? Sind wir es doch längst überdrüssig, Zahlmeister Europas zu sein. Weit gefehlt: „Weil wir uns nicht mehr voneinander lösen wollen [logisch: Deutschland profitiert am meisten von der Europäischen Union – j. a.], müssen wir uns gegenseitig mehr kontrollieren. Wir geben Europa mehr Macht, dafür soll es aber nach deutschen Prinzipien arbeiten. Konkret hieße das, dass überall in der EU der Druck auf die Nachzügler wüchse. Frankreich würde von den Euro-Ländern [von welchen eigentlich? – j. a.] gedrängt, seine viel zu niedrige Pensionsgrenze weiter anzuheben. Spanien müsste die Koppelung der Löhne an die Inflation fallen lassen und Italien die Verschuldung abbauen.“*

Welch‘ ungeheure Anmaßung!  Die Einleitung der Geburt einer weiteren Tragödie aus dem Geist deutschen Unwesens? Muss sich unser armes Hirn berauschen an der eigenen wahnhaften Großartigkeit, wo ihm doch ein menschenfreundliches Glas griechischen Weines weit besser täte?

Und überhaupt: Menschenfreundlichkeit!

Vom Menschen her gedacht, hätte selbst für die Kanzlerin das Erste sein müssen, die längst überfällige europäische Sozialunion auf die Tagesordnung zu setzen! Und nebenbei, wären die ganzen Krisen und Katastrophen nicht Anlass genug, unser so hochgelobtes, hocheffizientes Wirtschaftssystem ernsthaft und nachhaltig in Frage zu stellen?

Fällt uns unter demografischem Aspekt nichts anderes ein, als das Rentenalter zu erhöhen, im Angesicht der Bildungsmisere nichts anderes, als ausländische Arbeitskräfte anzuwerben, als Reaktion auf die Klimakatastrophe nichts anderes, als die Laufzeit von Atomkraftwerken zu verlängern und so endlos weiter? Was soll werden, wenn dies auch noch optimiert wird?

Nein, ich will nicht in ein Frankreich fahren, in dem die Menschen so ticken wie in Deutschland, nicht in ein solches Spanien oder Griechenland oder Italien!

Weder Deutschland über alles, noch Deutschland überall!

*zitiert aus Petra Pinzler „Europa wird deutsch“ in „DIE ZEIT“ Nr. 6/S.1 Hervorhebungen von mir.

Kommunismus – eine Gespensterdebatte

24 Jan

„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus.

Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten. Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die der fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte? Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor. Der Kommunismus wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt. Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen. Zu diesem Zweck haben sich Kommunisten der verschiedensten Nationalität in London versammelt und das folgende Manifest entworfen, das in englischer, französischer, deutscher, italienischer, flämischer und dänischer Sprache veröffentlicht wird. … “ (Marx/Engels / Manifest der Kommunistischen Partei /der ganze TEXT)

Gesine Lötzschs eher harmlose  „Wege zum Kommunismus“ haben einen Aufschrei und eine unheilige Medien-Hetzjagd auf die Linken ausgelöst. Ein achtlos den Genossen hingeworfener Brocken, der nicht einmal zu einer ernsthaften innerparteilichen Diskussion taugt, entwickelt sich gezielt zu einer Gespensterdebatte, die dem bundesweiten Wahlvolk Schauer über den Rücken laufen lassen soll, wo immer es auf Wahlzetteln „die Linke“ zu Gesicht bekommen wird.

Diese Strategie könnte nach hinten losgehen wie schon so manche Variante der „Rote-Socken-Kampagne“. Aufgeschreckt durch die Debatte, wenden sich die einsichtigeren unter den Publizisten dem Thema zu, und auch in der Linkspartei selbst, wo man ähnliche Schwierigkeiten wie bei den Sozialdemokraten mit dem „Unwort“ KOMMUNISMUS kennt, scheint  man sich ob des feindseligen Geschreis der Aktualität dieser Feindschaft bewusst zu werden, die Ausdruck genau des  gesellschaftlichen Widerspruchs ist, der seit Menschengedenken jene Idee zum ständigen Begleiter hat, die, lange vor Marx, den Namen KOMMUNISMUS annahm, und seit Marx für ihre stringenteste Ausprägung steht.

Dass die natürlichen Antipoden dieser Idee sie mit den Verbrechen identifizieren, die im Namen dieser Idee begangen wurden, ist ein Schicksal, dem keine missbrauchte Idee entgeht.

So kann Minister Brüderle bei Anne Will reflektionslos behaupten, dass Kommunismus in der DDR Stalinismus war. Im Gegenzug will er die Zuschauer treuherzig glauben machen, dass es keinen Kapitalismus mehr gibt, nur noch soziale Marktwirtschaft – und dass er erschüttert ist, „dass man nach zwanzig Jahren Widervereinigung wieder mit Kommunismus anfängt“. Das könnte in der Tat erschütternd sein für einen, der an „das Ende der Geschichte“ glaubt. Erschütternd wäre allerdings auch, wenn einer, der uns regiert, dies glaubte.

Gerhardt Armanski hat sich wohltuend unaufgeregt in einen Beitrag für  „Neues Deutschland“ der Ideengeschichte und dem Wesen der kommunistischen Utopie gewidmet. Armanski macht auf seine Weise plausibel, warum das scheinbar heimatlos gewordene Gespenst des KOMMUNISMUS noch immer umherirrt, und, wo es erscheint, gnadenlos verfolgt wird.

Lesen Sie den Beitrag hier – Für das Menschsein unverzichtbar
Legitimität (und Janusköpfigkeit) der Utopie – oder: die Idee des Kommunismus


Theater MV im Wahljahr 2011

7 Jan

Aus aktuellem Anlass (zum Eckpunktepapier aus Schwerin)


„Deutschlands Freiheit wird in Wahrheit nicht am Hindukusch verteidigt, sondern in den Theatern, Konzertsälen, Opernhäusern, Museen und Buchläden und natürlich in den Schulen.“

Michael Naumann (SPD)

„Die Kultur darf nicht zum Steinbruch bei der Sanierung der Staatsfinanzen werden. Sie ist die geistige Basis, die Klammer, die unsere Gesellschaft bei zunehmender Globalisierung und Orientierungslosigkeit zusammenhält. Sie gibt Halt, Heimat und Identität zugleich.“

„Die Bedeutung der Kultur ist gestiegen, Kulturausgaben sind Investitionen in die Zukunft und keine Subventionen, dieser Satz wird jetzt weitgehend verstanden.“

Bernd  Neumann (CDU)

Wenn dem so ist, was bedeutet dann die Halbierung der  Theaterlandschaft in Mecklenburg-Vorpommern?

Gesellschaft und Theater – als ihr Spiegel – sind gleichermaßen in der Krise. Der Staat verliert das Vertrauen, die Parteien verlieren ihre Wähler, und das Theater verliert seine Glaubwürdigkeit als „moralische Anstalt“ und sein Publikum.

Im Gegenzug: in der allgemeinen resignativen Windstille, entwickelt sich der ungeliebte Staat mehr oder weniger unbemerkt zum kriegsführenden Global Player, und als sein Spiegelbild nimmt die unterhaltende Verblödungsindustrie Seele und Körper der Menschen in Geiselhaft.

So richtet’s der Markt!?

Das Wissen darum, soweit es je vorhanden war, ist der politischen Klasse weitgehend abhanden gekommen. Deshalb wünschte ich mir eine breite und nachhaltige Diskussion über die Kultur in dieser Republik und in diesem Lande; und über unser Verhältnis zur Weltkultur.

Das Wahljahr sollte gute Gelegenheiten bieten, mit den Politikern und denen, die es werden wollen, ins Gespräch zu kommen.

Die Verantwortung ist groß. Die Verantwortung aller!

Sie beginnt mit dem Begreifen dessen, was für alle auf dem Spiel steht.

Jeder kann etwas tun.

Jede Stimme für eine vernünftige Entscheidung kann zum Hoffnungsträger für die Umkehr einer verhängnisvollen Entwicklung werden.

Jede gelungene kulturelle und künstlerische Leistung ein Fanal gegen Dummheit und Resignation!

Appell für WikiLeaks

26 Dez

Siehe auch!

Zum Unterschreiben

Appell gegen die Kriminalisierung von Wikileaks

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen Artikel 19: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

die taz, die Frankfurter Rundschau, der Freitag, der Tagesspiegel, Perlentaucher.de, die Berliner Zeitung, netzpolitik.org und European Center For Constitutional and Human Rights (ECCHR) veröffentlichen diesen Appell gegen die Kriminalisierung von Wikileaks.

1. Die Angriffe auf Wikileaks sind unangebracht

Die Internet-Veröffentlichungsplattform Wikileaks steht seit der
Veröffentlichung der geheimen Botschaftsdepeschen der USA unter großem Druck.

In den USA werden die Wikileaks-Verantwortlichen als „Terroristen“ bezeichnet, es wird sogar ihr Tod gefordert.  Weiterlesen

WikiLeaks, der Irakkrieg und ein Urteil aus Karlsruhe

11 Dez

Erstens. Das Handelsblatt titelte am 4. Dezember: „Karlsruhe erlaubt Ankauf gestohlener Steuer-Daten“ und fragt: „Darf der Staat gestohlene Kontodaten kaufen, um Steuerhinterziehern das Handwerk zu legen?“ und weiter: „Die Frage ist höchst umstritten – und wurde jetzt höchst richterlich vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, zu Gunsten des Staates.“

Vom schlechten Deutsch abgesehen – die Botschaft des Handelsblatts ist: Karlsruhe erlaubt Diebstahl. Die Frage ist umstritten. Karlsruhe entschied zu Gunsten des Staates.

Ja, zu wessen Gunsten hätte denn entschieden werden sollen? Schon die Unterstellung, das Verfassungsgericht urteile überhaupt „zu Gunsten“ zeigt, dass gewissen Kreisen kaum mehr vorstellbar geschweige denn vermittelbar ist, ein Gericht könne anders als interessengeleitet entscheiden. In welche Richtung da die Erwartungen gehen, ist unschwer zu erkennen: Verbrechen gegen das Steuerrecht sind gefühlte Kavaliersdelikte für unsre „Leistungsträger“, die den Gewinn aus Leistungen anderer ins Ausland tragen, weil sie sich die Auffassung gönnen, sie würden vom Staat abgezockt. Es reicht ihnen nicht, dass der Staat ihnen die für sie geschaffenen Steuerschlupflöcher offenhält, dass er 17 000 fehlende Stellen für Steuerprüfer nicht besetzt und sich auch sonst kaum eine Gelegenheit entgehen lässt, ihnen seine Gunst zu erweisen. Da spricht mal ein Gericht Recht, das vom ehrlichen Steuerzahler nachvollziehbar ist, und schon werden schwere Mediengeschütze aufgefahren: der Staat mache sich mit Einbrechern und Dieben gemein! Wo wird eingebrochen, wo wird gestohlen? Die Daten sind den Banken doch nicht abhanden gekommen? Eher noch die Kunden, wenn sie denn dort landen, wo sie hingehören! So funktioniert interessengeleitete Journaille.

Allenfalls bleibt ein fader Nachgeschmack, dass der Staat für die „illegal“ beschafften Informationen zahlen muss, wenn er Recht sprechen will. Aber, dass es überhaupt so weit kommen musste, spricht eher für ein Versagen der Politik als gegen den Vorgang selbst.

 

Zweitens. Man kann von Staats wegen mit illegal erworbenen und illegal weitergegebenen Informationen allerdings auch so umgehen, dass es im Blätterwald nicht zum Rauschen kommt.

Es gab sollte einen zweiten Irakkrieg geben. Bush Junior wollte zu Ende bringen, was Bush Senior nur halbherzig im ersten Krieg begonnen hatte. Es fehlte nur noch ein akzeptabler Kriegsgrund. Krieg aus Liebe zu den Menschenrechten? Soviel Heuchelei wäre nicht durchgegangen. Krieg aus Liebe zum Öl? Wann wäre Ehrlichkeit je kriegsmotivierend gewesen? Immer wieder geeignet ist eine Bedrohung, die es abzuwenden gilt.

Und da fügte es sich, dass es ein Land gab, dessen Kanzler sich mit markigen Worten dem Frieden verschrieb, sich mit dem Präsidenten anzulegen schien, den Linken Stimmen entzog und die Bundestagswahl knapp so gewann, dass er weiterregieren konnte.

Und dieses Land hatte einen Bundesnachrichtendienst, und der hatte einen Informanten, der, wann immer auch angeworben, aus dem Irak stammte.

Und dieser Informant war geeignet, das Gewünschte zu liefern.

Am 2. Dezember diesen Jahres brachte die ARD im 1. Programm die unvollständige Geschichte einer Kriegsgrundbeschaffung, die in ihrer Art atemberaubend ist, auch für den, der die gelieferten und in der UNO kurz vor Kriegsbeginn durch die USA präsentierten Beweise nie geglaubt hat: Die Lügen vom Dienst: Der BND und der Irakkrieg.

 

Drittens. Trifft nun auf WikiLeaks nicht zu, was die Karlsruher Verfassungsrichter über illegal erworbene Informationen zu sagen hatten? Dass nämlich – (s. a. Handelsblatt) – Informationen von Privaten grundsätzlich verwertbar seien, selbst wenn der Informant dabei das Recht gebrochen habe! WikiLeaks, ein Kind des Internet und eines rebellischen Geistes, der als neues Gespenst diesmal weltweit umzugehen droht in einer Zeit, in der Demokratie sichtlich zur Fassade verkommt, hinter der die Diktatur weltweit vernetzter Machteliten aufscheint, die Transparenz scheuen wie der Teufel das Weihwasser und sich in dieser Hinsicht auch keinen Spaß mehr leisten wollen – WikiLeaks also, gewissermaßen Werkzeug dieses Geistes, ist geeignet, die großen Lügen, Machenschaften und Intrigen aufzudecken. Die Inkompetenz und Korruptheit handelnder Personen der Lächerlichkeit preiszugeben, ist nur ein Nebeneffekt. WikiLeaks präsentiert weltweit Staatsanwälten Straftäter und Verbrecher auf einem silbernen Tablett. Vollkommen kostenlos. Die Gerichte dürften, zumindest in Deutschland nach Karlsruhe, t ä t i g werden!

Und das genau ist der Zusammenhang, und ist der simple Grund für das Geschrei.

In den einschlägigen Medien wird zur Attacke geblasen. Die Unmöglichmachung aller Diplomatie wird beschworen und der Zusammenbruch der Zivilisation, wenn das fröhliche Lügen der Politiker durch Indiskretion gefährdet würde. Ein Spitzenleistung in diesem Konzert war dieser Tage im politischen Feuilleton des von mir geschätzten Senders Deutschlandradio Kultur zu hören. Wir, die Bürger, sollten aus der WikiLeaks-Affäre die Konsequenz einer neuen Bescheidenheit ziehen und zu unserem Besten wieder geistige Scheuklappen anlegen. Die Journalistin wörtlich: „Wir – also die Öffentlichkeit – wir müssen nicht zu jeder Zeit alles wissen.“

Vielleicht wäre das ja für Journalisten ganz gut, könnten sie ja dann die Öffentlichkeit, für die sie sich selbst halten, besseren Gewissens manipulieren!

WikiLeaks ist ein Indiz für eine überraschende Politisierung der Massen im Zeitalter letzter Globalisierung, die Plattform einer Gegenöffentlichkeit, die sich der desinformierenden Bevormundung widersetzt.

WikiLeaks wird so lange eine Berechtigung finden solange wir, das Volk, belogen werden, solange unsere Abgeordneten Kriegen zustimmen, deren Gründe erlogen sind, solange sie Verträge absegnen, die sie nicht lesen durften, solange es Guantánamos gibt, solange Dokumente über Verbrechen in staatlichen oder privaten Archiven ruhen und der Geheimhaltung unterliegen, anstatt Staatsanwaltschaften und Gerichten übergeben zu werden.

So fügt sich zusammen, was womöglich erst auf den zweiten Blick zusammengehört!

 

 

Stuttgart 21 – der Schlichterspruch

1 Dez

Das Orakel von Stuttgart

Eines konnte Heiner Geissler nie so ganz verhehlen – seine Sympathie für die Befürworter  von K 21.*

Die Schlichtungsrunden waren Lehrstunden in Demokratie, ein Hoffnungsschimmer am Horizont einer sich zersetzenden repäsentativen Demokratie, die in ihrer Hilflosigkeit immer mehr zu einer repressiven verkommt.

Im ersten Moment, schon während das Orakel seinen Spruch tat, trat allenthalben Ernüchterung ein. Das war beabsichtigt und gut inszeniert.

Als Heiner Geißler einsam aus letzter Klausur kam, hatte nach langem Warten die Spannung ihren Höhepunkt erreicht: so treten die Großen auf! Ganz in Schwarz und gemessenen Schrittes.

Und  dann, als er vor seinem Mikrophon saß, begann die selbstlose Dekonstruktion – vom Orakel zum bürokratischen Verlautbarer einer amtlichen Meldung. Der spitzbübische Humor, das schlitzohrige Lächeln und die kleinen Eitelkeiten eines Altersweisen – dies alles ward zurückgenommen und bis auf die leiseste Ahnung reduziert. Es triumphierte seine politische Klugheit. Das hinterlässt immer Enttäuschung .

Wer näher hinsieht und den Schlichterspruch zu lesen versteht, wird vieles finden, was revolutionären Sprengstoff enthält: ein immenses Potential für eine demokratische Entwicklung. Nicht nur der Deutschen Bahn AG wurde ins Stammbuch geschrieben, sondern auch der politischen Klasse in unserem Land. Beider Herrschaftsverständnis findet seinen Ausdruck in dem meist unwidersprochenen Willen zum „Durchregieren“ – am Volk vorbei. Heiner Geißler hat sein Bestes getan.

Die Saat muss nun aufgehen, und das liegt bei uns!

Text des Schlichterspruchs aus Stuttgarter Zeitung

Der Schlichterspruch im Wortlaut *

Heiner Geißler 

1. Am Mittwoch, 06.10.2010, wurde ich im Landtag von Ministerpräsident Mappus als Schlichter für den Streit um den Tiefbahnhof Stuttgart 21 und um die Neubaustrecke Ulm-Wendlingen vorgeschlagen, vom Fraktionsvorsitzenden Kretschmann in derselben Sitzung bestätigt, nachdem am Tag zuvor der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stuttgarter Stadtrat Werner Wölfle meinen Namen für diese Aufgabe genannt hatte.

Dem schlossen sich alle Landtags-Fraktionen an. Das Aktionsbündnis gegen S 21 stimmte daraufhin am 12. Oktober meiner Nominierung zu. Am 15. Oktober 2010 einigten sich Projektgegner und Projektbefürworter darauf, sich an einen Tisch zu setzen und mit dem Schlichtungsverfahren zu beginnen. Zuvor war Einigung über den Inhalt der Friedenspflicht und deren Einhaltung während der Schlichtungsgespräche erzielt worden. Am 22. Oktober begann die erste Schlichtungsrunde. Weiterlesen

Die wundersame Karriere des „IM Thomas“ am Hannah-Arendt-Institut

24 Nov

Es gibt sehr verschiedene IM-Biographien. So verschieden wohl, wie die Menschen waren, die in die Fallstricke des Ministeriums für Staatssicherheit gerieten – freiwillig oder unfreiwillig.  Sie endeten für gewöhnlich mit dem Fall der Mauer.

Aber nicht alle ereilte dieses Schicksal. Wie nach jedem Systemwechsel: die Tüchtigsten werden noch gebraucht und finden wieder Verwendung. Meist in „unpolitischen“ Bereichen, in Wirtschaft, Wissenschaft und Geheimdiensten.  Für das Empfinden der Volksseele am unappetitlichsten sind die Fälle, wo von den ungebrochenen Karrieristen ideologische Kehrtwendungen von hundertachzig Grad vollzogen werden, um weiter das tun zu können, was sie bisher taten: der Ideologie ihrer Dienstherren dienen. Einen besonders dreisten Fall (heutiger Kultur?) schildert ein nebenbei auch politisch brisanter Beitrag in KULTUR HEUTE (dlf) vom 23.11.2010:

Der Bock als Gärtner

Über die Tätigkeit eines ehemaligen Stasispitzels im Hannah- Arendt-Institut

Von Joachim Güntner

Hier zur Text- und Audioversion!

Nachtrag 24. November:

Hannah-Arendt-Institut entlässt Historiker wegen Stasi-Vorwürfen
Kuratorium stimmt fristloser Kündigung zu


Dresden (dapd-lsc). Wegen Stasi-Vorwürfen hat das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden mit sofortiger Wirkung den Historiker Michael Richter entlassen. Wie Instituts-Direktor Günther Heydemann am Mittwoch mitteilte, habe das Kuratorium der fristlosen Kündigung Richters am Dienstag zugestimmt.

Als Kündigungsgrund nannte Heydemann die in der vergangenen Woche erteilten Auskünfte der Stasi-Unterlagen-Behörde. „Diese belegten gravierende, über den bisherigen Kenntnisstand erheblich hinausgehende Aktivitäten“ Richters als Informeller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit , teilte Heydemann mit.

Jutta Ditfurth: mehr Schwarz als Rot bei den Grünen

23 Nov

Gründungsmitglied und Aussteigerin Jutta Ditfurth im Gespräch mit Christoph Heineman (DLF)

„Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu, und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei.“

Heine singt von Liebe. Aber Ähnliches ereignet sich regelmäßig auch im politischen Leben; zumal in Parteien mit hehren Ansprüchen: enttäuschte Liebe, verratene Ideale, verfälschte Geschichte.

Ein Blick zurück in die Geschichte bietet grausige Szenarien. Aber auch im gemäßigten Klima von Demokratien scheint es gesetzmäßig zu sein, dass die Ideengeber, Visionäre mit prophetischer Gabe, in den Niederungen des politischen Alltagsgeschäftes verzichtbar,  werden. Wenn es dann um Regierungs-Macht geht, hat die Macht der Ideen ausgedient. Die Personage wechselt. Es setzen sich andere Charaktere durch. Charakter wird zum Hindernis von Karriere.

Aber nie hat Geschichte ihr letztes Wort gesprochen; das ist die Nische für Hoffnung! Und so lohnt es sich immer wieder, Zeitzeugen zuzuhören. Sie können den Mainstream der Geschichtsfälschung stören und zu kritischer Distanz verführen.

Jutta Dithfurth war dabei, als die Grünen mit Leidenschaft und Herzblut dafür kämpften, grüne Gedanken gesellschafts- und politikfähig zu machen. Wenn sie sich auf ihrem Blog an die damalige Claudia Roth erinnert,  ist das für die heutige Vorsitzende nicht schmeichelhaft. Boshaft? Geschuldet verletzter Eitelkeit? Wer Aufklärung will, muss auch das aushalten!

Hier nun das angekündigte Interview

in Text und Ton (Audio on Demand)

Lew Tolstoi

20 Nov

Dichter, Denker, Revolutionär
Zum 100. Todestag von Leo Tolstoi

Von Werner Hill

Werner Hill hat einen wunderbaren, von untergründiger Aktualität durchzogenen Essay zu Tolstois Todestag geschrieben. Mit seiner freundlichen Genehmigung darf sein Beitrag für die NDK-Kultur-Sendung „Glaubenssachen“ auch auf diesem Blog gelesen werden!

„Als der Sarg hinabgelassen wurde, knieten die Menschen nieder. Rufe wurden laut: ‚Polizei, auf die Knie!‘ Die Polizisten blieben zuerst zwischen den Knienden stehen; es fiel ihnen aber schwer, so abgesondert und einsam dazustehen, als trügen sie kein Leid. Angst, Schuldgefühl und das Gefühl von Isoliertheit zwangen auch sie, ihre Knie zu beugen. Es war ein Tag mit Schneefall. Ein trauriger Tag für die ganze Welt.“

Zur Beisetzung von Lew Nikolajewitsch Tolstoi in einem Wald nahe dem Wohnsitz des verstorbenen Grafen auf Jásnaja Poljána waren allein fünftausend Schüler und Studenten aus Moskau angereist, ein Sonderzug brachte 25 Zeitungskorrespondenten herbei, und dank ihrer Berichte wissen wir, wie es zuging auf dem letzten Wege des Autors von „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“.

In Moskau war es verboten worden, öffentlich Trauer zu bezeigen, Bahnhöfe wurden bewacht. Doch die Menschen ließen sich nicht abhalten. Im Morgengrauen sah man, wie sie sich zur Waldgrenze schleppten. „Rundum Bauern in Fellkutten, Studenten, Studentinnen. Die Frauen trugen Köfferchen und Taschen mit Wegzehrung über der Schulter…Um zwei Uhr dreißig Minuten hoben Söhne und Freunde den Sarg auf und reichten ihn an Bauern weiter. Die Bauern trugen zwischen zwei Birkenstangen eine weiße Stoffbahn, auf der geschrieben stand: ‚Lew Nikolajewitsch, Dein Andenken wird unter den verwaisten Bauern von JásnajaPoljána niemals sterben.‘“ …

Den ganzen Beitrag lesen!

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Greifswald und die Weihnachtstanne

17 Nov

Eine Betrachtung zum Advent 

Der Gedanke an den jährlichen Greifswalder Weihnachtsmarkt lässt nicht nur Herzen höher schlagen, sondern treibt so manchem (OZ-Leserbriefe) immer wieder die Schamesröte ins Gesicht. Die deutsche Kanzlerin – CDU-Vorsitzende und im Osten sozialisierte Pfarrerstochter – wird nicht müde, für ihr Land christlich-abendländische Kultur und Werte zu reklamieren. So auch jüngst wieder in Karlsruhe. Doch wie sieht es damit in den Niederungen ihrer östlicher Provinzen aus? Nicht viel anders als anderswo. Nur augenscheinlich etwas krasser. Etwas heidnischer. Vierzigjährige Demissionierung durch eine atheistisch geprägte Staatsmacht hat ganze Zuarbeit geleistet. Das haben wir hier dem Westen schon mal voraus. Als im verschwundenen „Sozialismus“ am Karfreitag im Greifswalder Theater „Polenblut“ gegeben wurde, hielt ich es für eine Perfidie des Systems.

Was einst die Ideologie der Staatspartei über ihre Bürger verhängte, vermag heute vielleicht noch effizienter das herrschende Wirtschaftssystem: die Entweihung „alles Heiligen“. Mehr noch: die ideologisierte Logik der Gier duldet keine Rücksicht auf Sentimentalitäten. Menschlichkeit, Kultur und Religion werden in Nischen des Privaten gedrängt, soweit sie sich nicht vermarkten lassen.

Was hat dies zu tun mit dem „Streit um den Weihnachtsbaum“ (OZ 19.1.2010)?

Die Pfarrer der Stadt schlagen Alarm. Und Axel Hochschild (CDU) läuft Sturm, denn die Weihnachtstanne auf dem Markt soll noch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr geschmückt werden. An diesem Sonntag wird traditionell unserer Toten gedacht. Da störe ein geschmückter Weihnachtsbaum, meinen die Protestler. Mir erscheint diese Argumentation eher hilflos. Vom Standpunkt der Kirche aus sollte der erste Advent die Grenze für den Beginn vorweihnachtlicher Aktivitäten sein. Totensonntag allein ist ein dürftiges Argument für das damit angeschnittenes kulturelles Problem.

Der Weihnachtsbaum, wie übrigens auch der Weihnachtsmann, fand verhältnismäßig spät Eingang in die christlichen Traditionen des Weihnachtsfestes. Für den christlichen Glauben sind beide nicht existenziell. Wer nüchtern um sich blickt, muss bekennen, Weihnachtsbaum und Weihnachtsmann haben sich längst von ihrem religiösen Ursprung gelöst. Bei Umweltbewussten ist der Baum fragwürdig geworden, der Sparsame holt alle Jahre wieder sein Plasteexemplar hervor und die Ängstlichen benutzen   elektrische Lichterketten. Bienenwachskerzen und duftende Koniferen sind nur mehr noch etwas für stilbewusste Bürger. Und der Weihnachtsmann wurde längst zum allgegenwärtigen süßen Schokoladengötzen, mit denen vornehmlich und in Massen die Kinder der Unterprivilegierten abgefüllt werden. Wirtschaft und Handel haben sich dieser Symbolträger als Dekor und Verkaufsschlager bemächtigt und traktieren uns damit ab Oktober, weit vor dem Advent. Fällt in diesem Zusammenhang eine geschmückte Tanne auf dem Markt totensonntags noch ins Gewicht?

Andererseits muss eine kultur- und wertebewusste Stadt nicht alles mitmachen. Mit Wehmut blicke ich zurück in die Zeit der Kindheit, die zugleich eine des Mangels war; zurück auf den ersehnten Moment, da wir jedes Jahr aufs neue beglückt wurden durch den ersten Blick auf eine im Lichterglanz der Kerzen erstrahlende Weihnachtstanne – in der Kirche oder auch im häuslichen Weihnachtszimmer, das vorher nicht betreten werden durfte.

Was bedeutet dagegen ein von einfallslosen „Pädagogen“ im Verein mit einem dubiosen Weihnachtsmarketing organisierten Event des Baumschmückens lange vor der Zeit? Werden Kinder da gedankenlos missbraucht, vermarktet, verwertet?

Das hätte „die Stadt“ doch wohl in der Hand!

Wenn überhaupt etwas von Kultur mit christlichem Erinnerungswert gerettet werden sollte, könnten ihre Vertreter darauf bestehen, dass der einzige Schmuck der Tanne eine Lichterkette sei. Bis zum Abend des vierundzwanzigsten Dezembers dann sollte sie “schwarz und schweigend“ inmitten des kommerziellen Trubels stehen und allein vom Weihnachtsmarkt beleuchten werden – soweit es denn reicht. Ihre große Stunde käme erst, wenn der Spuk vorüber ist. Dann könnte sie mit Beginn der Dämmerung des Heiligen Abends ihren Glanz über unseren schönen Marktplatz bis in den Januar hinein erstrahlen lassen.

Zukunftsangst – made in USA?

16 Nov

Richard Sennett im Interview

Wir sollten nicht glauben, dass an europäischen Grenzen halt macht, was seit einiger Zeit schon die amerikanische Gesellschaft zerrüttet! Richard Sennett schildert in einem Le Monde-Interview  vom 3.11.2010, wie sich Hoffnungslosigkeit und Zukunftsangst in den Unter- und Mittelschichten verbreiten – genau bei den Menschen, die auf  Obama hofften und ihm zu seinem  Wahlsieg verholfen haben. Woran Obama  letztlich scheitern wird, ist das System. Solange noch Politiker „an der Macht“ sind, die unverdrossen an die Systemrelevanz des Finanzkapitals glauben und bereit sind, dessen global vernetzte Akteuere und Profiteure nach jedem gescheiterten Horrortrip zu retten, wird sich nichts zum Besseren wenden.

Die Tragik Obamas sollte uns vom hohen Ross des deutschen Wesens steigen lassen. Wir müssen begreifen, dass, was im Land der unbegrenzten Möglichkeiten klar auf der Hand liegt, bei uns schon längst begonnen hat…

Das Interview:

Welche Auswirkungen hat Arbeitslosigkeit auf die Wahlen in den USA?

Mit steigender Arbeitslosigkeit wählen die Leute immer mehr rechts. Arbeitslosigkeit nährt Nostalgieträume von der Vergangenheit sicherer Arbeitsplätze, nicht existierender Arbeitslosigkeit und nicht existierender Angst vor Arbeitsplatzverlust. Während früher qualifizierte Arbeitnehmer-Handarbeit fundierte berufliche Kompetenzen erforderte, die ein Selbstwertgefühl vermittelten, verschlechterte sich inzwischen die Qualität der Arbeitsplätze gravierend…“ Das ganze Interview lesen! gefunden bei Nachdenkseiten

Adenauer – der Demagoge

3 Nov

Antikommunismus als Gründungskitt der CDU

„Ich wollte, meine Freunde, die Bewohner der Ostzone könnten einmal uns offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören und sehen, dass der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht.“ so Adenauer auf dem Goslarer Parteitag (vom 20. bis 22. Oktober 1950). Deutschlandradio Kultur geht mit dieser Infamie, die die alten Nazis der neuen  bundesdeutsche Gesellschaft entlastete, recht moderat um. Aber davon abgesehen, ist das „Kalenderblatt“  aufschlussreich. Hinzugefügt sei: Der Gründungsmythos von CDU und Bundesrepublik lebt bis heute von der Delegitimierungsdemagogie gegenüber der schamlos abgehängten und „den Russen“ ausgelieferten „Soffjetzone“ (1950! schon DDR). Derlei demagogischer Antikommunismus hat Tradition und wird, wann Gefahr in Verzug, noch immer erfolgreich mobilisiert und als moralische Keule über den Häuptern leicht zu verschreckender Bürger geschwungen.

Antikommunismus – die moderne Variante:

(s. a. Spiegelfechter !)

Helmut Maletzke – Pressetext

26 Okt

Herr Maletzke hat mir seinen Pressetext als Antwort/Kommentar zu

„Maletzke –Gedanken zu einem Interview“ zur Veröffentlichung auf diesem Blog zugesandt:

Pressemitteilung

Zu meinen MfS-Kontakten möchte ich Folgendes erklären:

Ich weiß, dass meine IM-Tätigkeit in jeder Hinsicht, nicht nur wegen ihrer langen Dauer, ein großer Fehler war. Unabhängig davon kann ich mich selbst erst nach Einsicht in die Akten zum Ausmaß und zur Bedeutung dieser Tätigkeit äußern.

Ich habe mich vor fünfzig Jahren leichtfertig auf Kontakte mit Vertretern des MfS eingelassen. Sie gaben vor, Missstände beseitigen zu wollen, die zu dieser Zeit aus meiner Sicht im künstlerisch-kulturellen Bereich der DDR auftraten.

Dass meine diesbezüglichen Aussagen, anders als von mir beabsichtigt, zum Schaden anderer ausgewertet und benutzt wurden, habe ich bisher nicht in Erfahrung bringen können, kann es aber auch nicht ausschließen.

Personen, die in ihren MfS-Akten Einträge von mir gefunden haben und sich und ihre Privatsphäre dadurch verletzt fühlten, habe ich, soweit sie sich an mich gewandt haben, um Verzeihung gebeten.

Mein damaliges Verhalten bedauere ich sehr, und bitte alle von mir Enttäuschten um Entschuldigung.

Helmut Maletzke

Greifswald, den 26.10.2010


Das Merkel-Evangelium

24 Okt

Unschlagbar fröhlich – einmal klicken und zehn Sekunden Spass!

Das Merkel-Evangelium

Bärbel Bohley – ein Text für gestern und morgen

22 Okt

Manchmal werden Gedenkminuten initiiert. Man lässt den Kopf hängen und denkt an – nichts …  Wer Bärbel Bohley ehren will, sollte sich ein paar Minuten nehmen und einen ihrer Texte lesen!

Bärbel Bohley war eine starke Frau, sie war eine unverwechselbare  Persönlichkeit, sie hatte Charakter. – Eine zarte Frau, sensibel, nicht nur im Fühlen, in der Kunst, auch im Denken. Sie lebte in allem, nicht nur in der Natur, auch in der Gesellschaft. Sie verdrängte nicht ihre Zweifel, sie stellte sich den Widersprüchen. Das war sie ihrem Intellekt schuldig. Sie wartete nicht wie manche, bis ihre Zeit kommen würde. Die Zeit war ihre Zeit, und das Land war ihr Land! Bärbel Bohley war, was man einst eine Seherin genannt hätte. Sie sah was war, und dass es nicht gut war, aber veränderbar. Sie hatte Phantasie, um hoffen zu können. Und das rechte Maß an Naivität, das sie auch davor schützte zynisch zu werden, als sie merkte, wohin die Reise ging – als das Geschäft andere übernahmen. Sie sah, was kam, und was dann kommen sollte wohl auch. Ihr Charakter und ihre Zeit ließen sie zur Bürgerrechtlerin werden – nicht eine auf Zeit und dann a. D. … Sie blieb sich und ihrem Land treu.

Wenn man sie versteht, versteht man  jenes Land, aus dem sie kam, und dieses Land, aus dem sie nun gegangen ist, besser!

„Die Blätter für deutsche und internationale Politik“ druckten anlässlich ihres Todes noch einmal einen Beitrag aus dem Jahre 1990 (März-Ausgabe) ab, der freundlicherweise auch hier stehen darf:

An den Widerständen in diesem Lande bin ich ICH geworden

von Bärbel Bohley

Ich möchte aus dem persönlichen Blickwinkel urteilen: Was bleibt für mich von der DDR? Meine Erfahrungen in diesem Lande, die bleiben natürlich für immer. Die sind nicht auslöschbar. Und diese Erfahrung bedeutet mir sehr viel. Ich möchte sie nicht missen. Deshalb wollte ich auch immer in diesem Land bleiben. Weil ich an den Widerständen in diesem Land ICH geworden bin, die, die ich jetzt bin. Und ich möchte nicht anders sein.

Die Geschichte dieses Landes ist für mich also eine ganz persönliche Geschichte. Ich wurde 1945 in Berlin geboren, habe den 17. Juni mitgemacht und den Mauerbau. Ich hatte 1961 auch meine Ideale. Ich war 16. Und ich hab‘ gedacht, jetzt kann man hier den Sozialismus aufbauen.

Eigentlich war mir schon mit 16 klar, dass es so nicht weiterging mit dem Sozialismus. Aber ich dachte, nach ‘61 könnte man den Sozialismus machen: Jetzt können die Leute nicht mehr weggehen, jetzt kann man freier werden, und Ähnliches. Das hat sich natürlich sehr schnell als Illusion erwiesen. Diese persönlichen Erfahrungen also, die sind mir wichtig. Und die Erfahrungen mit dem System natürlich. Ich glaube, dass ich manchmal ganz schön naiv bin. Ich hab‘ mir immer vorgestellt, wenn der Einzelne stark wäre, dann könnte sich dieses System nicht halten. Das war mir eigentlich irgendwie immer klar. Dass dieses System nur darauf beruht, dass der Einzelne es akzeptiert. Wenn ich es nämlich nicht akzeptiere, dann wird es sehr schnell schwach. Diese Erfahrung konnte man vielleicht nur im Osten machen. Selbst wenn man es als Einzelner nicht akzeptierte, hat man damit schon sehr viel in Bewegung gesetzt… Man ist nicht ins Leere gelaufen und wusste, dass die Wände verschiebbar sind. Also: Je stärker ich bin und je stärker ich mich wehre, um so mehr sind die Wände verschiebbar.

Meine Naivität lag darin, dass ich mir eingeredet habe, die anderen machen das auch. Dass es da so eine Solidarität geben könnte, dass Mehrheiten das machen. Sie haben es ja auch gemacht. Mehrheiten sind aufgestanden und haben sich irgendwann zumindest gegen etwas zusammengeschlossen. Sie haben aber nicht darüber gesprochen, wofür sie sind. Da liegt eigentlich das ganze Unglück in diesem Land.

Dieses Land war anders. Da gab es immer die schweigende Masse. Das große Schweigen in diesem Land. Und ab September [‘89] haben die Leute wirklich andere Augen gekriegt. Denen war egal, ob da noch jemand am Tisch saß, der von der Staatssicherheit war. Die haben geredet. Die haben sich zum ersten Mal freigeredet. Und haben anders geguckt. Und waren sehr stolz auf ihren Mut. Und hatten auch Grund dazu, stolz zu sein. Weil sie irgendwas in sich überwunden haben, was sie jahrelang gehemmt hat. Von diesem „aufrechten Gang” ist jetzt schon so oft gesprochen worden, dass man es gar nicht mehr hören kann, aber es war eine Befreiung, eine innere Befreiung.

„Das waren Glasperlen für die Eingeborenen”

Aber dann kam die Berührung mit dem bunten Laden Bundesrepublik. So einfach ist das. Ich sage das, weil ich festgestellt habe, dass sehr viele Dinge wirklich ganz einfach sind. Es war einfach eine Gesellschaft, die eingesperrt war. Die konnte sich nicht reiben mit außen. Wir waren ja so isoliert und so abgeschlossen, und wir hatten wirklich wie im Knast gesessen. 17 Millionen haben im Knast gesessen! Natürlich war es notwendig, dass die Mauer durchlässig wurde. Es hat ja wahrscheinlich schon viel dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren schon viel mehr Leute rübergefahren sind und im Westen gesehen haben, was los ist… Aber es gab natürlich die große Mehrheit, die nicht gefahren ist. Es geht nicht darum, dass diese Mauer nicht geöffnet werden sollte. Aber das geht nicht so! Man kann die Leute nicht ohne einen Pfennig Geld in diesen Westen lassen. Aber so war es doch am 9. November. Die sind dann rüber und haben hundert Mark geschenkt gekriegt. Die haben sie nicht von hier gekriegt, sondern die haben sie von Herrn Kohl gekriegt. Und dann gab‘s die Blaskapellen, die Bananen, die Dinge, die nachher dann im Wahlkampf hier wiederholt worden sind. Man muss ganz einfach sagen: Das waren Glasperlen für die Eingeborenen. Und die haben gewirkt.

Was bleibt jenseits dieser Enttäuschung? Auch für diese Leute bleibt von der DDR die Erfahrung, das ist völlig klar. Die Leute haben die Erfahrung mit der Diktatur gemacht. Und sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie die Diktatur auch beseitigen können. Sie hatten natürlich auch Glück, dass nicht geschossen worden ist. Aber diese Erfahrung haben sie gemacht. Und die zeigt sich immer wieder, wenn jetzt demonstriert wird, zum Beispiel gegen das Schließen der Akten. Wenn die Leute wieder auf der Straße steh‘n und sagen: Nein, hier werden keine Stasi-Akten zugeschlagen. Wir wollen wissen, wer in dieser Regierung sitzt und wer davon mit der Stasi liiert war. Und es zeigt sich, wenn die Leute jetzt auf die Straße gehen: Nee, wir wollen hier nicht 2:1, sondern wir wollen 1:1. Das waren viele. Und so was hab‘ ich lange nicht geseh‘n. Da hat man schon Angst, dass die sich plötzlich gegen‘s Brandenburger Tor in Bewegung setzen und im KaDeWe landen. Diese Angst ist da. Und die Möglichkeit ist auch da.

Noch etwas, was ganz wichtig ist und unbedingt mit rübergenommen werden muss: das ist die Erfahrung, und die wird in dem vereinten Deutschland oder was da entstehen wird noch lange eine große Rolle spielen, die Erfahrung mit dieser Sicherheit. Obwohl man sich immer nach ein bisschen Freiheit und freiem Wind gesehnt hat und sich immer eingeengt gefühlt hat, merkt man plötzlich im freien Wind, dass diese Sicherheit doch ganz schön war. Und die hat die Menschen natürlich auch geprägt. Dieses Recht auf Arbeit. Das ist so in den Leuten drin, dass ich glaube, es wird in der nächsten Zeit noch wahnsinnig Zündstoff geben, wenn dieses Recht genommen wird.

Künstliche Gebilde waren beide”

Künstliche Gebilde waren beide, die Bundesrepublik wie die DDR. In der Bundesrepublik hat man‘s nicht so gemerkt, dass das ein künstliches Gebilde ist. Bei uns hat man‘s immer viel stärker gespürt, weil der Einzelne viel eher an seine Grenzen gestoßen ist. Und diese Grenzen sind natürlich auch durch das System gesetzt worden, denn das hätte ohne diese Grenzen nicht leben können. Diese Grenzen für den Einzelnen. Da war schon immer dieses „wir sind besser”, „wir wissen‘s besser”, „wir wissen, was für euch gut ist”. Und das kommt einmal aus dieser Erfahrung, die ein Teil der Leute gemacht hatten, die hier nach ‘45 was zu sagen hatten und dieses Land aufgebaut haben. Und es kommt natürlich ganz stark durch die Russen, die das ja mitgetragen haben. Und eingeklagt haben. Stalinismus, würde ich schon sagen. Etwas, was sich durchgezogen hat bis heute.

Für mich war es viele Jahre so, dass ich mir gedacht habe: Also die Nazis, die sind alle im Westen, die sind wir los. Wir haben‘s hier jetzt mit den Kommunisten zu tun, die verhärtet sind, weil sie selber so viel abgekriegt haben, und mit denen muss man milde umgehen. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich gemerkt habe, dass wir das nicht immer weiter so akzeptieren können. Dass sie anderen, die genauso unschuldig sind, so viel zufügen, sie so einengen, ihnen solche Fesseln anlegen, dass sie sich wirklich nur unterdrückt fühlen. Da habe ich mir gedacht: Nein, das geht nicht. Aber das hat ganz schön lange gedauert. Ich habe das sehr lange akzeptiert. Aber dann ging es nicht mehr. Also, Verständnis hab‘ ich immer noch für die. Wie das sich entwickelt hat, das versteh‘ ich. Ich würde auch sagen, die Schuld, dass die DDR sich letzten Endes zu dem entwickelt hat, was sie ist, die geb‘ ich nicht nur denen. Das muss ich wirklich sagen, die geb – ich auch uns. Dass wir uns das alle so lange haben gefallen lassen. Ja, und da gab es ja auch noch die Bundesrepublik, wie die sich verhalten hat. Und den Kalten Krieg. Das hat schon gewirkt.

1968 war klar, mit denen geht es nicht mehr, die müssen endlich weg. Das ist die letzte Chance für uns. Und es war die letzte Chance.

„Es wird sich alles polarisieren”

Was danach kommt? Das wird keine DDR und das wird keine Bundesrepublik sein. Etwas ganz anderes. Für mich war die Bundesrepublik immer ein Land, wo es eine „Mitte” gab; ich hatte immer das Gefühl, es gibt da nur „Mitte”. Eine Mitte mit einem rechten Flügel und eine Mitte mit so was links Angehauchtem, aber es gibt nicht Rechts und Links und Mitte. Ich hatte das Gefühl, Links ist ausgegrenzt. Und ich glaube, das neue Deutschland wird Flügel haben, eine Mitte und eine Rechte. Und eine Linke. Es wird sich alles polarisieren. Für die Mitte bedeutet das natürlich eine Anfechtung.

Diese Gesellschaft hier ist dialogunfähig. Nicht aus Böswilligkeit. Sie hat‘s einfach nicht gelernt. Das muss man akzeptieren. Und die Frage ist, ob das die westliche Demokratie schafft. Sich mit uns auseinanderzusetzen. Wir haben ja 28 Jahre Knast hinter uns. Eigentlich kriegt man da einen Bewährungshelfer. Aber den haben wir nicht gekriegt. Stattdessen sind die Verführer ins Land gekommen. Die Leute waren darauf einfach nicht vorbereitet.

Also eins ist klar: Die Leute vom Neuen Forum, wenn die in der Regierung wären, die wären nicht nach Bonn gekrochen. Das hätte Jens Reich nicht gemacht und keiner von denen, die ich kenne.

Für mich bleibt eine Frage interessant, die ich nicht einfach so beantworten kann: Wann hier eigentlich der Zug schon abgefahren ist. Ich habe ja oft gedacht, dass es innerhalb des Apparates Leute geben muss, die auf Reformen aus sind, die sich damit beschäftigen, die innerhalb der Partei in irgendwelchen Zellen schon überlegen, wie man die Reformen in Gang bringen könnte oder durchsetzen könnte. Ich muss sagen, das war noch eine Enttäuschung. Dass da eigentlich niemand war. Da war Herr Modrow, der ja irgendwann mal durch den Westen angekündigt wurde – für mich ein, tja, ein lieber Bürokrat; aber auf keinen Fall jemand, der Rückgrat hat. Der hat ja nun auch wirklich sehr schnell das Lied von „Deutschland, einig Vaterland” gesungen. Im Grunde doch ein Verfassungsbruch. Daraufhin hätte er ja zumindest ein Parteiverfahren kriegen müssen… Aber nicht mal das! Es gab eben keine Leute… Ich denke über das ganze Ausmaß der Tragödie nach, die hier nun wirklich 40 Jahre lang stattgefunden hat: Die Leute mit Rückgrat sind immer weggetrieben worden oder weggegangen.

„Diese Gesellschaft muss anfangen, sich selbst zu organisieren. Ansonsten wird das hier eine Katastrophe…”

Manchmal denke ich jetzt, ‘68 war wirklich die letzte Chance. 1989 war es einfach zwanzig Jahre zu spät. Seitdem ist eine Generation nachgewachsen, die wahrscheinlich nur noch Verachtung empfinden kann – für die Eltern und für die Leute, die was zu sagen haben. Dies ist ein Land, wo die Moral total am Boden liegt. Eigentlich ein ganz großes Elend.

Auf der anderen Seite glaube ich immer noch nicht, dass das jetzt alles zu Ende ist. Es stehen uns ja noch große Prüfungen bevor. Zum Beispiel: ob Währungsunion oder nicht. Ich halte das noch nicht für gegessen. Es wird darauf ankommen, dass sich jetzt eine wirklich solidarische Gesellschaft entwickelt, weil sonst furchtbar viele Menschen auf der Strecke bleiben werden. Diese Gesellschaft muss anfangen, sich selbst zu organisieren. Ansonsten wird das hier eine Katastrophe…

Ich verstehe überhaupt nicht, warum immer diese Diskussion über „DDR-Identität” aufkommt. Da wird meiner Meinung nach immer vorausgesetzt, dass ich mit etwas total einverstanden bin. Für mich ist Identität auch was völlig anderes. Für mich kann Identität auch aus der entgegengesetzten Richtung kommen: Dass ich so viel Widerstand in etwas hineingebracht habe, dass im Ergebnis ich eine Identität habe. Insofern haben die Leute hier, denke ich, natürlich alle eine „DDR-Identität”. Manche versuchen sie irgendwie gewaltsam beiseite zu schieben, aber das sieht reineweg lächerlich aus.

Ich denke, dass hier der Widerstand wachsen wird, wenn die Folgen sichtbar werden. Und da zeigt sich jetzt schon einiges. Es gibt ja schon welche, die arbeitslos sind. In der DDR werden die Leute jetzt tagtäglich konfrontiert mit diesen Ängsten: Behalte ich meinen Arbeitsplatz oder nicht? Und das bedeutet für jemanden in der DDR was völlig anderes als in der Bundesrepublik. Da hängt die volle Unsicherheit mit allem dran. Wie geht es weiter? Steuern? Und Wohnung? Alles hängt da dran – es ist wirklich die ganze Existenz, die bedroht wird. Man fällt nicht in dieses sogenannte soziale Netz, weil es das nicht gibt. Die DDR ist überhaupt nicht darauf eingerichtet gewesen, und sie ist auch überhaupt nicht organisiert. Es muss also beides gleichzeitig geschehen: Die Gesellschaft muss sich organisieren, um sowas aufzufangen, und zugleich muss der Einzelne diesen ganzen Schock des letzten halben Jahres überwinden. Im Grunde stehen alle ziemlich fassungslos da.

Der Regierung de Maizière, Meckel usw. wird gar nichts anderes übrig bleiben, als Rückgrat gegenüber Bonn zu entwickeln, wenn die Bevölkerung hier reagiert. Die Leute haben nicht Kohl gewählt. Das war die Wahl der Mark. Und der deutschen Einheit. Wenn Kohl seine Versprechungen nicht einhält, gibt es eine Katastrophe. Und wenn er sie einhält, gibt es auch eine Katastrophe.

Diese deutsche Nabelschau, jetzt, die ist wirklich furchtbar. Und diese Blindheit. Man muss sich doch nichts vormachen: So wie für die DDR Berlin das Aushängeschild war, so ist es für den Kapitalismus die Bundesrepublik. Und die sehen die DDRler jetzt. Sie sehen ja nicht, dass auch in Lateinamerika Kapitalismus ist. Die sehen auch Portugal nicht und sehr viele andere Länder. Die sehen die Bundesrepublik. Wenn sie merken, dass sie sich an diesem Schaufenster erst mal nur die Nase plattdrücken können, und dass sie noch lange nicht in diesem Laden ein und ausgehen, vielleicht werden sie dann auch wieder mal woanders hinschauen.

Eigentlich habe ich die Leute hier sehr gern. Eben weil sie mir immer irgendwie bestohlen vorgekommen sind. Und sich selbst auch immer noch bestohlen haben, indem sie nicht den Mut hatten, zu sich zu stehen und zu sagen: Ich bin jemand. Sondern sich immer so furchtbar angepasst haben. Ich wünsche den Leuten wirklich, dass sie diesen Rausch nicht als das Höchste verstehen, sondern eine Art Freiheit entwickeln, die da rausführt… Vielleicht gehört zu dieser Freiheit auch, dass sie erst mal durch diese Tiefen müssen.

aus: »Blätter« 10/2010, Seite 72-77

Helmut Maletzke

19 Okt

Gedanken zu einem Interview

Aber die Schrifftgelereten und Phariseer brachten ein weib zu jm / im ehebruch begriffen / und stelleten sie offentlich dar / vnd sprachen zu jm / Meister / dis Weib ist begriffen auff frischer that im ehebruch / Moses aber hat vns im Gesetz gebotten / solche zu steinigen / Was sagestu? Das sprachen sie aber / jn zuuersuchen / auff das sie eine sache zu jm hetten. Aber Jhesus bücket sich nidder / vnd schreib mit dem finger auf die erden. Als sie nu anhielten jn zu fragen / richtet er sich auff / und sprach zu jnen / Wer vnter euch on sunde ist / der werffe den ersten stein auff sie / vnd bücket sich widder nidder / und schreib auff die erden. Da sie aber das höreten / giengen sie hinaus / einer nach dem andern / von den Eltesten an / und liessen Jhesum alleine / und das Weib daselbs stehen. Jhesus aber richtet sich auff / und da er niemand sahe / denn das Weib / sprach er zu jr / Weib / wo sind sie / deine verkleger? hat dich niemand verdampt? Sie aber sprach / Herr / niemand. Jhesus aber sprach / So verdamme ich dich auch nicht / gehe hin / vnd sundige fort nicht mehr. (zitiert aus Martin Luther, Biblia / das ist / die gantze Heilige Schrifft Deudsch, Bd. 2, 1983 Philipp Reclam jun. Leipzig)    

Immer wieder gibt es Momente, die uns betroffen machen und uns Gelegenheit geben, unser Leben zu überdenken, ob wir etwas falsch gemacht, etwas versäumt, wen oder was wir vernachlässigt haben. Der Tod eines geliebten Menschen, Unfall, Unglück, eine Katastrophe, die Übertragung einer Traumhochzeit im Fernsehen, eine auf den ersten Blick belanglose Zeitungsnotiz, eine Scheidung im Freundeskreis, die Geburt eines Kindes, Krankheit, eine Bach-Fuge … Oder das Auffinden alter Liebesbriefe, das Foto eines längst vergessenen Menschen, die plötzliche Erinnerung an ein nicht eingelöstes Versprechen. Oder die Konfrontation mit lange erfolgreich Verdrängtem.

Helmut Maletzke, nach dem ersten großen Krieg hineingeboren in die Depressionen einer aus den Fugen geratene Welt, gehört einer Generation an, die die längste Zeit ihres mündigen Lebens den Gefährdungen zweier ideologietrunkenen Diktaturen ausgesetzt war. Entronnen dem zweiten großen Krieg, wollte es diese Generation nicht noch einmal falsch machen – und musste doch wieder scheitern. Ungeübt in der therapeutischen Kunst der „Verarbeitung“ seelischer und körperlicher Traumata, eigene Schuld eingerechnet, war sie Meister in der Kunst des Verdrängens! Die eigene Betroffenheit, der eigene Opferstatus – und wer war nicht irgendwie Opfer? – schien dieser Generation das Recht zu geben,  das anderen zugefügte Leid und Unrecht zu ignorieren. Nach außen zumindest. Was in den Träumen sich regte, und nachts noch heute die Überlebenden quälen mag – wer kann es ermessen?

Wie aber nun, wenn heute Schuld von einst an den Tag kommt? Wie sich retten, wie flüchten? Ist doch alle Ausflucht umsonst! Töricht! Verletzt aufs Neue!

Die Chance ergreifen, der Lüge überhoben zu sein, seinen Frieden machen mit sich und der Welt, will sagen, mit dem Bild, das man der Welt von sich gab – wäre das Befreiung nicht, nicht Rettung auch dessen, was Bestand haben mag? Ob des pharisäerhaften Geschreis der Allzugerechten selbst zum Pharisäer werden, sich zum Opfer stilisieren, Beharren, Erstarren – das ist die neue Versuchung, der zu widerstehen wäre. Woher die Kraft dazu nehmen?

Wäre man, der „Gnade der späten Geburt“ teilhaftig,  ein anderer geworden? Eine müßige Frage. Man muss in der Zeit bestehen, in die man geboren ist. Schuldig werden kann man als Verhängnis begreifen, als Fluch der frühen Geburt, der Geburt zur falschen Zeit am falschen Ort – es relativierte nicht die eigene Schuld. Werden nicht alle Menschen zu früh geboren, solange das Paradies noch auf sich warten lässt?

Immer wieder von Neuem, wo es Macht gibt,  lauern Anfechtungen und Versuchungen, sich ihr anzudienen. Den eigenen Nutzen suchen, wo man der guten Sache zu dienen sich belügt – auch ohne Spitzelapparat geht das. Im Betrieb, unter Freunden, in Organisationen, in der Familie, überall, wo man, vielleicht durch einen Halbsatz, eine scheinbar unauffällig platzierte Bemerkung, einen anderen dezent anschwärzt. Wer könnte sich so ganz frei von all dem wähnen? Oder plump seine Dienste anbieten, aus Angst den Arbeitsplatz zu verlieren oder eine  Sicherheit, oder ein Erbe. Was macht eine Schulsekretärin, wenn ein freundlicher Herr einer für den Schutz der Verfassung zuständigen Institution sich morgen höflich nach dem einen oder anderen Schüler erkundigt …?

„Wer unter euch ohn‘ Sünde ist, der werfe den ersten Stein …“ das soll gelten, aber auch das: „gehe hin, und sündige fort nicht mehr“.

Woher die Kraft nehmen – zum großen Aufräumen? Helmut Maletzke verfügt über einen Schatz, über „die Kunst“ als „Vermittlerin des Unaussprechlichen“. Sein Bild „Unser freier Wille“ von 1994 sagt vielleicht mehr von diesem Unaussprechlichen aus, als ihm, dem Malenden, bewusst war. Nun ist es Zeit, wieder hineinzugehen in das Bild, und es zu befragen, was da außer Zynismus noch gesagt werden wollte. Das wäre ein Weg, der dazu befreite, genau das nun selbst sagen zu können, was gesagt werden muss. – Dies wünschte ich Helmut Maletzke!


Stralsunder Straße 10 – oder wie das bürgerschaftliche Engagement „junger Leute“ ein gutes Ende nehmen könnte

14 Okt

Manchmal dauert es und kostet viel Zeit und Kraft in dieser Stadt, bis etwas glücklich zustande kommt oder ggf. verhindert werden kann. Hier soll nur von ersterem die Rede sein.

„Zukunftsaussichten für bürgerschaftliches Engagement in Greifswald“ lautete das Motto einer Podiumsdiskussion am 7. Oktober, zu der im Rahmen des mehrtägigen Events „10 Jahre Lovis – das Fest“ ins Pommersche Landesmuseum eingeladen worden war. Ein wichtiges Thema für die Stadt, deren Vertreter im Rathaus nicht müde werden, bei wohlfeilen Gelegenheiten bürgerliches Engagement über den grünen Klee zu loben.

Enttäuschung machte sich breit, als klar wurde, dass kein Verantwortlicher aus der Stadtverwaltung auf dem Podium Platz nehmen würde. Die Einladungen lagen seit einem Vierteljahr auf dem Tisch. Nur eine Absage des OB, keine weitere Erklärung, und das war es dann auch schon aus der Verwaltung!

Vielleicht verständlich, da es bei dieser Veranstaltung hauptsächlich um eine gemeinsame Aufarbeitung der Misserfolgsgeschichte von Bemühungen um die Erhaltung der Stralsunder 10 und der Errichtung eines Kultur- und Initiativenhauses gehen sollte, die auch die Geschichte einer zweijährigen systematischen Verweigerungsstrategie und Verschleppungstaktik der Stadtverwaltung ist.

Dabei hätte die Stadt den Abgang ihres „zuständigen“ Bausenators als Chance nutzen können, in die Offensive zu gehen und neue Akzente zu setzen. Das Engagement für bürgerschaftliches Engagement scheint indessen begrenzt zu sein. Es ist kein Geheimnis, dass die im Rathaus noch immer tonangebende „Law & Order“-Fraktion sich eher für graffitifreien Privatbesitz als für die Erhaltung denkmalgeschützter Gebäude begeistern kann. Zudem ist ihr offensichtlich seit jeher das Engagement Jugendlicher verdächtig, das Anlass geben könnte, linksalternative Bestrebungen zu vermuten. Diese generelle Abneigung, die nicht nur bei CDU-Parlamentariern zu finden ist, wurde immer wieder mit Sorge um die „jungen Leute“ kaschiert: sie würden sich mit einem solchen Projekt übernehmen. Da war kein Durchkommen!

Übrigens teilte auch die Universität diese Skepsis und wies die „jungen Leute“ ab, bevor noch das Petruswerk auf der Matte stand. Man kann da getrost von einer Greifswalder Engagement-Verhinderungsfront sprechen. Was hinter den Kulissen dieser Front gespielt wurde, kann man allenfalls vermuten. Klar ist nur, dass Arenskrieger der Hauptakteur war, bei dem die Fäden zusammengelaufen sein müssen. Ob er nur dem Wunsch seiner Stichwortgeber entsprach oder eigenen Ambitionen nachging, muss vorerst offen bleiben. Wahrscheinlich beides!

Bis heute scheint, auch ohne Herrn A., die Front nicht zu wanken. Es sieht so aus, als würde weiterhin hartnäckig an den entsprechenden Bürgerschaftsbeschlüssen vorbeiregiert: nämlich die Stralsunder 10 zu erhalten und, unabhängig davon, den Initiativenverein bei der Suche nach einer geeigneten Immobilie zu unterstützen.

Hier müsste sich nun eigentlich die Bürgerschaft als Ganze wieder ins Spiel bringen. Und es hatten sich tatsächlich auch auf dem Diskussionspodium die Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, der Sozialdemokraten und der Grünen eingefunden. Nur waren gerade sie nicht die direkten Adressaten für angestauten Unmut. Sie bemühten sich, zu beschwichtigen. Sie ermunterten die „jungen Leute“, fortzufahren in ihrem Engagement, das unverzichtbar sei für die Stadt, und sie baten darum, bei Schwierigkeiten weiterhin vertrauensvoll in Anspruch genommen zu werden. Und sie warben um Verständnis dafür, dass sie nur „Laienpolitiker“ seien und eigentlich überfordert  durch die in der Verwaltung produzierte Papierflut.

So hatte die ermüdende Moderation der Veranstaltung denn auch leichtes Spiel, ihr Konzept des Vorwärtsblickens und der  Vermeidung von Schuldzuweisungen durchzuhalten, und die „jungen Leute“ mussten ihren Frust wieder mit nach Hause nehmen.

Dafür durften sie am nächsten Morgen in der Zeitung lesen: „Der Geschäftsführer des Petruswerks, Douglas Fernando (der sich als Opfer von Diffamierungen darstellte – j. a.), will die Stralsunder Straße 10 nicht an einen Verein verkaufen, der hier ein Kultur- und Initiativenhaus einrichten will.“ Er möchte nunmehr die zum Ärgernis gewordene Immobilie an die Stadt verkaufen, nachdem ihm einst versichert worden war, der Abriss, der momentan verweigert wird, sei kein Problem.

Und das wohl aus gutem Grund! Denn dem Verein wird er sie  kaum zum einstigen Kaufpreis, geschweige denn mit zusätzlichen obskuren Planungskosten, andrehen können, nachdem er das Gebäude zwei Jahre lang dem weiteren Verfall überlassen hat. Es muss bezweifelt werden, dass Fernando jemals ernsthafte Ambitionen zum Sanieren hatte. Ist es doch landläufige Praxis, unter Duldung und in Absprache mit den zuständigen Behörden, ein Gebäude bis zum Eintritt der notwendigen Abrissqualität (unzumutbare Sanierungskosten) verrotten zu lassen. So sieht er nun doch eher die Stadt ihm gegenüber in der Pflicht.

Aber nicht immer geht solche Rechnung auf.

Die entscheidende Frage ist nun: Wie reagieren Stadt und Bürgerschaft? Können sie ihr Ressentiment dem Verein gegenüber ablegen und ihm, ohne Angst vor Gesichtsverlust, die Stralsunder Straße 10 zu einem angemessenen Preis überlassen? Dr. Fernando könnte es möglich machen, bietet er doch eine haushaltsfreundliche Option dafür an: Statt einem Verkauf für Geld kann ich mir auch einen Tausch dieses Grundstücks mit einem anderen an der Marienstraße vorstellen.“

Wäre das nicht eine schöne, versöhnliche Lösung, ein letztlich für alle erfreuliches Resultat bürgerschaftlichen Engagements — von Verwaltung, Bürgerschaft und „jungen Leuten“?

Siehe auch: Stralsunder Straße 10 – Politik und Denkmalschutz !

„Unser Kapital war, dass wir kein Kapital hatten“

12 Okt

Leben in der DDR – ein morgendliches Innehalten und ein Blick zurück, ohne zur Salzsäule zu erstarren…

Morgenandacht vom 12. Oktober 2010
im Deutschlandfunk
von Rosemarie Wagner-Gehlhaar
aus Hamburg

„Unser Kapital war, dass wir kein Kapital hatten.“ Ein Satz aus einem Feature über das Leben in der DDR. Der ist irgendwie bei mir hängen geblieben: „Unser Kapital war, dass wir kein Kapital hatten.“ Irre daran finde ich, dass ja die DDR auf einer materialistischen Weltanschauung aufgebaut war. Aber weil es nicht soviel Materielles gab, wurde anderes wichtig. Zum Beispiel die Zeit. Davon hatten die meisten recht viel. Zeit für die Familie, Zeit zum Feiern, Zeit für Freunde, Zeit zum Lesen, zum Musikmachen. Der Cellist Jan Vogler ist in Ostberlin aufgewachsen. „Wir haben natürlich in der DDR viel gelesen. Das war wirklich toll, in den intellektuellen Zirkeln in Ostberlin“ schwärmt Jan Vogler noch heute. Seine Eltern haben ihn und die Geschwister „wirklich mit Wissen vollgestopft. Sie haben alles gelesen, was ihnen zwischen die Finger kam… und wir hatten natürlich die Ruhe. Die DDR war ja eher trist, also der Alltag war trist.“ Der Musiker bezeichnet es als einen Glücksfall, dass seine Eltern die Tristesse so kompensiert haben. „Die Musik war das Zentrum und da herum gab es Theater, Literatur, und natürlich die Bibel.“ Die stand auch imBücherregal seiner Eltern.
Über die Bibel haben sie schon als Kinder diskutiert. Jan Vogler hat seine Schulzeit im Ostberliner Musikkonservatorium verbracht. Dort waren auch die Söhne des damaligen Landesbischofs Forck: „Und wir haben natürlich viel über den Glauben diskutiert.“ Zumal die Kirche ein Auffangbehälter für die Opposition war: „Das war natürlich für uns auch ein Refugium, in dem man frei seine Meinung äußern konnte.“ Zumindest dachte man das, bis sie später erfahren haben, dass auch in der Kirche die Stasi am Werk gewesen ist. Trotzdem war die Kirche der Ort, wo ihnen die Türen geöffnet wurden und wo es noch Ideale wie Freiheit und demokratische Perspektiven gab. Die Bibel ist für Jan Vogler gerade im Zusammenhang mit der Musik nach wie vor ein „unglaublich faszinierendes Buch“. Ein Bibelvers ist das Motto seines Berufs: „Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“ (Joh. 15, 11)
Das ist ein Zitat von Jesus und dieser Bibelvers beschreibt genau das, was der Cellist für seine Aufgabe hält: „Er passt sehr gut zu meinem Beruf, weil ich doch denke, dass wir Freude geben mit unserer Musik, und das ist auch mein Ziel, also, das ist ein ganz erklärtes Ziel von mir, dass ich das Leben schöner machen möchte für Menschen, möchte kommunizieren mit Musik, und ich glaub dieser Bibelvers sagt sehr viel darüber, dass es ständiger Anstrengung auch bedarf, um diese Freude in uns zu erhalten, und auch überhaupt Freude im Menschen zu erhalten, also, dass wir mit den Menschen kommunizieren müssen, damit die Freude bleibt, und diese Kommunikation mit Musik ist natürlich fast noch stärker als die Kommunikation mit Worten.“ Das Wort Freude bedeutet für ihn, sich einzumischen in die Gesellschaft, „und dafür zu sorgen, dass wir sensibel, ja, sensibler werden, dass wir menschlicher werden, dass wir uns mit diesen Idealen beschäftigen und wirklich etwas tun für unser Menschsein eigentlich.“ Und deshalb findet er den Vers so schön, „weil er wirklich mit ganz wenigen Worten alles darüber sagt, was man als ganze Lebensaufgabe sehen kann:
„Freude zu geben und daran zu arbeiten, dass die Freude in den Menschen bleibt.“ Das Wort „Freude“ vereint viele Dinge: „Bildung, Sensibilisierung, wirklich Wärme, Zusammenhalt, dort gibt es so viele Worte, die man dort rein projizieren kann.“ Dieser Bibelvers beflügelt seine
Phantasie, lacht Jan Vogler: „Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.“ Das kann man jeden Tag eigentlich ein bisschen anders auslegen.
Eine schöne Bestätigung von dem Satz: „Unser Kapital war, dass wir kein Kapital hatten.“

Zitate aus meinem Interview mit Jan Vogler vom 07.03.10

http://www.rundfunk.evangelisch.de/kirche-im-radio/deutschlandfunk/morgenandacht

Friedensnobelpreis 2010 und einige Fragen /Update

8 Okt

(veränderte Fassung /9. Oktober 2010)

Die zweite nicht unumstrittene  Vergabe eines Friedensnobelpreises in Folge. Zugestanden, für das verleihende Komitee  aus dem westlichen Kulturkreis war der Vorschlag Liu Xiaobo plausibel, ist Frieden hier doch nur in Einheit mit Freiheit denk- und wünschbar. Mit einer Freiheit allerdings, wie wir sie meinen. Die schließt, um gleich zur Sache zu kommen, unter anderem auch Freiheit für Politik- und Wirtschaftsberater vom Schlage der Chicago Boys ein, die mit ihrer Schockstrategie im Zuge der Transformation des „Ostblocks“ dort für „unsere“ Freiheit Lobbyarbeit geleistet und dabei ganze Völkerschaften in Not und Elend gestürzt haben. Man kann nämlich durchaus, was oft vergessen wird, für gewisse Facetten unserer Freiheit kämpfen und dabei völlig auf Demokratie verzichten, wie das Beispiel Chiles unter Pinochet am eindrucksvollsten zeigt.

Nun hat sich also das Nobelpreiskomitee für den chinesischen Bürgerrechtler entschieden, der sich in seinem Land für die universellen Menschenrechte einsetzt und sich selbst als Berufsdissident bezeichnet.

Warum fühlt sich die chinesische Regierung durch diesen Schritt brüskiert? Versetzen wir uns kurz in deren Lage! Was wäre, wenn die Partei morgen im Reich der Mitte die universellen Menschenrechte ausriefe und alles was wir für Freiheit halten ihren Bürgerinnen und Bürgern einräumte? Natürlich, kann man einwenden, muss dies behutsam geschehen, sich in einem gesteuerten Prozess u. s .w. entwickeln. Wohin aber soll die Entwicklung gehen? Haben wir eine Lösung, ein Rezept? Sähen viele von uns den stärksten Konkurrenten nicht lieber noch für lange Zeit als Entwicklungsland, als schier unbegrenzten Absatzmarkt zu unseren Bedingungen? Käme nicht so manchem verantwortlich Unverantwortlichen eine Destabilisierung Chinas gerade recht? Sehen nicht die Gegner Obamas die Gefahr, dass mit ihm die USA  mit ihren 310 Millionen Einwohnern ihre Vormachtstellung in der Welt verliert? An wen? Und weiter gefragt, mit welchen Mitteln soll diese Vormachtstellung erhalten werden? Oder noch anders, wäre man in jenen Kreisen, die nicht anstehen, den neuen Nobelpreisträger in ihren Medien bejubeln zu lassen, wirklich beglückt, sähe man sich 1,3 Milliarden Chinesen gegenüber, ausgestattet mit Reisefreiheit und der entsprechenden Währung? Spielt da nicht Heuchelei eine verhängnisvolle Rolle?
Die chinesische Regierung wird sich des allen wohl bewusst sein. Ist es da verwunderlich, dass sie die Nobelpreisverleihung als unfreundlichen Akt begreift, der die notwendigerweise vorsichtige Öffnung der chinesischen Gesellschaft hin zu mehr Demokratie völlig ignoriert und der von einer Medienkampagne begleitet wird, die als Krönung diesen Akt mit der Verleihung an C. von Ossietzky vergleicht, was eine Gleichsetzung  der chinesische Regierung mit dem Regime im faschistischen Deutschland bedeutet.
Ist die Nobelpreisverleihung 2010 wirklich ein unabhängiger  Akt? Ein mutiger Akt, der dem Frieden dient? Ist das Nobelpreiskomitee am Ende selbst Nobelpreis-verdächtig ?

 

Zur Erhellung des Themas hier: China, Indien – Rote Karte für den Westen von Frank Sieren im politischen Feuilleton – dradio.de – vom 08.10.2010 · 07:20 Uhr

S 21 oder „Wir brauchen eine attraktivere Demokratie“

6 Okt

Die Aktuelle Stunde im Bundestag war heute die Stunde der Opposition. Rhetorisches Glanzlicht  die Rede von Gregor Gysi. Gysi machte in der neuen Qualität des  Bürgerprotestes einen veränderten  Zeitgeist aus. Nur mit einer attraktiveren Demokratie kann den Gefahren begegnet werden, die  die  zunehmende Entfremdung zwischen Bevölkerung und Regierung heraufbeschwört.

Nehmen Sie sich die Zeit – 5 Minuten und 58 Sekunden: Rede in Bild und Ton!